Der Autor

Tom-Aaron Aschke, 1995 geboren, studiert über das Erasmus+ Programm im Wintersemester 2017/18 an der Karls-Universität in Prag Geschichte und Politikwissenschaften. Normalerweise studiert er an der Freien Universität Berlin und wird dort 2018 seinen Bachelor of Arts der Geschichte abschließen. 

Zukünftig plant er sich im Rahmen eines Masterstudiums auf die Geschichte und Politik Ostmitteleuropas zu konzentrieren. Seit seinem einjährigen Freiwilligenaufenthalt in Warschau 2013/14 beherrscht er die polnische Sprache und interessiert sich für die Vergangenheit und das Zeitgeschehen Polens. Mit dem Aufenthalt in Tschechien möchte er sich mit dem Nachbarland der ihm bereits vertrauten Staaten näher beschäftigen. 

Seit Oktober 2017 schreibt er für prag aktuell, insbesondere zu Ausstellungen und Veranstaltungen mit historischem Bezug. In seiner Freizeit hat er eine Leidenschaft für Fußballkultur entwickelt und möchte seinen Aufenthalt in Tschechien auch dazu nutzen, die dortigen Stadien und Fußballvereine kennenzulernen. Auf seinem Blog macht er diese Erlebnisse zugänglich, um andere dadurch zu inspirieren, zu amüsieren oder ihnen eine Orientierung im örtlichen Fußballgeschehen zu geben.

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Tom-Aaron Aschke

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Blog

| Tom-Aaron Aschke | Rubrik: Reise | 8.2.2018

Zu Gast im Nordböhmen

Ein Stadionbesuch beim Erstligisten FC Slovan Liberec

Vor Beginn meines Prager Universitäts-Semesters hegte ich, nicht ganz untypisch für die Zeit vor großen Reisen, allerhand Ambitionen was ich sehen und erleben wollte. Ganz selbstverständlich erschien es mir dabei, auch aus der Hauptstadt hinauszufahren und etwas von den Städten und Orten kennenzulernen, die in zentralisierten Staaten oftmals ein Nischendasein hinter der Hauptstadt und damit am Rande der mentalen Landkarte fristen. Einen vollständigen Eindruck von Tschechien zu bekommen war meine erklärte Absicht, die ich jedem den ich traf mit Freuden bekundete.

Nun haben es aber gerade Hauptstädte, die kulturellen und sozialen Zentren und Aushängeschilder, an sich einen in ihren Bann zu schlagen. Anfangs erinnert sich der schwache Wille noch an die früher geäußerten Absichtsbekundungen, die bald im vom Stadtleben aufgewirbelten Staub verschwinden. Prag umarmt einen und hält einen fest umklammert. Die Erinnerung an eine Außenwelt hinter den Stadtgrenzen fühlt sich nach einiger Zeit wie das zufällige Stöbern in verstaubten Regalen an.

Rückbesinnung

Das war die Ausgangslage als ich Mitte November von einem Bekannten aus Deutschland darum beneidet wurde, ein halbes Jahr in der tschechischen Hauptstadt zu verbringen. Allerdings nicht um der Hauptstadt willen, sondern um die Möglichkeit Fußballvereine im ganzen Land, wie den FC Slovan Liberec mit seinem wunderbaren Stadion und seinen noch wundervolleren Fans, zu besuchen. Und schon entstand in meinem Kopf die Mischung aus Melancholie und Sehnsucht, die einen überkommt, wenn man alte und zur Seite gelegte Pläne wiederentdeckt. Eilfertig versicherte ich ihm also, wie es in solchen Situation nie anders geschehen kann, mich um die Angelegenheit zu kümmern, sprich bei der sich nächst bietenden Möglichkeit einen Ausflug nach Liberec zu unternehmen. Kurz darauf befand ich mich zu nachtschlafener Zeit um sieben Uhr morgens an einem Samstag am Busbahnhof ,,Černý Most'', zu deutsch ,,Schwarze Brücke'', und hoffte dass die miteinander in interessanter Weise korrespondierenden Aussehen und Namen des Busbahnhofs kein Omen meiner Reise darstellen würden.

