prag aktuellprag aktuell | Rubrik: Kultur, Feuilleton | 27.11.2018
Gespräch mit Filip Barankiewicz, dem künstlerischen Leiter des Prager Nationalballetts

Prag - Wo sich die Gassen der Prager Altstadt an die Moldau tasten, liegt am Anenské náměstí das ehemalige Dominikanerinnenkloster. Nonnen gibt es hier seit mehr als 200 Jahren nicht mehr. Stattdessen dient der mächtige Barockbau heute dem Ballett des Tschechischen Nationaltheaters (ND). In einem Seitenflügel feilen am Vormittag Tänzer zu Klavierbegleitung eine Szene aus. Im ersten Stock des anliegenden Trakts sitzt Filip Barankiewicz an seinem Arbeitsplatz. Der 42-Jährige ist seit Herbst 2017 Direktor des Tschechischen Nationalballetts. Zuvor hatte der gebürtige Pole jahrelang am renommierten Stuttgart Ballett gewirkt, zuletzt als gastierender Ballettmeister.

Im Gespräch mit prag aktuell zieht Barankiewicz Bilanz über das erste Jahr an seiner neuen Wirkungsstätte, hebt Highlights der laufenden Saison hervor und gewährt Einblicke ins Leben seiner multinationalen Familie in einer internationaler werdenden Metropole. 


 

Interview von Georg Pacurar



prag aktuell: Herr Barankiewicz, Ihre erste Saison als Direktor des Tschechischen Nationalballetts glich einem Traumstart, 13 Produktionen, über 120 Aufführungen, insgesamt 100.000 Zuschauer, fast immer ausverkauftes Haus. Hatten Sie mit so einem Start gerechnet?

Filip Barankiewicz: Nein, das hätte ich mir nie träumen lassen. Das Ensemble hat eine fantastische Arbeit hingelegt, und das fast mühelos, würde ich sagen. Die Tänzer wechseln von kantigen modernen Stücken zu klassischem Repertoire mit einem Elan, den man förmlich spürt, wenn sie auf der Bühne sind. Es ist kein künstliches, aufgesetztes Lächeln, sie haben wirklich Spaß an der Sache, glaube ich.

Als Erfolg betrachte ich auch, dass es gelungen ist, die Arbeit am Ballett neu zu organisieren, zu strukturieren. Ich habe jede Aufführung und jede Rolle mit den Ballettmeistern vorab besprochen, sodass wir bereits im Sommer wussten, was im nächsten halben Jahr passiert. Ich glaube, diese Organisation hat hier gefehlt, es gab nicht einmal Wochenpläne, es wurde von heute auf morgen gearbeitet. Als wir in der vergangenen Saison beispielsweise "La Bayadère" gaben, war es eine andere "Bayadère", und ich rief auch Javier Torres dazu, den Choreografen um mit ihnen zu arbeiten, was wiederum sehr wichtig war.

prag aktuell: Wie hat die neue Saison begonnen? Sie hatten ja gleich zu Beginn eine Ballett-Legende zu Gast, Jiří Kylián. Seine 4 Choreografien mit dem Titel "Bridges of Time" wurden im Rahmen der 100-Jahres-Feiern zur Gründung der Tschechoslowakei uraufgeführt.

Filip Barankiewicz: Mit Jiří arbeiten zu dürfen, das ist wirklich ein Erlebnis und ein Privileg. Für ein Ensemble ist es schon eine Ehre, wenn er eine Premiere besucht. Wenn er für zwei, drei Stunden ins Studio kommt, kann man von Glück reden. Aber wir hatten ihn hier ganze zehn Tage. So etwas gibt es nicht oft. Jiří hat die Tänzer angespornt, inspiriert, und umgekehrt gaben auch sie ihm Inspiration, das konnte man spüren. Gleichzeitig mit Jiří Kylián hatten wir übrigens auch Mikhail Baryshnikov hier, der sein Programm mit Texten des Nobelpreisträgers Joseph Brodsky aufführte. Also Kylián und Baryshnikov auf einmal, das ist schon ein Erlebnis.Und wenn Baryshnikov dir auch noch die Hand gibt und sagt, Filip, du hast ein feines Ensemble hier, dann ist das ein Kompliment, das einem das Herz höher schlagen lässt.

prag aktuell: Wo wir bei schon bei großen Namen sind. Als Sie noch als Tänzer aktiv waren und in Australien gastierten, kamen die Kritiker dort in Schwärmen. Eine Rezensentin verglich Sie damals mit Rudolf Nurejew. Wie fühlt sich so ein Lob an?

