www.galerierudolfinum.czwww.galerierudolfinum.cz | Pressemitteilungen | 10.4.2018
Vernissage: am 10. 4. 2018 um 18 Uhr in der Eingangshalle zur Galerie Rudolfinum. Kurator: Petr Nedoma

Prag - Ein Mitglied der YBAs, Young British Artists, genannten Gruppe in der ersten Hälfte der 90er Jahre zu sein, bedeutete ein Teil der künstlerischen Gang zu sein, die zum Durchsetzen der britischen Kunst in der Welt beigetragen hat.

Mat Collishaw gehörte zum Kern dieser Gruppe. Sein erstes Werk, das ihn berühmt machte – Bullet Hole – stellte er im Jahr 1988 auf Freeze aus, einer Ausstellung, die sein naher Freund Damien Hirst veranstaltete. Das Werk war brutal, riesig und den Kritikern nach wies es im besten Fall auf das religiöse Echo des Motivs des ungläubigen Thomas hin, im schlimmeren Fall rief es sexuell gefärbte Vorstellungen hervor. Die ganze Gruppe produzierte eine Art Kunst, die auf Horror, Schock und Skandal baute, also auf den künstlerischen Vorgehensweisen, die in Boulevardzeitungen, den Tageszeitungen mit großen Schlagzeilen, eine Paralelle und auch Unterstützung fanden. Kaum jemand hat aber damals bemerkt, dass ihr Schaffen eine tiefere und ernstere Bedeutung hatte. Mit der Zeit wurden die, die verharrten, ernster, ihre Werke verinnerlichten sich, die absichtliche Kontroverse war nach zwanzig Jahren schon ein Teil des künstlerischen Establishments, also nicht mehr interessant, Wege trennten sich, jeder suchte sein eigenes Thema.

Die Prager Ausstellung von Mat Collishaw (1966) mit dem kennzeichnenden Titel "Stehende Gewässer" wird mit einem fast prophetischen und zugleich programmatischen Photo eingeleitet, dem Autoporträt "Narcissus" aus dem Jahr 1990, das einen jungen Künstler zeigt, der im Schlamm auf der Londoner Straße liegt und mit einer gewissen ironischen Hyperbel sein Gesicht in der schmutzigen Pfütze wohlgefällig betrachtet. Man sieht das Hohe und das Niedere, das ephemer Erhabene und den schlammigen Dreck, ausweglose Zeitlosigkeit und den Hinweis auf die antike Sage. Mit ein bisschen Übertreibung kann man sagen, dass Collishaws künstlerische Laufbahn, die er schon lange folgt, sich gerade in diesem Rahmen konsistent und ständig entwickelte.

Für die Ausstellung in der Galerie Rudolfinum wurde, bis auf ein paar Ausnahmen, der Querschnitt durch das aus dem vergangenen Jahrzehnt stammende Werk des heute fast zweiundfünfzigjährigen Künstlers ausgewählt. Akzentuiert wurde die inhaltliche und formale Bindung an die Kunst der Vergangenheit. Die Art, wie seine Themen artikuliert werden, kann man wahrscheinlich am besten mit der Metapher eines Überschreitens der Schwelle zwischen der realen Welt und einem sonderbaren Traum ausdrücken. Die Impulse aus der Vergangenheit sind mit feiner Sensitivität, mit unbeirrbarer Empfindlichkeit für ihre spezifisch verschärfte Grenzqualitäten erwählt. Sie streben zum Punkt der Kollision zwischen der Schönheit und dem Horror, dem strahlenden Licht und der unendlichen Dunkelheit zu, es sind Werke, bei denen wir spüren, dass es nur sehr wenig reicht und sie könnten sich in ihr Gegenteil verwandeln. Das doppelte Janusgesicht von Collishaws Schaffen, das ständige Aufprallen von zwei verschiedenen Perspektiven, das Einfügen der Vergangenheit in die Gegenwart, das Erzeugung der Spannung bis zur Grenze einer unangenehmen Gespanntheit, das alles sind Mittel der Beunruhigung, der Exzitation, die den Betrachter ganz zuverlässig dazu führen, seinen eigenen Standpunkt einzunehmen, über den vom Künstler angedeuteten Weg nachzudenken und nicht auf der Oberfläche haften zu bleiben.

Der Erzähler Collishaw benutzt gern als Konzept verschiedene Geschichten aus der Vergangenheit, ohne sie nach hohen und niedrigen, nach großer Literatur und zweifelhaften Stories, nach Paraphrasen der Gipfel der bildenden Kunst und der blutigen Geschichten aus Boulevardzeitungen zu sortieren. Als Beispiel sei hier die Serie von Fotografien der formal einwandfreien Stilleben nach den holländischen Mustern aus dem 17. Jahrhundert erwähnt. Die Fotoserie benannte Collishaw Last Meal on Death Row. In Wirklichkeit sind das letzte Wünsche der konkreten zum Tod Verurteilten in amerikanischen Gefängnissen.

