Prag - Der Náměstí Míru gehört eigentlich nicht zu den Orten, an denen sich die Prager lange aufhalten. Wenn nicht grade Bauernmarkt ist, dient der kreisrunde Platz mit der düsteren Kirche höchstens zum Gassigehen und Skateboardtraining, vor allem aber als Tram- und Bus-Hub; schnell umsteigen und weiter.
Das hat sich geändert, als das Klavier kam, Ende Juli. Ein massives Stück aus den 30er oder 40er Jahren, aus dunklem Holz, so eines, wie es in jeder zweiten Wohnung hier im Jugendstilviertel Vinohrady stehen dürfte.
Aber dieses hier zwängt sich nicht zwischen Bücherregale und klobige Erbstücke, sondern steht unter freiem Himmel mitten im kleinen Park, wo sich zwischen Beeten und Rasen die Fußwege kreuzen.
Ständchen im Minutentakt
Auf dem Drehschemel, wie das Klavier angekettet an eine Parkbank, wechseln sich an diesem warmen Nachmittag Dutzende von Pianisten ab. Jemand klimpert minutenlang einfache Akkordfolgen, ein kurzgeschorener Kerl mit Sporttasche gibt witzige Medleys früher Michael-Jackson-Hits, ein spindeldürrer Teenie in weiten Shorts brettert Chopins Minutenwalzer hinunter und schickt ein Stück aus Schuberts Liebestraum hinterher. Nie bleibt der Schemel länger als eine Minute frei.
Den meisten Applaus bekommen zwei Jungs, schätzungsweise 17, mit Baseballkäppis und hängenden Jeans. Ihre vierhändige Jazz-Nummer, im Stehen gespielt, zaubert Lächeln und Staunen in die Gesichter des Publikums. An die 70 müssten es sein, verteilt über die Bänke oder dazwischen stehend; Prager, Touristen, Leute jeden Alters.
Besonders breit lächelt Ondřej Kobza, Wirt, Szenegänger und Aktivist für ein menschenfreundlicheres Prag. Der Mittdreißiger mit Lockenkopf und Reinhold-Messner-Bart hat sich die Sache mit den Klavieren im öffentlichen Raum ausgedacht. Angefangen habe alles auf dem Gehsteig vor seinem Café v lese, im Stadtteil Vršovice.
Eine Schnapsidee macht Schule
"Wir haben bei gutem Wetter ab und zu das Klavier hinausgestellt, einen Stuhl dazu, und dann konnte jeder spielen, der Lust hatte", erinnert er sich. Das Resultat überraschte ihn. Immer wieder blieben Passanten stehen, auch Leute aus der Nachbarschaft, setzten sich hin und legten einfach los, manche "richtig virtuos".
Unabhängig davon, wie gut die einzelnen Pianisten das Instrument beherrschten, das Klimpern im öffentlichen Raum brachte Veränderung ins Viertel. Kobza: "Plötzlich war es so, als würde die Straße nicht mehr den Autos und dem Stress gehören, sondern uns."
Von der Erfahrung ermutigt, startete er den nächsten Versuchsballon. Das zweite Klavier kam ans Moldaukai, wo Kobza in Partnerschaft mit Bajkazyl, einer offenen Fahrradwerkstatt, in den warmen Monaten ein Straßencafé betreibt. Nachdem das Klavier dort zunächst nur für Konzerte an den Fluss gestellt wurde, blieb es nun den ganzen Tag draußen. Mit demselben Effekt: "Immer wieder blieben Passaanten stehen oder Radfahrer hielten an und spielten einfach etwas."
Das "Klavierprojekt" ist längst über den Kreis von Kobzas Cafés gewachsen. Über die Stadt verteilt stehen bereits sieben Instrumente, eins davon im Foyer des Prager Hauptbahnhofs, und das, obwohl das Projekt erst in diesem Frühjahr gestartet ist.
Die Initiative des jungen Wirts wird dabei auch von den sonst zurückhaltenden, konservativen Prager Lokalpolitikern unterstützt. Genehmigungen zum Aufstellen der Pianos bekommt er "fast immer postwendend, unbürokratisch". Im beginnenden Wahlkampf wollen manche Bürgermeister sich gern mit dem Urheber des beliebten Projekts ablichten lassen.
Kobza ist die Popularität recht. Nachdem er die ersten Instrumente aus eigener Tasche bezahlt hat, sucht er nun Sponsoren, unter anderem über die Internet-Plattform Hithit. Steinway-Flügel wird er nicht aufstellen. Seine Pianos kosten "um die 10.000 Kronen das Stück". Bei einem Sammelziel von 180.000 Kronen kann man sich schnell ausrechnen, wie viele Instrumente er im nächsten Sommer aufstellen will. (gp)