Die wolkenlose böhmische Hügellandschaft durchschnitt der Bus in nur einer Stunde. Ohne mir genau im Klaren darüber gewesen zu sein, weshalb diese frühe Uhrzeit nötig gewesen war, stand ich schon um 8 Uhr morgens am Zentralen Busbahnhof in Liberec. Meine Mitreisenden flossen schnurstracks aus dem Bus ihren Lieben oder ihrem warmen Zuhause entgegen. Ich blieb stehen und versuchte mir ein Bild der Lage zu machen. Hinzufügen muss man, dass es außerhalb der Hauptstadt Prag meistens noch einmal 2 bis 3 Grad kälter ist als im Zentrum der Hauptstadt, was mich schnell alle meine Gedanken darauf fokussieren ließ, wie ich mich möglichst lange vor dem Erfrierungstod retten könnte. Im Allgemeinen sind Ausflüge aus der Hauptstadt Prag in das böhmische Umland nicht von unüberwindbaren Hindernissen gekennzeichnet. Der Bus nach Liberec kostete nicht mehr als eine Einzelfahrkarte der Berliner Verkehrsbetriebe und die Reisezeit von wahlweise 1-2 Stunden verstreicht meistens im Flug.

Unter der Oberfläche

In Liberec, das bis zur Vertreibung und Aussiedlung der Deutschböhmen nach dem Zweiten Weltkrieg Reichenberg hieß, und im nördlichen Grenzgebiet der Tschechischen Republik liegt, kann man auch ohne Fußballspiel allerhand entdecken und erleben. Bekannt ist die Stadt vor allem für ihr im Stil der Neorenaissance erbautes Rathaus, das prominent am náměstí Doktora Edvarda Beneše (dt.: Doktor Edvard Beneš-Platz) in der Altstadt steht. Im Windschatten hinter dem Rathaus steht das Theater der Stadt. Beide Gebäude verweisen in ihrem Stil und ihrer Bauzeit aus dem Ende des 19. Jahrhunderts auf die Vergangenheit Böhmens in der österreichischen Habsburgermonarchie. Das Theater wurde vom bekannten Wiener Architektenbüro Fellner und Helmer entworfen, die ihre Bautätigkeit in fast allen Kronländern der Monarchie entfalteten. Das Rathaus lehnt sich stilistisch an das Wiener Rathaus an. Da Liberec als Stadt von rund 100.000 Einwohnern recht beschaulich ist, konnte ich meine Erkundung zu Fuß zurücklegen und spontan über meinen Weg entscheiden. Das führte mich unter anderem in ein Villenviertel hinter der Altstadt, das gewissermaßen Freiluftmuseum und Wohnort in einem war. Jedes Haus erzählte von der Geschichte des früher überwiegend von Deutschen bewohnten Ortes. Ein gewaltiges Gebäude trägt als Ausweis seiner Bestimmung eine steinerne Widmung an seine ,,Majestät Kaiser Franz-Joseph I.''. Andere Häuser weisen deutschsprachige Inschriften ihrer früheren Bewohner oder Angestellten auf. Dazwischen findet sich in einem Garten eine Gedenkbüste des ehemaligen tschechoslowakischen Staatspräsidenten Tomáš Garrigue Masaryk. Ich stehe also zwischen diesen versammelten Inschriften und Symbolen und es kommt mir sehr skurrill vor. Die Stadt spricht heute tschechisch, aber viele Wegmarken zeigen in eine komplexere Vergangenheit als es die Gegenwart einem manchmal weismachen möchte. Mit aufmerksamem Auge wird man sich schnell der Brüche bewusst, die die Stadt in ihrer nahen Vergangenheit erlebt hat und fühlt sich von der Gegenwart hinters Licht geführt.

Nach einer ausgedehnten Runde durch die Stadt, einem Zwischenstopp im Nordböhmischen Museum, das sich überwiegend mit Heimatkunde und Kunst beschäftigt, am Zoo vorbei, durch ein Waldstück, auf serpentinenähnlichen Straßen durch ein ruhiges Wohngebiet und schließlich am spärlich bevölkerten Ufer eines langgestreckten Sees entlang, erreiche ich wieder das Stadtzentrum. Schon jetzt hat mich der Ausflug glücklich gemacht, dabei steht der Anlass meines Besuches überhaupt erst noch bevor. Und als wenn der Himmel mir mit Nachdruck dazu verhelfen möchte das Stadion zu finden, beginnt es unbeschreiblich stark zu schneien. Dicke nasse Schneeflocken legen sich über die Stadt und wischen einem übers Gesicht. Als ich in ein kleines Wohngebiet einbiege, tauchen hinter und neben mir die ersten Fans auf. Das ist vor jedem Spiel einer der interessantesten Momente. Wenn in den unwahrscheinlichsten Straßen und Ecken mit einem Mal Fans, Bier und Schals auftauchen. Nah oder fern vom Stadion, erkennbar oder nicht, diskutierend, schweigend oder manchmal singend, streben sie alle zum Stadion wie zu einer Heiligen Messe. Die unterschiedlichsten Orte und Menschen werden miteinander verknüpft. Sie alle streben wie die Metallteile einem Magneten, dem Stadion zu, das eine unvergleichbare Atmosphäre bietet.