Der Autor arbeitet oft mit ambivalenten Motiven der verdeckten Gewalt, die so präsentiert ist, dass man sie nur, wie in Horrorfilmen, erraten kann, ohne ein Tropfen Blut zu sehen, zum Beispiel "Children of a Lesser God". Ein Schock, meint Collishaw, belebt den Menschen immer und immer beinhaltet er verführerische Schönheit und ist im gewissen Sinne eine seriöse Vorgehensart. Übrigens schmutzige Füße der knienden Pilger im Vordergrund des Bildes Rosenkranzmadonna von Caravaggio aus dem Jahr 1607 waren damals auch ein riesiger Skandal.

Im krassen Kontrast zum leicht distanzierten Spiel mit technologischen Kuriositäten des Anfangs des 20. Jahrhunderts (All Things Fall, End of Innocence, Albion usw.) steht "Deliverance" (2008), eines der zentralen Werke der Exposition. Die Tragödie der Geisel in der Schule von Beslan am Anfang September 2004 tritt aus der Dunkelheit in inszenierten Fragmenten der gespannten Situationen bei dem Rettungsversuch. Einzelne Szenen blitzen scharf auf, phosphoreszieren, langsam grünlich verblassen und endgültig verschwinden, um nach einer Weile als Memento noch eindringlicher zurückzukehren. Es gelang dem Autor eine außerordentlich wirksame technologische Vorgehensweise zu finden, wie die tragische Situation glaubwürdig zu vergegenwärtigen, das vergangene Ereignis in die Gegenwart zu bringen, ohne den Situationskontext und seine emotionelle Ladung zu verlieren.

Die alte Kunst zu reflektieren muss nicht unbedingt nur einen Abstieg zu den Wurzeln bedeuten. Mat Collishaw hat die einzigartige Fähigkeit, aus alter Kunst ihre außergewöhnliche Aura herauszuholen, die dann im neuen gegenwärtigen Kontext funktioniert. Seine Aufmerksamkeit fokussiert er vor allem auf das Potential der Reinterpretation, auf Inszenieren der visuellen Sensation, und oft behält er nur ein Echo der ursprünglichen Bedeutungen. Aus der freien Serie "Black Mirror", von der im Rudolfinum zwei Caravaggios Pendant-Bilder in prunkvollen Murano-Glas Rahmen hängen, wählte Otto Urban, der Kurator der Nationalgalerie, eine Paraphrase des Bildes A Different Self von George de la Tour als Intervention in die Barocksammlung der Nationalgalerie in dem Sternberger Palais. Die in die Vergangenheit orientierte Konfrontation mit den Originalbildern von Tintoretto, Ribery, Rubens oder van Dyck und anderen bringt anregende und inspirative Fragen, die unerwartete Bindungen und Zusammenhänge entdecken.

Die Mat-Collishaws-Ausstellung "Standing Water" ist ein Projekt, das restlos die Idee einer wesentlichen und kontinuierlichen dramaturgischen Entwicklungslinie der Galerie Rudolfinum erfüllt, die die tiefen und inspirativen Verbindungen der gegenwärtigen Kunst mit der Geschichte und der Kunstgeschichte folgt. Von den britischen Künstlern, die in der letzten Zeit im Rudolfinum ihre Werke ausstellten, können wir in diese Linie Brüder Chapman, Ged Quinn, Raqib Shaw, Glenn Brown und andere einordnen.

Zu der Ausstellung wird ein Katalog mit dem grundlegenden Essay vom Kurator der Ausstellung Petr Nedoma und dem Interview von Kurator der Nationalgalerie Otto Urban mit dem Künstler herausgebracht. Neben Reproduktionen von allen ausgestellten Werken beinhaltet der Katalog auch Aufnahmen aus der ganzen Ausstellungsinstallation. Diese wurden erst direkt vor der Eröffnung der Ausstellung gemacht, deswegen erscheint der Katalog erst am Anfang Mai.

Im Mai wird parallel zur Ausstellung der ARTPARK in einer neuen, thematisch auf das Werk von Mat Collishaw orientierten Gestalt eröffnet. Dort wird auch der Einblick in die Animationstechniken und die neuen Medien angeboten, die der Künstler verwendet und die seine Arbeit auch den kleinsten Besuchern interaktiv näher bringen. Gleichzeitig bleibt der ARTPARK auch ein Ort der kreativen Rast. Begleitende Programme für Schulen und die Öffentlichkeit oder regelmäßige Workshops für Kinder bilden einen selbstverständlichen Teil des Projekts.

Die Ausstellung "Mat Collishaw. Standing Water" ist dank der Unterstützung der Stiftung Nadační fond AVAST kostenlos zugänglich.

Autor:
Pressemitteilung der Galerie Rudolfinum vom 9.4.2018
Bildnachweis:
Mat Collishaw, Albion, 2017, Courtesy the artist and BlainSouthern, Photo Peter Mallet

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