Der Autor

Peter Pragal wurde 1939 in Breslau (heute Wrocław, Polen) geboren. Nach Flucht und Vertreibung kam er mit seiner Familie nach Deutschland, wo er das Abitur machte und nach dem Studium der Publizistik, Neueren Geschichte und Politik auch die Journalistenschule in München besuchte.

Als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung war er für die Berichterstattung aus der DDR, Bulgarien, Rumänien, der Tschechoslowakei und Ungarn zuständig. Pragal war außerdem leitender Redakteur bei der Berliner Zeitung. Seit 2004 arbeitet er als freier Journalist und Publizist in Berlin.

Basierend auf persönlichen und professionellen Erfahrungen hat er mehrere Bücher herausgegeben, unter anderem "Der geduldete Klassenfeind - Als Westkorrespondent in der DDR" und "Wir sehen uns wieder mein Schlesierland - Auf der Suche nach Heimat".

Im Internet: www.prager-literaturhaus.comwww.prager-literaturhaus.com

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| Peter Pragal | Rubrik: Kultur | 10.4.2015

Von Mozart bis Brahms in einer Stunde

Pragals Prager Tagebuch (5)

Jedes Mal, wenn ich am Rudolfinum vorbeikam, um durch die Gassen der Josefstadt zu bummeln, nahm ich mir vor: Wenigstens einmal muss ich während meiner Prager Zeit ein Konzert in diesem Haus besuchen. Gestern habe ich mich dazu spontan entschlossen. Es war kurz vor 18 Uhr, die Kasse hatte geöffnet und für 820 Kronen erwarb ich eine einzelne Karte in Reihe zehn. Über das Programm, das ich zum Ticket bekam, habe ich mich ein wenig gewundert. „The best selection of classic“ - stand da auf englisch. Also eine Auswahl klassischer Musik. Populäre Werke von Mozart bis Brahms.

Ich musste an die Warnung in meinem Prag-Führer denken. Danach sei von den in diversen Kirchen dargebotenen Mozart-, Vivaldi- und Dvorak-Potpourrris abzuraten. Über ihre Zweitklassigkeit hülfen auch keine historischen Kostüme hinweg. „Solche Best-Off gibt es nur, weil viele Touristen glauben, ein Konzertbesuch gehöre einfach zu einer Pragreise.“ Immerhin hatte der Autor darauf verwiesen, dass man mit dem Rudolfinum eine bessere Wahl treffe.

Am liebsten hätte ich eines der Abonnement-Konzerte im Smetana-Saal gehört. Mit der Tschechischen Philharmonie, die hier zu Hause ist. Aber diese Konzerte fanden an anderen Tagen statt. Eine halbe Stunde vor Beginn stieg ich an der Moldau-Seite die Treppen zum Portal hinauf. Im Foyer standen nur wenige Besucher. Der Eindruck dieser prachtvollen, in der Mitte des 19. Jahrhunderts errichteten Halle war bombastisch. Ich kam mit einem jungen Kanadier ins Gespräch, der zuvor Budapest und Wien besucht hatte und hingerissen war von diesem Gebäude.

Ich dachte daran, dass der deutsche Dirigent Gerd Albrecht in den 90-er Jahren als Chef der Tschechischen Philharmoniker eine unglückliche Zeit hatte. Gescheitert an den Vorbehalten und Anfeindungen, die von manchen tschechischen Medien sowie von einflussreichen Prager Bürgern gegen ihn gerichtet waren. Auch wenn die Musiker „Herrn Dvorak“, wie sie ihn nannten, zu ihrem ersten ausländischen Chefdirigenten gewählt hatten - ein Deutscher an der Spitze des bedeutendsten Klangkörpers des Landes, dafür war die Zeit einfach noch nicht reif. Etliche Jahre später wurde Albrecht als Gastdirigent im selben Hause vom Publikum frenetisch gefeiert.

Gegen 19 Uhr füllte sich das Foyer. Die Tür zum kleinen Saal wurde geöffnet. Die Konzertbesucher - nach meinem Eindruck nahezu ausschließlich Touristen - suchten ihre Plätze. Kaum jemand hielt es für nötig, Jacken, Mäntel und Taschen an der Garderobe abzugeben. Sie nahmen sie einfach mit. Die Gesten der tschechischen Schließerinnen wurden ignoriert. Neben mir saßen junge US-Amerikanerinnen, vor mir Japaner und hinter mir Deutsche. Allesamt in lässiger Kleidung. Manche fotografierten, andere spielten mit ihrem Handy. Ich habe nicht gesehen, dass jemand sein Gerät ausgeschaltet oder stumm gestellt hätte. Es gab auch keine akustische Mahnung, wie ich es sonst in Konzertsälen erlebe.

Das Parnas-Ensemble - zwei Damen, drei Herren - nahm auf dem Podium Platz. Auftakt mit Mozart - Divertimento in F. Das Quintett war gut eingespielt und technisch auf hohem Niveau. Es folgten Vivaldis Jahreszeiten und Mozarts Kleine Nachtmusik. Lauter Ohrwürmer. Warum bloß beschränkten sich die Musiker immer nur auf ein, zwei Sätze und nie auf die vollständige Komposition? Mich begann diese häppchenweise dargebotene Musikauswahl zu ärgern. Die Zuhörer applaudierten heftig. In mir stieg das Unbehagen. Bachs Air, Dvoraks Prager Walzer, gefolgt vom Slawischen Tanz Nr. 8 und der Humoreske. Zum Schluss die Carmen Suite und der Ungarische Tanz Nr. 5 von Johannes Brahms. Es sind meine bevorzugten Komponisten, aber was ich hier hörte, entsprach von der Auswahl eher dem Programm eines Kurkonzertes.

Nach einer Stunde hatten die Musiker ihr Programm absolviert. Zehnmal spielen sie in diesem Monat am selben Ort dieselben Stücke. Routiniert und zur Freude der Touristen aus aller Welt, die mit dieser populären Auswahl offenkundig zufrieden sind. Zum Schluss gab es noch eine Zugabe. Ein auf den Instrumenten gezupftes Stück, das ich - wenn ich nicht irre - einem US-amerikanischen Komponisten zuordne. Großer Beifall, zufriedene Gesichter. Nur ich dachte beim Hinausgehen: Die Warnung in meinem Stadtführer gilt offenbar auch für das erste Konzerthaus im Lande. Eigentlich schade.

geschrieben am 9. April 2015

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