Autorenblog

Blog der Autoren

25. November 2016

Gestern, gegen Abend, kam mir auf dem Rückweg vom Einkaufen ein Schwarm von sechzig Rollkoffern entgegen, der sich in mehreren Reihen, die ganze Bürgersteigbreite einnehmend, die Myslíkova hoch in Richtung Karlsplatz bewegte, wo wahrscheinlich bereits der Flughafenbus wartete. Die Leute, die zu den Koffern gehörten, waren dunkel gekleidet, so dass es wie eine schwarze Wand aussah, die einem entgegenrückte; in der Luft der Gesang der winzigen Räder.

 

23. November 2016

Morgens, noch bevor es richtig hell wird und die Leute mit den Fotoapparaten kommen, hetzen wie am Bonhoefferufer die Jogger über den Uferweg, und zwischen den Doppelfenstern hängen kleine Spinnen, die, wenn ich nicht hinschaue, an ihren unsichtbaren Fäden auf und absteigen. Auch die Kormorane sind da, die ungelenken, die Möwen und, immer wieder, die Schwäne.

21. November 2016

Unterwegs zur Lesung im Literaturhaus überlege ich, wo am Karlsplatz das Krankenhaus stand, zu dem Jiri Orten gebracht wurde. Und während ich noch darüber nachdenke, sehe ich an der Ecke Resslova/Karlsplatz einen Mann auf der Straße liegen, in stabiler Seitenlage, wie man sagt, reglos, während das Rad, mit dem er unterwegs war, ein paar Meter weiter liegt. Der Kofferraum des Autos, das ihn gerammt hat (und das ein wenig schräg zur Straße steht), ist geöffnet, auf dem Bürgersteig im Halbkreise die Gaffer.

Pragtag 9

Der Mann auf dem Foto ist Heider Heydrich. „Ein anständiger Kerl“, sagt die alte Dame. Sie hat ihn kennen gelernt, weil sie die Autobiographie seiner Mutter übersetzen sollte. „Aber das ging nicht“, sagt sie, „ich musste beim Lesen immer weinen“.

Das Buch von Lina Heydrich ist eine schlimme Zumutung. Der Titel „Mein Leben mit einem Kriegsverbrecher“, bezieht sich ironisch auf einen ihrer großen Nachkriegserfolge: Dass sie es geschafft hat, sich eine üppige Witwenrente zu erklagen – weil ihr Gatte einer regulären Kriegshandlung zum Opfer gefallen sei.

Lina Heydrich beschreibt ihren Mann, den „Organisator des Holocaust“, als jemanden, der rechtschaffend seine Pflicht erfüllt habe. Sie schildert ausführlich ihr gemeinsames Leben im Unteren Schloss von Panenské Břežany. Als ihr Sohn kürzlich anbot, für die Renovierung des mittlerweile verfallenden Anwesesens Geld zu sammeln, erntete er Entrüstungsstürme seitens der tschechischen Veteranenverbände.

Das Foto von Heider Heydrich, das aus dem Kalender der alten Dame gerutscht ist, zeigt einen Mann mit runden, geröteten Wangen. Der hagere Reinhard Heydrich ist nicht alt genug geworden, um zu so auszusehen. Dafür ähnelt Heider seinem Großvater. Der war Berufsmusiker und veererbte seinem Sohn genügend Begabung, um ein begeisterter Geiger zu werden. Auch in Prag besuchte er oft Konzerte.

Es ist ein Zufall, dass ich am Morgen des selben Tages die schaurige Krypta gleich bei mir um die Ecke besucht habe: Die Krypta von St.-Cyrill-und-Method, in der sich die Heydrich-Attentäter zuletzt versteckt hatten. Die gut besuchte Ausstellung deutet immerhin an, dass über das Attentat mehr zu berichten ist als ein Narrativ des Heroismus. Dass es auch um den Machterhalt der Exil-Regierung ging.

Was der Gedenkort aber Außen vor lässt, sind die dringenden Bitten des tschechischen Widerstandes, nicht Heydrich als Ziel eines Attentats zu bestimmen. Und die schwierige Frage, in welchem Verhältnis die tausenden Opfer der „Heydrichiade“ - und die damit einhergehende völlige Zerschlagung des Widerstandes – zum Erfolg des Attentats steht.

Die alte Dame lächelt.

Standort

XX

14. November 2016

Das magische Prag, an dem sich die Touristen berauschen (oder früher berauschten, als sie noch der Magie wegen herkamen und nicht weil man sich billig besaufen kann), lässt die Einheimischen vermutlich bloß die Augen verdrehen: Schon wieder dieser Schmonzes. Das Magische - was soll das denn sein? Was geht es den Straßenbahnfahrer aus Smíchov an, die Zahnärztin aus Strasnice? Das zieht ihnen genauso am Arsch vorbei wie die Berliner Eckkneipe der Verkäuferin aus Neukölln.

13. November 2016

Das Theaterfestival deutscher Sprache mit dem von Lars Eidinger gespielten Hamlet der Berliner Schaubühne im schönen Jugendstilbau des Theater in den Weinbergen, und beim Lesen des Programms wieder merken, dass mir die Faszination für das Theater verloren gegangen ist. Während ich früher weit gefahren bin, um eine Inszenierung zu sehen, bringt mich heute kaum noch die um die Ecke stattfindende Sensation aus dem Haus. Das Theater birgt keine Geheimnisse mehr, die Erwartungen sind aufgebraucht oder haben sich auf die Oper verlagert, und nicht nur mir scheint es so zu gehen.

12. November 2016

Beim Gang auf der Kleinseite an der Moldau entlang, mit Blick hinüber zu der in der Abenddämmerung funkelnden Neustadt, fast erschlagen von all der Schönheit und zugleich, zum ersten Mal in dieser Klarheit, der Gedanke: Das ist nicht mehr für dich, du brauchst es dir gar nicht einzuprägen. Und erkenne dann den Grund für die Abwehr.

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