Im Kessel wird es gemütlich

Zwar bin ich eine Stunde zu früh und es hat Temperaturen um den Gefrierpunkt, dennoch hat sich eine kleine Menge bereits eingefunden. Die Kassiererin händigt mir gutgelaunt ein Ticket aus und erkundigt sich, woher ich komme. Im Stadion hat man als Besucher freie Sitzplatzwahl und kann bis auf den Gästebereich frei durch die Blöcke diffundieren. Das Stadion u Nisy (Stadion an der Neiße) ist einen kleines, gut erhaltenes, und äußerst liebenswürdiges reines Fußballstadion. Es liegt bequem eingefügt zwischen der Lausitzer Neiße, die in Nordböhmen entspringt, und einem größeren Hang, auf dessen Kopf eine alte Schule thront. Man kann das Stadion also nur nach Süden über eine kleine Wiese oder nach Norden zum Trainingsgelände hin verlassen. Der Ort kommt dem was sich Fußballfans unter einem ,,Kessel'' vorstellen schon recht nahe. Am unteren Rand der Haupttribüne steht man ohne viele Schutzmaßnahmen schon fast auf dem Spielfeld und kann an den Gesprächen der wartenden Auswechselspieler teilnehmen. Beim Aufwärmen muss man darauf Acht geben, dass man von keinem der fehlgeleiteten Schüsse der Spieler getroffen wird. Leider wird das Stadion heute nicht voll, obwohl das Spiel gegen den SK Sigma Olomouc, in dem beide Teams um die oberen Tabellenplätze spielen, theoretisch vielversprechend ist. Die Stimmung ist dennoch gut. Im Fanblock von Slovan jedoch tauchen heute mehr Banner auf als Fans. Zumindest ist mehr als die Hälfte des Blocks mit den Transparenten vollgehangen. Irgendwo um sie herum stehen die Anhänger selber und machen sich das gesamte Spiel über durch Gesang bemerkbar.

Auch wenn die Zuschauerzahl, wie gesagt, nicht hoch ist, wofür die Temperatur jede Rechtfertigung gibt, ist die Fanszene von Slovan offenbar recht zerfasert. Nach einiger Zeit bezieht links an der Haupttribüne, und damit näher an den Gästefans als am eigenen Block, eine rund 20-köpfige Gruppe von jungen Fans Stellung, die lautstark zu singen beginnt. Würde ich ihnen in Berlin begegnen, hielte ich sie für eine Gruppe Linksradikaler. Hier weiß ich noch nicht was los ist und beobachte die Gruppe interessiert. Zu gerne wüsste ich, was sie dazu bewogen hat auf die eher ruhige Haupttribüne zu wechseln. Mitte der zweiten Halbzeit gibt es dann in ihrer Ecke erst Aufregung, und darauf hin zuströmende Ordner mit ihren gelben Leibchen. Kurz darauf wird ein einzelner, grimmiger Mann mit Glatze abgeführt, noch etwas später dann die gesamte junge Gruppe geschlossen von der Polizei aus dem Stadion eskortiert. Scheinbar geht es in der Fanszene von Slovan weniger romantisch zu, als es die Lage des Stadions und der bisherige Eindruck nahegelegt haben. Dennoch scheinen in Liberec Anspruch und Wirklichkeit nahe beeinanderzuliegen. Bei Slavia und Olympia klafften die Stadien und die Wirklichkeit der Besucherzahlen etwas zu deutlich auseinander, was die Vereine aber nicht größer erscheinen ließ als sie es waren, im Gegenteil. 

