prag aktuellprag aktuell | Rubrik: Wirtschaft | 16.10.2013
Transport- und Werkzeugmaschinen besonders erfolgreich / Deutsche Hersteller nutzen die Standortvorteile / Von Gerit Schulze, gtai
Straßenbahnmontage bei Škoda Plzeň

Prag - Tschechiens Maschinenbau bleibt eine zuverlässige Stütze der einheimischen Industrie. Das hat die jüngste Fachmesse MSV in Brünn (7. bis 11.10.13) wieder eindrucksvoll gezeigt. Zwar ist der Absatz von Ausrüstungen auf dem Binnenmarkt aktuell sehr schwach. Doch die starke Nachfrage aus dem Ausland nach tschechischen Maschinen beflügelt die Branche. Davon profitieren auch deutsche Hersteller, die eine Produktion im Nachbarland aufgebaut haben.

Wer in London die U-Bahn betritt, wird das künftig dank tschechischer Maschinenbauer tun können. Denn die neuen Rolltreppen kommen aus dem südmährischen Breclav. Dort befindet sich eine Niederlassung des US-Konzerns Otis, die im Frühjahr 2013 den größten Auftrag der Firmengeschichte bekommen hat. Für über 1 Mrd. Tschechische Kronen (Kc; rund 40 Mio. Euro) soll die Fabrik 107 Fahrtreppen an die Themse liefern. Weitere 65 Einheiten hat Stockholms Metrogesellschaft in Breclav geordert. Ein Beispiel dafür, wie leistungsfähig Tschechiens Maschinenbau ist.

Für einen weiteren Prestigeerfolg sorgt der Pilsener Schienenfahrzeughersteller Skoda Transportation. Das westböhmische Unternehmen hatte im Sommer 2013 erstmals einen Auftrag von der Deutschen Bahn für sechs Nahverkehrszüge im Wert von über 100 Mio. Euro bekommen, die ab 2016 zwischen München und Nürnberg verkehren sollen. Für angestammte Auftragnehmer der Bahn wie Siemens oder Bombardier bedeutet das neue Konkurrenz aus Tschechien. "Wir sind der erste Lieferant, der in Deutschland eine Ausschreibung für Züge mit einer Einstiegshöhe von 760 mm gewonnen hat", erklärt Zdenek Majer, Vizepräsident und zuständig für den Vertrieb bei Skoda Transportation. Es soll nicht der letzte Erfolg auf dem deutschen Markt sein. "Wir wollen uns an weiteren Ausschreibungen für Doppelstockzüge beteiligen. Außerdem ist der Straßenbahnbereich sehr wichtig für uns", kündigt Majer an.

Der Skoda-Konzern ist einer der am schnellsten wachsenden Maschinenbauer in Mitteleuropa. Laut Verkaufschef Majer erwartet das Unternehmen 2013 einen Umsatz von 750 Mio. Euro. Dank großer Ordereingänge im 1. Halbjahr 2013 sollen die Erlöse bis 2015 auf 900 Mio. Euro steigen.

Um neue Aufträge macht sich Majer jedenfalls keine Sorgen: "Unser Unternehmen steckt jedes Jahr 40 Mio. Euro in Forschung und Entwicklung." Das Produktportfolio aus Straßenbahnen, Doppelstockwaggons oder Lokomotiven sei auf dem aktuellsten Stand und wurde überwiegend in den letzten drei bis vier Jahren entwickelt. "Im Unterschied zu den großen Mitbewerbern aus Westeuropa sind die Entscheidungsprozesse in unserem Unternehmen noch schnell und flexibel."

Skoda Transportation ist bislang vor allem auf den Märkten des ehemaligen Ostblocks erfolgreich. Rund zwei Drittel des Umsatzes erzielt das Unternehmen durch Exporte. Künftig will es verstärkt in Westeuropa Fuß fassen. In Deutschland ist die Gründung einer Vertriebs- und Serviceniederlassung geplant.

