Prag - "Verbrennen von Menschen bei lebendigem Leibe? Es ist nicht so lange her, dass ähnliche Bestialitäten auch massenhaft Tschechen betrieben haben. Die Täter und Zeugen können noch unter uns wandeln."
So beginnt der Anreißer für eine Kolumne von Petr Zídek, in der der tschechische Historiker und Redakteur der Lidové noviny die Abscheu vor den jüngsten Verbrechen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) thematisiert.
Die Kolumne wurde dabei nicht nur wie üblich in der gedruckten Ausgabe Lidové noviny, sondern am 19. Februar auch in der Online-Ausgabe der in Prag erscheinenden Tageszeitung veröffentlicht.
Vor dem Hintergrund der Gräueltaten, die Tschechen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs an Deutschen verübt haben, warnt Zídek vor kulturell-zivilisatorischer Selbstgerechtigkeit und Überheblichkeit. Stattdessen mahnt er eine Auseinandersetzung der Tschechen mit diesem Kapitel ihrer Geschichte an.
Die mittels islamistischer "Propaganda-Videos" weltweit in die Haushalte und Köpfe transportieren Bilder der vom IS begangenen Grausamkeiten dürften nicht zu einer Interpretation führen, "die Muslime als unmenschliche Barbaren stigmatisiert", so Zídek.
"Es sind nämlich gar nicht das lange zurückliegende Mittelalter oder die Hexenprozesse, als ähnliche Bestialitäten massenhaft auch Tschechen betrieben", so Petr Zídek. Anschließend zitiert Zídek aus einem privaten Brief Přemysl Pitters, in dem dieser seine Erinnerungen an das brutale Lynchen von Deutschen in Prag im Mai 1945 beschreibt.
"Also nicht irgendwelche barbarischen Mohamedaner aus der Wüste, sondern Angehörige der Nation des Hus, Komenský und Masaryk, haben sich vor siebzig Jahren Grausamkeiten gestattet, die denen, die heute fanatische Verbrecher im Nahen Osten begehen, in nichts zurückstehen. Und dass ähnliche Bestialitäten vorher auch die Deutschen begangen haben, ist zwar eine bedeutende Tatsache zum Verständnis des Kontextes, aber keineswegs zur Rechtfertigung des mordenden tschechischen Pöbels. Wenn es damals schon Handys mit Fotoapparat und Kamera gegeben hätte, wären sich eine Menge lachender ’Selfies’ von Tschechen vor den Leichen der gefolterten Deutschen erhalten geblieben."
Zídek schließt seine Kolumne, indem er seine Hoffung ausdrückt, dass bei den bevorstehenden Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag des Kriegesendes und der Befreiung auch über diese Taten gesprochen werde. (nk)