Prag - Die Mitte-Links-Koalition aus ANO, ČSSD und Dreierkoalition (Grüne, Volkspartei, Bewegung der Bürgermeister und Unabhängige) im Prager Rathaus ist definitiv gescheitert.
Wie tschechische Medien berichten, verkündeten ihren Ausstieg aus der Koalition heute Vertreter der Sozialdemokraten. Als Begründung führten sie an, dass sie das Vertrauen in die Koalitionspartner der Dreierkoalition verloren hätten und bezeichneten die Situation als "Scheidung".
Die Stadträte aller drei Koalitionsparteien bleiben bis auf Weiteres im Amt, da sie nur von der Ratsversammlung abberufen werden können.
Knapp ein Jahr nach der Wahl von Adriana Krnáčova (ANO) zur Prager Oberbürgermeisterin werden die Karten in der Bürgervertretung der tschechischen Hauptstadt neu gemischt.
Alle in der Stadtverordnetenversammlung vertretenen Fraktionen strecken offenbar bereits die Fühler für die Bildung neuer Allianzen aus. Vertreter der Sozialdemokraten sagten, der Ball liege nun bei ANO als der stärksten Fraktion.
ANO-Fraktion zerstritten, TOP 09 und ODS in Lauerstellung
Auch die nach den Wahlen im vergangenen Jahr in der Opposition gelandeten TOP 09 und ODS könnten nun wieder zum Zuge kommen. Entscheidend für die weiteren Verhandlungen dürfte sein, ob die als zerstritten geltende ANO-Fraktion zusammenhält.
Die ANO-Fraktion soll in Anhänger der Bürgermeisterin Adriana Krnáčová und Leute gespalten sein, die eher der unlängst zurückgetretenen Vorsitzenden des Prager ANO-Ortsverbandes Radmila Kleslová nahestehen. Die Hoffnung, dass er die ANO-Fraktion im Rathaus wieder einen könne, ruhen nun auf dem neu zu wählenden Vorsitzenden, der am kommenden Samstag bestimmt werden soll. Als heißer Kandidat gilt Verteidigungsminister Martin Stropnický, der von dem Milliardär und ANO-Vorsitzenden Andrej Babiš favorisiert wird.
Güldene Stadtplanung
Die seit Langem schwelende Koalitionskrise hatte Ende Oktober ihren Höhepunkt gefunden, als insgesamt vier Ratsherren und -frauen aus allen drei Koalitionsfraktionen von den Bürgervertretern von ihren Posten abberufen wurden. Als rotes Tuch für die anderen Koalitionspartner erwies sich in den vergangenen Monaten immer mehr der grüne Ratsherr Matěj Stropnický - der Sohn von Verteidigungsminister Martin Stropnický.
Die lokalen Prager Ränkespiele hinter den Kulissen sind dabei selbst für aufmerksame politische Beobachter kaum noch zu durchschauen. Nur persönliche Animositäten stehen jedoch mit Sicherheit nicht hinter dem vorzeitigen Ende der Koalition. Wie anderswo in Tschechien geht es selbstverständlich in der Politik generell immer um Geld und Einfluss - in Prag jedoch: um noch mehr Geld und noch mehr Einfluss.
In der Goldenen Stadt gehören Korruption und Lobbyismus zum politischen Alltagsgeschäft. Zankäpfel und kontroverse Themen gibt es genug: Causa OpenCard, Tunnel Blanka, Kampf gegen das Glücksspiel, Raumplanung, Stadtentwicklung, Denkmalschutz - klassische Reizthemen, bei denen zumindest die jeweilige Lobby hellwach sein dürfte.
Sobotka: Koalition war "lahme Ente"
Der tschechische Premier Bohuslav Sobotka, der selbst eine Koalitionsregierung aus ČSSD, ANO und Volkspartei anführt, kommentierte das Ende der Prager Stadtkoalition heute mit den Worten, die Koalition sei bereits länger handlungsunfähig und eine "lahme Ente" gewesen.
Die noch amtierende Oberbürgermeisterin Adrianá Krnačová beschuldigte die Dreierkoalition, die Verabschiedung des Haushalts für das kommende Jahr 2016 gefährdet zu haben.
In der 65 Sitze zählenden Bürgervertretung verfügt die Bewegung ANO über 17 Mandate, 12 Mandate die Fraktion von TOP 09 und den Unabhängigen.
Jeweils acht Vertreter stellen Dreierkoalition, ODS und ČSSD. Des weiteren sitzen jeweils vier Piraten, Kommunisten und Unabhängige in der Bürgervertretung. Die Koalition aus ANO, ČSSD und Dreierkoalition hatte verfügte über ein hauchdünne Mehrheit von einer Stimme. (nk)