Filip Barankiewicz: Also, ich denke prinzipiell, dass man  zwei verschiedene Tänzer nicht vergleichen kann. Ich sehe mich nicht als Nurejew und würde auch niemals in die Richtung denken. Klar habe ich immer schon Idole gehabt, wie zum Beispiel gerade Baryshnikov, aber ich würde mich niemals mit solchen Persönlichkeiten vergleichen. Was vielleicht vergleichbar war, und das meinte vermutlich auch die Rezension, das war diese Energie, die ich ausgestrahlt habe, als ich tanzte. Ich habe das wirklich jedes Mal genossen, egal wie groß oder klein die Rolle war, ich habe jedes Mal auf der Bühne gelebt. Das war vielleicht das, was die Leute gespürt haben.

prag aktuell: Sie haben sehr früh mit dem Ballett angefangen. Welche Rolle hat dabei Ihr Vater gespielt, der auch Tänzer war. Was hielt er davon?

Filip Barankiewicz: Überhaupt nichts. Er sagte, wenn du Ballett tanzen willst, kannst du damit anfangen, wenn ich tot bin. Aber meine Eltern lebten getrennt, und meine Mutter, bei der ich aufgewachsen bin, hat sich über seine Entscheidung hinweggesetzt und mich gegen seinen Willen an der Ballettschule in Warschau angemeldet. Die Eingangsuntersuchung damals war sehr streng, sehr genau, also was die anatomischen, gesundheitlichen Voraussetzungen betrifft. Damals kamen sie zu dem Urteil, naja, mal sehen, ob das was wird, aber große Hoffnungen haben sie in mich nicht gesetzt. Aber ich habe meine aktive Karriere ohne Probleme durchlaufen, alles verlief ohne Komplikationen.

prag aktuell: Sie sind selbst Vater zweier Kinder. Wie würden Sie reagieren, wenn sie auch Tänzer werden wollten?

Filip Barankiewicz: Direkt verbieten würde ich das nicht, aber ich würde es so erklären, dass sie sich das anders überlegen würden. Tänzer wird man schon sehr früh, in einem Alter, wo man gar nicht absehen oder verstehen kann, was das alles mit sich bringt. Man trifft die Entscheidung nicht mit 20, wie wenn man sich für ein Studium oder einen bestimmten Beruf entscheidet, sondern als Kind von vielleicht zehn Jahren, und da hat man keinen Plan was auf einen zukommt. Dazu braucht man einen eisernen Willen, sich da durchzubeißen und alles zu geben. Es ist kein Job, den man von acht Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags macht und dann ist Schluss, oder vier Wochen Urlaub machen, im Winter Ski fahren und einen Knochenbruch riskieren. Wenn man wirklich Karriere machen will, muss man immer alles geben.

prag aktuell: Es ist also ein Knochenjob, mehr Berufung als Beruf?

Filip Barankiewicz: Leichtathletik ist nichts im Vergleich dazu, was ein Tänzer leisten muss. Ein Athlet hat nicht 120 Tage im Jahr Wettkampf. Auf der Bühne musst du jedes Mal volle Leistung bringen, und man darf dir dabei auch keine Anstrengung ansehen. Das Publikum will keinen leiden sehen.

prag aktuell: Wie haben Sie und Ihre Familie sich in Prag eingelebt?

Filip Barankiewicz: Sehr gut. Es ist eine tolle, wunderschöne Stadt, wenn man den richtigen Touristenpfaden und den Junggesellenabschieden, den “stag partys” ausweicht. Wir wohnen in Vinohrady, da lebt es sich gut und schön ruhig. Wir gehen auf dem Bauernmarkt in unserem Viertel einkaufen, und wenn es größere Einkäufe sind, erledigen wir das lieber in Deutschland, wie das viele Tschechen auch tun. Es ist manches billiger dort, und wir bekommen unsere heissgeliebten Maultaschen aus dem Schwabenland.

Unsere Kinder gehen auf die Deutsche Schule Prag, hatten also keine große Umstellung gegenüber Stuttgart, wo wir früher lebten. Und Prag ist eine mehr und mehr internationale Stadt. Wir passen hier gut hinein mit unseren drei Nationalitäten in einer Familie, meine Frau Österreicherin, ich Pole und die beiden Kinder Deutsche. Das multinationale Ambiente bin ich vom Ballett gewöhnt. Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir im Ensemble 18 Nationalitäten.

prag aktuell: Wenn Sie ein Highlight des Nationalballetts in der laufenden Saison nennen sollten, was würden Sie wählen?

Filip Barankiewicz: Den "Schwanensee" im kommenden Frühjahr. Es ist eine Choreografie von John Cranko, die er für das Ballett Stuttgart geschaffen hat. Wenn Sie die Möglichkeit haben und sich Karten besorgen können, dann ist das sicher ein unvergessliches Erlebnis.

 

Bildnachweis:
© Pavel Hejný
Themen: Ballett, Nationaltheater Prag
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