Das Spiel lässt sich einfach zusammenfassen. Liberec schießt ein Tor, Olomouc hält gegen Ende mehr verzweifelt denn hoffnungsvoll dagegen. Die Nordböhmen können ihren Vorsprung teilweise recht ansehnlich über die Zeit bringen. Am Ende steht es 1:0 für die Heimmannschaft, alle wirken zufrieden, wenn auch keine Ausgelassenheit eintritt. Aber das war bei diesen Temperaturen auch nicht zu erwarten. Ganz anders scheint die Stimmung bei den Gästen aus Olomouc. In deren Reihen fühlen sich einige junge Männer gegen Ende dazu hingerissen, sich die T Shirts vom Leib zu reißen und hoffen fortan unter Einsatz ihrer nackten Oberkörper, dem Spiel eventuell dadurch doch noch die entscheidende Wendung zugunsten ihrer Mannschaft zu geben. Beim Fußball wiegt das Ritual des Ablegens der alltäglichen echten oder halluzinierten Zwänge eben oftmals doch mehr, als alle anderen rational begründbaren Versuche der Mannschaft, an die man sein persönliches Wohl gekettet hat, zum Sieg zu verhelfen.

Eine kleine Exkursion

Ich für meinen Teil bin froh die Reise in den Norden des Landes auf mich genommen zu haben und in absehbarer Zeit im Reisebus mit dem Auftauen meines Körpers beginnen zu können. Auch wenn ich mit Empfehlungen und Ratschlägen sonst eher sparsam umgehe, möchte ich für einen Ausflug nach Liberec gerne eine Ausnahme machen. Es ist erstaunlich, wie viele Menschen sich auch in einer relativ leer wirkenden Stadt am Wochenende im Stadion einfinden. Es macht einfach Spaß sich mitten zwischen die Menschen zu setzen, während Würste verdrückt und fußballerischen Fachwissen ausgetauscht werden. Meistens passiert irgendetwas spannendes. Wenn es keine Tore sind, dann doch zumindest Einfälle der einzelnen Fanlager, wie mit der Flaute auf dem Spielfeld umzugehen sei. Für Liebhaber von Stadionarchitektur ist vor allem die Haupttribüne vom FC Slovan ein Highlight. Auch abseits des Stadions ist Liberec eine sehenswerte Stadt, vorausgesetzt man interessiert sich für Architektur und Geschichte. Wer sich Zeit nimmt und spazieren geht, kann einen Eindruck davon bekommen, welche staatlichen Autoritäten sich hier bereits die Türklinke in die Hand gegeben und welche Ideologien und unterschiedlichen Herrschaftsformen die Vergangenheit der Stadt bestimmt haben. Natürlich geht das auch in Prag. Aber dort erwartet man auch nichts anderes, sobald man die Stadt betritt. Liberec beweist unaufgeregt was auch Orte außerhalb der bekannten Zentren bieten können. Vielleicht kann der beschauliche, aber durchaus aktive und sehenswerte Fußballverein der Stadt einen geeigneten Anlass bieten, dieser eine Chance zu geben.

Historie, Hintergrund, Praktisches

Der FC Slovan Liberec spielt in der höchsten tschechischen Spielklasse, der HET Liga. Der Verein ging im Jahr 1958 aus einer Fusion der beiden Vereine Slavoj Liberec und Jiskra Liberec, unter dem Namen TJ Slovan Liberec, hervor. Erfolgreich wurde Slovan jedoch erst nach der Gründung der Tschechischen Republik und der neuen tschechischen Spielklasse 1993. Während man in den 90er Jahren in der oberen Tabellenhälfte mitspielte, gelang 2002 die erste tschechische Meisterschaft, zudem als erste Nicht-Prager Mannschaft. 2006 und 2012 konnte dieser Erfolg wiederholt werden. Auch in den europäischen Wettbewerben machte der Verein von sich reden. Dreimal scheiterte man, teilweise knapp, an der Qualifikation für die Champions League. In der Saison 2013/14 schied man erst im Sechzehntelfinale des UEFA Cups gegen den AZ Alkmaar aus. Seine Heimspiele trägt der FC Slovan Liberec im Stadion u Nisy aus. Eintrittskarten sind regulär ab 100 Kronen zu haben (ermäßigt ab 70 Kronen), was umgerechnet momentan etwa vier Euro entspricht.

Bildnachweis:
Tom-Aaron Aschke
Externer Link: fcslovanliberec.czfcslovanliberec.cz
Stadion u Nisy
Na Hradbách 1300/17
460 01
Liberec
Region Liberec (Liberecký kraj)
Tschechische Republik
info@fcslovanliberec.cz
+420 485 103 714

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