Vor vierzehn Jahren verließ ich Prag als französische Kulturmanagerin; heute komme ich als Berliner Comic-Autorin zurück. Berlin hat mir erlaubt, zu werden, wer ich heute bin – und doch begann alles hier, in Prag.
Hier in Prag, und genauer gesagt im Französischen Institut in der Štěpánská ulice – zehn, fünfzehn Minuten zu Fuß von hier. Es war im November 2008, das Komiksfest, das Comicfestival. Lewis Trondheim war eingeladen und hielt einen Vortrag im Bistro des Instituts, der – ich übertreibe nicht – mein Leben verändert hat. Er sprach über seine Arbeit und sagte irgendwann etwas in der Art: „Um einen guten Comic zu machen, muss man kein Meister im Zeichnen sein – wichtig ist, wie man Geschichten erzählt.“
Dieser Satz traf mich wie ein Blitz.
Ich war schon damals leidenschaftliche Leserin von Comics, eine Leidenschaft, die ich dank der Bibliothek des Französischen Instituts pflegen konnte, wo ich ein paar Monate lang gearbeitet hatte. Aber ich hatte Politik und Kulturmanagement studiert, nicht Zeichnen. Zwar kritzelte ich gern, doch nie hatte ich mich getraut … bis zu diesem einen Satz. Oder war es der Tonfall, der für mich entscheidend war? An jenem Abend jedenfalls ging ich zurück in meine Wohnung in Vinohrady, nahm aufgeregt, fast schüchtern, ein winziges Blatt Papier und einen Stift – und kritzelte meinen allerersten Comic. Eine kleine Szene, zwei oder drei Panels, aus meinem Alltag herausgegriffen.
Am nächsten Tag zeigte ich das Blatt meiner Freundin C. – und sie ermutigte mich: „Super! Mach weiter!“
Also machte ich weiter. Ich kritzelte auf lose Zettel, in Notizhefte. Dann scannte ich die Zeichnungen, kolorierte sie in Photoshop, stellte sie auf einen Blog – damals boomten Comic-Blogs. Rund hundert kleine Comics später, im Jahr 2011, verließ ich Prag.
In Berlin lernte ich zunächst Deutsch, studierte Journalismus, arbeitete in einem Verband freier Theater. Ich war überlastet – aber den Comic vergaß ich nie. Ich ging in die Comicbibliothek Renate, nahm Kurse, lernte Leute kennen, fing wieder an. Und hörte nie mehr auf.
Heute, während ich in der Literaturhaus-Residenz an meinem dokumentarischen Comic-Projekt Menschen wie alle anderen arbeite – einem Projekt über antisemitische Bilder und ihre Wirkung, basierend auf der größten Sammlung antisemitischer Bildquellen weltweit, die Arthur Langerman zusammengetragen hat … Während ich also meine Tage damit verbringe, einen imaginären, hitzigen Dialog zu zeichnen zwischen meinem gezeichneten Alter Ego und einer „Arierin“ aus den Illustrationen des Nazi-Zeichners Philipp Ruprecht … da denke ich zurück an jenen Novemberabend 2008 im Französischen Institut Prag, an Lewis Trondheims Satz, ohne den ich vielleicht heute nicht hier wäre.
So war es mit kaum verhohlener Rührung, dass ich nun ins Institut in der Štěpánská ulice zurückkehrte, um einen Comic-Workshop mit einer Schulklasse aus Prag 4 zu veranstalten. Ich bat die Schüler:innen, kleine Comics zu zeichnen, die ihre Gefühle zu Europa ausdrücken. Sie haben mich überrascht, berührt – ihre Bilder waren spontan, ehrlich und manchmal unerwartet. „Es hat mir gefallen, meine Gefühle in Bildern auszudrücken.“ – „Mir ist klar geworden, dass Zeichnen gar nicht so schwer ist.“ – „Die Übungen fand ich lustig, ich werde sie wiederholen und anderen zeigen“, schrieben einige am Ende auf kleine Zettel. Wer weiß – vielleicht kehrt eine oder einer von ihnen in zehn, zwölf oder vierzehn Jahren zurück, um hier selbst einen Workshop zu leiten. In diesem etwas magischen Ort – wo für mich alles begonnen hat.
(Die Fotos wurden während des Comic-Workshops am 24. September 2025 im Institut français in Prag aufgenommen, die Bilder stammen aus den Werken der Schüler:innen).