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Abschied und Protuberanzen

Natürlich habe ich nicht geklingelt – also die Taste mit dem Herz zur Wohnung ein Stockwerk unter mir gedrückt, meine ich – und werde es auch während meiner letzten Tage in dieser Stadt nicht tun. Die meisten Morgen habe ich der Moldau gewidmet, bin so oft an ihr entlanggelaufen, dass ein freundliches Handzeichen zu den Fischern und Müllmännern, die ihre Tage auch beim Wasser beginnen, schon gerechtfertigt scheint. Mit einigen neuen Texten werde ich nach Hause fahren und der Lust, in diesem Tempo weiterzuschreiben.

Rekonstruktionsarbeit

Ich möchte ein Gedicht schreiben über diese Stadt. Wie bei fast allen Gedichten habe ich zuerst nur Bruchstücke im Kopf. Ich kann mich nie daran erinnern, wie diese Texte dort überhaupt erst zu Bruch gegangen sind, bin doch sonst nicht so ungeschickt und lasse alles fallen. Jedenfalls scheint dieses Gedicht eine Rekonstruktionsarbeit.

Herz und hinter Gittern

Auf die Klingeltaste der Wohnung ein Stockwerk tiefer hat jemand ein Herz geklebt, ausgeschnitten aus rotem Papier. Ich stelle mir vor, wer öffnen würde, wenn ich einmal klingelte, doch hätte ich dazu in Wahrheit nicht den Mut. Daran denke ich bei offenem Fenster, durch das die Moldauluft ins Zimmer flieht. Am Ende des Stückes, das gerade in Radio Classic Praha übertragen wird, konzentriere ich mich, um den Namen des Komponisten und des Interpreten zu verstehen, aber er wird gar nicht genannt. Ein paar Sekunden Stille, dann das nächste Stück.

Lydia Steinbacher

Die aus Niederösterreich stammende Autorin Lydia Steinbacher (*1993) ist Stipendiatin des Prager Literaturhauses im Juli 2017 und lebt und arbeitet in Wien. Sie begann bereits früh mit dem Schreiben. Im Jahr 2014 veröffentlichte sie "silex" (Berger Verlag), ihren ersten Gedichtband. Nach Lesereisen in Slovenien, Südtirol und den USA, führt es sie im Juli 2017 nach Prag.

Roman Israel

Roman Israel (* 1979 in Löbau) ist von Mai bis Juni 2017 für zwei Monate Stipendiat in Prag. 

Der freie Schriftsteller aus Leipzig schreibt Prosa, Lyrik, Hörspiele, Theaterstücke und macht Filme.

Er veröffentlichte außerdem in Zeitschriften wie Macondo und Belletristik sowie in Anthologien (Jahrbuch der Lyrik, Neubuch). Einige seiner Texte wurden ins Englische, Polnische, Ukrainische, Tschechische und Sorbische übersetzt. Roman Israel liest für die Lesebühnen SAX ROYAL und BOOK BROTHERS in Dresden und Leipzig und ist Mitglied im Schriftstellerverband Sachsen.

Post-Pragtag (14)

An meinem letzten Morgen in Prag stand ein gewaltiger Regenbogen über der Kleinseite. Für mich war das ein grandioses Abschiedsbild. Aber da, wo das eine Ende des Bogens seine Basis hatte, genau über dem Hradschin, scheint der Segen ja ziemlich schief zu hängen – vorsichtig gesagt. Der Finanzminister weigerte sich zurücktreten - trotz Steuerbetrugs und obwohl aufflog, dass er verdeckte politische Diffamierungs-Kampagnen in seinen Medien startete?

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Pragtag 12

„In diesem Moment bin ich erwachsen geworden“. Diesen Satz werde ich lange nicht vergessen. Vor allem die Situation nicht, in der ich ihn gehört habe. Ich stehe mit Frau St. am Parkplatz des Parkhotels in Holešovice, sie zeigt mir, wo die Baracke war. Die Baracke, in der sie sich zusammen mit ihren Eltern und Geschwistern für die „Abreise“ in den Osten registrieren lassen musste. Die Prozedur dauerte drei Tage, in der dieser Zeit musste die Familie, die zwei Straßen weiter ihre Wohnung hatte, bereits im Sammellager kampieren.

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Pragtag 10

Wer wird heute am Klavier sitzen? Das Public Playing auf öffentlichen Instrumenten scheint in Tschechien viel verbreiteter zu sein als im sonstigen Europa. Amsterdams öffentliche Bibliothek nennt sich „Wohnzimmer der Stadt“ und ist stolz, im Eingangsbereich ein Klavier stehen zu haben. Das darf aber nur benutzen, wer, so verlangt es die Hausordnung, „richtige Stücke“ zu intonieren vermag.

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