Der Autor

Christian Schulteisz ist Autor von Erzählungen und Hörspielen und von Mitte November bis Mitte Dezember 2013 Stipendiat des Prager Literaturhauses.

Er studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig und veröffentlichte in Literaturzeitschriften und im Radio, u.a. Edit, Deutschlandradio Kultur. Er erhielt mehrere Preise und Stipendien, darunter das Moldau-Stipendium und das Stipendium für den Aufenthalt auf Schloss Wiepersdorf. 2013 war er Finalist beim Literaturwettbewerb Open Mike.

In Prag arbeitet er an seinem ersten Roman über einen jungen Mann, der durch eine obskure Ernährungsumstellung abzunehmen versucht, sowie an einer Erzählung über den Universalgelehrten Hans Jürgen von der Wense.

Im Internet: www.schulteisz.dewww.schulteisz.de | www.prager-literaturhaus.comwww.prager-literaturhaus.com
Bildnachweis:

Weitere Einträge

(A)VOID Floating Gallery, mit tschechischer Übersetzung von Jitka Nešporová

Blog

| Christian Schulteisz | Rubrik: Reise | 26.11.2013

AUS EINEM REISEFÜHRER 1

Viele der alten Prager Häuserfassaden haben wunderbare Fugen und Schwellen, die sehr gute Trittfestigkeit bieten, oft sogar bis unters Dach. Man sollte diese Möglichkeit, selbst bei einem nur kurzen Aufenthalt in der Stadt, nicht ungenutzt lassen – bei aller Vorsicht versteht sich: Wenn einem die Traufe bereits von der Straße aus als unüberwindbarer Überhang oder die Bausubstanz zweifelhaft erscheint, braucht man seine Gesundheit nicht unnötig aufs Spiel zu setzen. Erst recht, da die tschechischen Notdienste mit Abgestürzten kaum Erbarmen kennen, darüber muss man sich im Klaren sein, auch über die feinen kulturellen Unterschiede; so sind Fassadenkletterer an Sakralbauten bei den Tschechen nur ungern gesehen, während man beispielsweise an der Residenz des Oberbürgermeisters durchaus mit Applaus rechnen darf.
Garantiert ist letzterer freilich nicht.

Mag der Aufstieg sich auch noch so langwierig oder schwierig gestalten, über die Aussicht, vor allem aber über die Reinlichkeit auf den Dächern sollte man sich keinerlei Illusionen machen. Die bekannten Aussichtspunkte Prags, ja selbst die Fenster einiger hoch gelegener Hotelzimmer eröffnen einem einen ähnlichen, mitunter sogar besseren Rundumblick – und Dachreinigung, als kleiner Brüder der Straßenreinigung, ist hier ein Fremdwort. Für Menschen, die sich zu fein sind, ein großes Erlebnis vielleicht auch mal mit dem Kontakt zu Vogeldreck oder den Scherben einer verirrten Bierflasche zu bezahlen, empfiehlt sich ein solches Abenteuer weniger. Falls Sie zu jenen zählen, möchten wir aus unserer bescheidenen Expertensicht dazu ermutigen, sich als reisende Person vielleicht generell in Frage zu stellen und u.U. zur eigenen Sicherheit zu Hause zu bleiben.
Auf Ihrem trägen Gesäß.

Sobald man sich aufs Dach geschafft hat, ist es ratsam, durch den Erfolg und die etwas dünnere Luft nicht gleich übermütig zu werden. Mindestens zehn Minuten sollten verstreichen, damit sich Muskulatur und Lungen von dem Kraftakt erholen können, ehe man zum Sprint und zum Sprung ansetzt. Lassen Sie sich also einfach auf dem First des Satteldachs nieder – wie ein Cowboy –, schütteln Sie Ihre Beine aus, betrachten Sie eine tote Taube und genießen Sie etwas Tee oder Kaffee aus der Thermoskanne, wie es in solchen Augenblicken üblich ist. An dieser Stelle möchten wir anmerken, dass kleinmütige Gedanken an die Sprungdistanz unangemessen, genau genommen sogar lächerlich sind: Prags Altstadt ist dicht und eng bebaut, es reicht vollkommen sicherzustellen, dass sich in Sprungrichtung auch tatsächlich ein weiteres, aber keinesfalls höheres Gebäude befindet. Und Sie haben hoffentlich nie an einen anderen Stadtteil als an die Altstadt gedacht! Dass die Sicht- und überhaupt die gesamten Wetterverhältnisse entsprechend sein müssen, wollen wir hier gar nicht erst erwähnen. Und ja, natürlich ist die Dachneigung beträchtlich, die Ziegel mitunter wacklig, rutschig, etc.

Tipp: Ersparen Sie sich und anderen Ihre Selbstzweifel.

Auch interessant