Werkzeugmaschinen vor allem in Deutschland und Russland gefragt

Die starke Fokussierung auf die Auslandsmärkte zahlt sich für den tschechischen Maschinenbau derzeit voll aus. Während das Volumen der Ordereingänge auf dem Heimatmarkt im 1. Halbjahr 2013 um fast 3% zurück gegangen ist, stiegen die Exportaufträge um rund 2%. Den Trend bestätigt auch Petr Zemanek, Geschäftsführer des Verbands für Maschinenbautechnologie (SST). Dort sind vor allem Werkzeugmaschinen-Hersteller organisiert. Sie liefern 35% ihrer Produktion nach Deutschland, 15% nach Russland. "Unsere Firmen melden volle Auftragsbücher bis Jahresende", so Zemanek. Das größte Wachstum erwartet er im GUS-Raum.

Dank der Auslandsnachfrage kommt die einheimische Maschinenbaubranche erstaunlich gut durch die Rezession. Ihre Umsätze sind 2012 um 5% auf 240 Mrd. Kc (9,5 Mrd. Euro) gestiegen. Im laufenden Jahr setzt sich der Trend fort: Während das verarbeitende Gewerbe im 1. Halbjahr 2013 seine Produktion insgesamt um über 3% drosseln musste, konnten Hersteller von Maschinen und Ausrüstungen ihren Ausstoß gegenüber der Vorjahresperiode leicht um 0,3% erhöhen.

Auf dem Binnenmarkt müssen die Maschinenbauer wohl noch ein Jahr warten, bis die Nachfrage nach Ausrüstungsgütern wieder stärker anzieht. Nach Prognosen des Finanzministeriums werden die Anlageinvestitionen 2013 um fast 5% und 2014 um weitere 0,6% sinken. Wichtige Abnehmerbranchen für Maschinenbauprodukte stecken in der Krise. Dazu gehören Nahrungsmittelhersteller, Holzverarbeiter, Metallurgiebetriebe und der Bausektor.

Die deutschen Maschinenbauer, die Tschechien nach der Wende als Produktionsstandort entdeckt haben, spüren die Flaute aber bislang kaum;. ihre Kunden sitzen meist in den Wachstumsmärkten im Ausland. Dazu gehört die Firma Parabel aus der Nähe von Zlin, die sich auf Design, Entwicklung und Komponentenfertigung für Maschinenbauer spezialisiert hat. Geschäftsführer Michael Krüsselin findet den Standort ideal, vor allem wegen der Lohnkostenvorteile. "Außerdem können wir in der nahen Slowakei einen Großteil unserer Ausgangsmaterialien günstig einkaufen." Das Geschäft läuft gut, so dass Parabel in den letzten Monaten in Büro- und Lagerräume sowie in zusätzliches Personal investieren konnte.

Auf wachsende Umsätze hofft auch Udo Werner mit dem Werkzeug- und Maschinenhersteller SWA, den er 1992 in der Nähe von Pilsen mitgegründet hatte. Das Unternehmen entwickelt und produziert Ausrüstungen zur Herstellung von Innenausstattungen für Pkw, zum Beispiel von Instrumententafeln oder Türverkleidungen. Die Wahl fiel auf Tschechien, "weil das Land immer ein guter Maschinenbaustandort war", so Werner. "Deshalb hatten wir darauf gesetzt, hier gut ausgebildete Fachkräfte zu finden."

Unternehmen beklagen zunehmenden Fachkräftemangel

Die Hoffnung hatte sich erfüllt. Doch der Start zu Beginn der 1990er war nicht immer einfach und zuweilen "Pionierarbeit", erinnert sich der Manager. In einer Fabrikhalle der Agrargenossenschaft Stankov zogen die ersten Maschinen ein. Dort lief die Kohleheizung nur acht Stunden am Tag. "Gas- und Elektroleitungen mussten wir selbst zu den Gebäuden verlegen lassen, um die Maschinen betreiben und die Fertigung aufbauen zu können."

