Prag - Am 1. April 2015 findet ein Angestellter beim Entpacken von Bananenkisten in einer Lidl-Filale in Prag über 100 Kilogramm reinsten Kokains. Eine solch große Menge des "weißen Goldes" hat vermutlich noch nie zuvor ein Mensch in Tschechien in den Händen gehalten.
Am Freitag, den 3. April informiert die tschechische Polizei über das Kokainpaket, wenig später läuft die Nachricht von dem unvorstellbaren Zufallsfund als Agenturmeldung über die Nachrichtenticker in die ganze Welt.
Den Kokainfund im Supermarkt mit einem Schwarzmarktwert von rund einer halben Milliarde Kronen (etwa 36,3 Millionen Euro) nahm die tschechische Wirtschaftszeitung Hospodářské noviny zwei Wochen später zum Anlass, den Weg der Droge Kokain vom Anbaugebiet bis zum Endkonsumenten in Prag nachzuzeichnen.
Wichtigste Quelle für diesen Drogenreport: ein Mann vom Fach, ein Ermittler der Nationalen Antidrogenzentrale (Národní protidrogová centrála), der aus verständlichen Gründen anonym bleiben wollte und daher von dem Blatt kurzerhand als "Luboš" bezeichnet wird.
Der von Hospodářksé noviny als bullig, athletisch und mit der Physiognomie eines Boxers beschriebene Kämpfer an vorderster Front gegen den Drogenhandel in Tschechien verrät Fakten über den Schwarzmarkt mit Kokain in der tschechischen Hauptstadt: Alles, was Sie schon immer über Koks in Prag wissen wollten, aber Ihren Chef oder Reiseleiter nicht zu fragen wagten.
Wer verkauft das Kokain?
Die Struktur des Kokainhandels vergleichen Experten oft mit einer Sanduhr. Während die Droge auf dem Weg aus dem Ursprungsland - an erster Stelle Kolumbien - in ihre westlichen Abnehmerländer zunächst so stark wie möglich konzentriert wird, wird sie, erst einmal im Zielland angekommen, immer weiter gestreckt. "Mit jedem zurückgelegten Kilometer steigt der Preis des Kokains und nimmt Qualität des Stoffs ab", fasst Hospodářksé noviny diesen Prozess zusammen.
Für den gewöhnlichen Dealer in Prag ist es am einfachsten und lukrativsten, das Pulver mit anderen Substanzen zu mischen und dann in Bars und Clubs oder auf der Straße an Ausländer zu verkaufen. Die kaufen, koksen, fahren heim und man sieht sich nie wieder - "sbohem".
Ein geschickter Dealer könne so während der Sommersaison in einer Nacht bis zu 100 Gramm verkaufen, so die Einschätzung von "Luboš". Das Kokaingeschäft sei dabei fest in der Hand der nigerianischen Mafia, in 90 Prozent aller Fälle erhalte man die Droge aus der Hand eines Schwarzafrikaners.
Die Geschäftsanbahnung auf der Straße folgt dabei einer bewährten Dramaturgie: Fragt man jemandem nach Kokain, so hat der mit Sicherheit nichts. Allerdings kennt der Angesprochene jemanden, der wiederum einen Dritten anruft. Der führt einen dann in eine kleine Seitenstraße an einen unbeobachteten Platz, wo der Dealer sich sicher und von der Polizei unbeobachtet fühlt, und von wo man nicht einfach verschwinden kann. "Beliebt dafür sind beispielsweise die Straßen Ve Smečkách und Krakovská, wo sich auch die meisten Nachclubs befinden", so "Luboš" von der Antidrogenzentrale.
Die beiden genannten Straßen zweigen seitlich vom oberen Ende des Wenzelsplatzes ab und gelten wegen etlicher dort angesiedelter Rotlicht-Etablissements als Brennpunkte der Prostitution in der tschechischen Hauptstadt.
Wie rein ist das Kokain?
Das auf der Straße erstandene Kokain habe dabei einen Reinheitsgehalt von maximal 15 Prozent erklärt der Drogenexperte. "Der Rest hängt ganz von der Kreativität und dem Gewissen derer ab, durch deren Hände die Droge gegangen ist. Im besten Falle zieht der Tourist in Prag ein paar Hundert Milligramm künstlichen Süßstoff oder Milch- oder Traubenzucker durch die Nase".
Tatsächlich jedoch werde das Kokain meistens mit Paracetamol und in letzter Zeit immer häufiger mit Entwurmungsmittel für Katzen gestreckt.
Was kostet das Kokain?
Der Preis für ein Gramm Kokain ist nach Aussage von "Luboš" dabei in den vergangenen Jahren ebenso wie die Qualität deutlich gesunken. Habe man früher noch mindestens 3000 Kronen für ein Gramm gezahlt, erhalte man inzwischen die gleiche Menge mitunter sogar schon für 800 Kronen.
Auch Kokain mit einem wesentlich höheren Reinheitsgrad ist in Prag erhältlich. Allerdings eben nicht auf der Straße. Bezogen wird es von zahlungskräftigen Stammkunden, die es von einem Dealer ihres Vertrauens beziehen. Für Kokain mit einem Reinheitsgrad von 75 Prozent bezahlen Kunden, zu denen auch Ärzte, Architekten, Manager und Schauspieler gehören, dann auch 2500 Kronen und mehr pro Gramm.
Ein solches De-luxe-Kokainvertriebsnetz bestehend aus einem Nigerianer als Hauptlieferanten und zwei Tschechen, die den Schnee an die Endkunden lieferten, sprengten die Drogenfahnder beispielsweise im September 2014 (Foto).
Die Dealer betrieben damals ihre illegalen Geschäfte unter dem Deckmantel eines Taxidienstes, tatsächlich wurde die Ware dabei immer telefonisch geordert und während einer kurzen Fahrt mit dem "Taxi" um den Block dann das Geschäftliche geregelt.
Doch ist der Markt in Tschechien nach Einschätzung des Ermittlers der Antidrogenzentrale nicht groß genug, um mit sehr reinem Kokain in großem Stil zu handeln.
Kokain im Supermarkt
Wie kommen also 100 Kilogramm Kokain in die Prager Lidl-Filiale? "Ein Logistikfehler", ist sich "Luboš" sicher. "Wer den Fehler verschuldet hat, den beneide ich nicht. Ich gehe davon aus, dass die Drogenmafia den Schuldigen schneller findet, als die Polizei und das mit ihm an Ort und Stelle ohne viel Papierkram erledigt."
Und so bedeutete die Meldung vom Ende der Reise der Kokainsendung in der Prager Lidl-Filiale wohl irgendwo auf der Welt auch das abrupte Ende des Lebensweges eines oder mehrerer Drogenspediteure. (nk)