Der Autor

Dirk Hülstrunk (geb. 1964 in Frankfurt) ist als Autor und Soundpoet international gefragt.

Arbeit an der Schnittstelle von Sprache, Klang und Performance. Markenzeichen ist ein rhythmusstarker, minimalistischer Stil. Einflüsse von Dada und Kurt Schwitters über Gertrude Stein und Konkreter Poesie bis zu aktueller Spoken Word Poesie.

Hülstrunk gehört auch zu den Pionieren der Poetry Slam Bewegung in Deutschland und organisiert den renommierten Poetry Slam Frankfurt seit 1998 an der FH Frankfurt. Darüber hinaus veranstaltet er Lesungen, Performances, Festivals u.a. in Clubs, Theatern, Museen, moderiert die Kultursendung "Knallfabet" beim Frankfurter Stadtradio "Radio X", gibt Workshops für Jugendliche und ist freier Dozent an der FH Frankfurt.

Aktuell arbeitet er an dem Multimediaprojekt "Antikörper" mit dem Mainzer Künstler "Brandstifter" und dem Soundpoetry Projekt "JIRK" mit dem finnischen Stimm- und Performancekünstler Juha Valkeapää sowie seinem Soloprogramm "Analfabet" für Stimme und Loops. 2006 hat er den Kulturverein "Kulturnetz Frankfurt e.V." mitgegründet.

Im Internet: www.dirkhuelstrunk.dewww.dirkhuelstrunk.de
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Blog

| Dirk Hülstrunk | 18.11.2015

Sprechen

Das Sprechen fällt mir in den Tagen von Terror, Fanatismus und Verschwörungstheorien schon im Deutschen nicht leicht. Ich möchte sagen, jetzt bleibt mal cool, aber es klingt verkehrt. Ich möchte sagen, nehmt es mit Humor. Das klingt noch viel falscher. Ich möchte sagen, ich bin Frankreich, aber es klingt arrogant. Ich möchte sagen, jetzt reicht´s aber – und das klingt beängstigend. Und was sagt man in Prag? Was muss man sagen? Was muss man jetzt sagen? Alle meine Versuche klingen nach Klischee.
As-salam aleikum – Friede sei mit Euch - aber es ist der falsche Zeitpunkt und die falsche Sprache. Schalom und Gesundheit. Guten Tag will ich sagen, Entschuldigung...ich bin da...
Dzien dobry und dobar dan, djenkuje. Fehler! Die Tschechen sind nicht begeistert, wenn man ihnen sagt, dass ihre Sprache so ähnlich wie Polnisch oder Kroatisch klingt. Aber ich kann es nur schwer auseinanderhalten. Verzeihung, djekuje vam. Ich möchte ein Pivo, prosim!
Další, prosim korrigiert mich die Kassiererin im Supermarkt, während ich umständlich in meiner Geldbörse herumfummele. Der nächste, bitte. Oder auch: Dalli, Dalli. Ich nuschele etwas zurück, dass vage an dobry den erinnert.

Abends, beim Bier in der verrauchten Keller-Kneipe zischt harte und weiche Konsonanten um mich herum. Trotz des Mangels an wahrnehmbaren Vokalen klingt alles elastisch. Was sagen die? Alles klingt nach intellektueller Diskussion mit integrierten schlüpfrigen Scherzen und komplizierten Höflichkeitsformeln. In das Sprech-Zischen mischen sich: Espressomaschine, das Rauschen der Moldauwehre, das Quietschen der Strassenbahnen.
Liebe Tschechen, möchte ich sagen, seid mir bitte nicht böse, wenn ich den kurzen Monat meines Aufenthaltes nicht dazu benutze, eure wunderbare Sprache zu lernen. Ich muss noch einige Kämpfe mit meiner eigenen Sprache ausfechten und ein bisschen Zeit auf den Straßen von Prag verbringen. Dazu kommt: zu oft und zu schnell habe ich mich in den letzten Monaten und Jahren durch verschiedenste Kulturkreise und Sprachräume bewegt. Mein Aufnahmespeicher ist fast voll. Der Rettungsfaden durch all diese Labyrinthe: Englisch. Seit dem Zusammenbruch des Kommunismus ist die westliche Lingua Franca auch in vielen osteuropäischen Ländern Allgemeingut geworden. Angesichts der düsteren Vergangenheit, faschistischer Okkupation, der brutalen Elimination des deutsch-tschechischen Judentums, der Vertreibung der deutschstämmigen Tschechen nach dem 2. Weltkrieg fällt es mir leichter in der neutralen Sprache Englisch zu kommunizieren, als auf Deutsch.
Britischer Kolonialismus und amerikanischer Imperialismus haben viel Elend über die Welt gebracht. Aber die englische Sprache hat auch Menschen entlegenster Kulturen eine gemeinsame Plattform gegeben. Ich bin mit amerikanischer Sprache und Kultur aufgewachsen. Ich habe sie nie als Besatzer-Kultur empfunden. Ich war dankbar, dass sie die Fenster der miefigen deutschen Nachkriegswirklichkeit zur Welt hin geöffnet hat.
Englisch sprechen heißt nicht, die eigene Sprache aufzugeben. Aber draußen in der Welt ist es gut, Menschen nach dem Weg fragen zu können und ihnen zu vermitteln, dass man in freundlicher Absicht kommt. Ein Mensch, mit dem ich eine gemeinsame Sprache finde, ist mir gleich viel sympathischer, als ein Mensch, den ich nicht oder nur durch Vermittler verstehe. Eigentlich ist es doch egal, in welcher Sprache man sich unterhält, Hauptsache, man unterhält sich. Manchmal denke ich, die Menschen nehmen ihre Sprachen zu wichtig, hüten und verteidigen sie verbissen als ihr Eigentum. Sie führen sich auf, als würde man ihre Seele stehlen, wenn sie eine andere Sprache als ihre Geburtssprache verwenden sollen. Manchmal denke ich, Menschen gebrauchen ihre Sprachen lieber zur gegenseitigen Abgrenzung und Ausgrenzung als zur Kommunikation. Ich mag die deutsche Sprache, aber alle anderen Sprachen sind genauso interessant. Wer von schönen Sprachen spricht, impliziert, dass es hässliche Sprachen gibt. Unsinn.
Interessanter finde ich es, nicht im eigenen Sprachraum festzukleben sondern nach Übersetzungen zu suchen. Zugegeben, in jeder Sprache gibt es eine paar Begriffe und Konzepte, die sich nur schwer übersetzen lassen. Aber die Möglichkeiten Übersetzungen aus den entlegensten Sprach- und Kulturräumen faszinieren mich mehr, als mich die Probleme abschrecken. Ich bin sicher, der Kern meiner Gedanken und Gefühle, die Grundideen meiner Texte lassen sich in eine beliebige andere Sprache übertragen. Englisch, Finnisch oder Tschechisch, Arabisch oder Japanisch. Vielleicht klingt es anders, vielleicht gibt es einen anderen Assoziationsraum. Ich sehe diese Differenz mehr als Erweiterung der Möglichkeiten, als kreativer Spielraum und weniger als Einschränkung. Für Missverständnisse muss ich nicht ins Ausland gehen.
Also, další pivo, prosim! Und noch ein Absinth hinterher. Auf Unterschiedlichkeit der Sprachen und auf ihre Übersetzbarkeit. Na zdraví. Zum Wohl.

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