Heute ist SWA ein florierender Betrieb mit Sitz in Stod. Zu den Kunden zählen die führenden Kfz-Zulieferer weltweit. In der hauseigenen Entwicklungsabteilung arbeiten 25 Konstrukteure. Schweiß-, Guss- und Hydraulikteile ordert das Unternehmen in Tschechien. Kompliziertere Steuerungselemente für die Maschinen kommen aus Deutschland.

Trotz der langen Maschinenbautradition in Pilsen wurde es aber immer schwieriger, Fachleute zu finden. In den Jahren nach der Wende rieten die Eltern ihren Kindern davon ab, Werkzeugmacher oder Fräser zu werden, da man sich bei diesen "schwarzen" Berufen die Hände schmutzig machen könnte. "Dabei trifft das heute gar nicht mehr zu", so SWA-Chef Werner. Das Unternehmen bemüht sich, die praktische Ausbildung des Nachwuchses im eigenen Betrieb durchzuführen sowie Eltern und Schüler von der Zukunftsfähigkeit dieser Berufe zu überzeugen.

Ähnliche Erfahrungen hat Lutz Wächter gesammelt. Er leitet die Kranproduktion von Demag Cranes & Components in Slany, 30 km nordwestlich von Prag. Rund 170 Mitarbeiter sind in der Fabrik beschäftigt. "Schweißer oder CNC-Dreher werden überall gesucht", erklärt der Geschäftsführer. "Sie kennen ihren Marktwert und wechseln für ein paar Kronen mehr Lohn schnell den Arbeitgeber." Der deutsche Maschinenbauer investiert daher verstärkt in seine tschechischen Fachkräfte. Mit internen Schulungen, Bindungsverträgen, Bonussystemen sowie Events für die Mitarbeiter soll das Team zusammengehalten werden.

Denn Demag hat in Slany große Pläne. Nach der Übernahme durch den US-Baumaschinenkonzern Terex rechnet Geschäftsführer Wächter damit, dass das Werk noch mehr Produktionsaufträge bekommt. Bislang fertigt Demag in Tschechien spezielle Prozesskrane für die Automobil-, Flugzeug- und Papierindustrie sowie für Müllverbrennungsanlagen oder für die Stahlerzeugung. Bis zu 40 m lang sind die Hebegeräte mit einer Traglast von bis zu 300 t. Die Fertigungstiefe in Slany ist beeindruckend; die Krane entstehen von der Stahlplatte bis zum fertigen Produkt fast komplett in dem Prager Vorort. Vor kurzem wurde eine Werkhalle für die Elektromontage in Betrieb genommen. Ein 15 Mitarbeiter starkes Konstrukteursteam plant die Maschinen individuell nach Kundenwunsch.

Die Lohnkosten im Prager Speckgürtel liegen erst bei einem Drittel des deutschen Niveaus. "Außerdem sind die Mitarbeiter sehr engagiert", erklärt Geschäftsführer Lutz Wächter. Schwierig sei es zuweilen, Verständnis für die deutschen Qualitätsanforderungen zu erreichen. Auch bürokratische Prozesse, Genehmigungen oder Behördengänge dauerten oft länger als Zuhause, berichtet der Manager. Doch davon lässt er sich nicht abschrecken. "Wir planen den Zeitverlust von vornherein mit ein und ergreifen Sondermaßnahmen." Die deutschen Hochleistungskrane aus Tschechien erreichen ihre Kunden daher trotzdem pünktlich.

Tschechiens umsatzstärkste Maschinenbau-Unternehmen (in Mio. Kc) 1)

1) Wechselkurs 2011: 1 Euro = 24,59 Kc, 2012: 1 Euro = 25,14 Kc; 2) Umsatz der Gesamtgruppe Skoda Transportation, zu der Holding gehören auch die Unternehmen Skoda Vagonka, Skoda Electric und Pars nova

Quellen: Ranking Czech Top 100 (http://www.czechtop100.cz), Portal Podnikatel.cz, Presseagentur CTK, Fachpresse, Jahresberichte

Themen: Maschinenbau, Maschinenbaumesse MSV Brünn, gtai
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