prag aktuellprag aktuell | Rubrik: Wirtschaft | 29.3.2015
Investitionen und Privatkonsum sorgen für stabiles Wachstum / Deutschland 2014 größter Investor / Von Gerit Schulze, gtai

Prag - Tschechiens Wirtschaft ist zurück in der Erfolgsspur. Nach zwei Jahren Rezession stieg das Bruttoinlandsprodukt 2014 um 2,0%. Eine kräftige Zunahme der Anlageinvestitionen und die erwachte Konsumfreude der Verbraucher haben für die gute Konjunkturlage gesorgt. Der Außenhandel erreichte Rekordwerte in allen Kategorien. Weiter entspannt hat sich die Lage am Arbeitsmarkt, was zu steigenden Reallöhnen führt. Bei den Direktinvestitionen entfiel 2014 das größte Volumen auf deutsche Unternehmen.

Nach ersten vorläufigen Zahlen des Statistikamtes legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in der Tschechischen Republik 2014 um 2,0% zu. Dafür haben vor allem die Anlageinvestitionen und der Privatkonsum gesorgt. Zum Jahresende hin verlangsamte sich die Dynamik jedoch. Im 4. Quartal stieg das BIP nur noch um 1,3% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Auch im europäischen Vergleich nutzt das Land seine Möglichkeiten bei weitem nicht aus. Fast ein Dutzend EU-Staaten erreichte 2014 ein höheres Wachstum als Tschechien.

Immerhin wird für 2015 eine Beschleunigung der Konjunkturentwicklung erwartet. Das Finanzministerium rechnet mit einem Plus des BIP von 2,7%. Einen Anstieg um 2,5% prognostiziert die EU-Kommission. Die Nationalbank positioniert sich mit einer Prognose von 2,6% dazwischen. Doch selbst mit einer solchen Rate läge Tschechien nur im Mittelfeld der europäischen Volkswirtschaften. Gleich acht EU-Mitglieder erwarten ein höheres Wachstum, darunter auch das Nachbarland Polen.

Mit einem Aktionsplan für Wachstumsförderung will die Regierung die Konjunkturentwicklung beschleunigen. Das im Dezember 2014 verabschiedete Maßnahmenpaket sieht unter anderem vor, die Ausgaben für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur langfristig gesetzlich zu garantieren. Mindestens 2% des BIP müssten nach Vorstellung der Regierung dafür aufgebracht werden. Das wären jährlich über 3 Mrd. Euro.

Vor allem für kleine Betriebe will Prag die bürokratischen Hürden verringern. Die Gründung einer Firma soll künftig maximal 100 Euro kosten und in drei Tagen erledigt sein. Mehr Geld fließt laut dem Aktionsplan in die Wohnraumsanierung, in den sozialen Wohnungsbau und die Errichtung von Schulen und Kindergärten. Ebenso wird die Exportförderung ausgebaut. Dafür erhalten die Exportbank CEB und die Exportkreditversicherung EGAP mehr Mittel.

Um die Beschäftigungslage zu verbessern, bekommen die Arbeitsämter neues Personal. Auftragsrückgänge können bei Wirtschaftskrisen künftig mit flexibler Kurzarbeit abgefangen werden, die vom Staat kofinanziert wird. Außerdem stellt der Finanzminister über 10 Mio. Euro als Pendlerzuschuss bereit, um die Mobilität der Arbeitnehmer in strukturschwachen Regionen zu erhöhen.

Unabhängig von diesem Maßnahmenpaket könnte das billige Öl für einen extra Konjunkturschub sorgen. Laut Analysen der J&T Bank sparen tschechische Unternehmen und Haushalte bei einem Rohölpreis von 50 US$ jährlich fast 2 Mrd. Euro gegenüber einem Preis von 100 US$. Das Geld bliebe im Land und stünde für Investitionen und Konsum zur Verfügung.

Entspannung am Arbeitsmarkt bringt steigende Löhne

Die positive Wirtschaftsentwicklung bleibt nicht ohne Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Im Februar 2015 waren nach Angaben des Ministeriums für Arbeit und Soziales rund 77.000 Menschen weniger erwerbslos gemeldet als ein Jahr zuvor. Die Arbeitslosenquote sank auf 7,5% und damit um 1,1 Prozentpunkte unter das Vorjahresniveau. Insgesamt waren im Februar 2015 gemäß Berechnungsmethode des Arbeitsministeriums 548.000 Menschen ohne Arbeit.

Regional gesehen liegt die Erwerbslosenquote in Prag (Februar 2015: 5,1%) und im Bezirk Plzen (5,7%) auf einem niedrigen Niveau. Dagegen ist die Situation in der Region Usti nad Labem (10,7%) und in Mährisch-Schlesien (9,8%) angespannt.

Noch positiver sehen die Arbeitsmarktzahlen nach der ILO-Berechnungsmethode aus, die auch vom tschechischen Statistikamt und von Eurostat verwendet wird. Demnach sank die durchschnittliche Erwerbslosenrate im Jahresdurchschnitt 2014 auf 6,1% (2013: 7,0%). Das war innerhalb der EU der fünftniedrigste Wert. Nur in Deutschland, Österreich, Luxemburg und Malta ist die Lage am Arbeitsmarkt besser.

Erstmals seit drei Jahren verzeichneten Tschechiens Arbeitnehmer 2014 Lohnsteigerungen über dem Niveau der Inflationsrate. Der Zuwachs lag real bei durchschnittlich 2%. In Euro gerechnet ist das durchschnittliche Lohnniveau wegen der Abwertung der Krone jedoch von 970 auf 930 Euro gesunken. Das dürfte die Attraktivität als Investitionsstandort verbessert haben. Für 2015 rechnet das Finanzministerium mit einem weiteren Plus der Durchschnittslöhne um nominal 3,6% und für 2016 sogar um 3,9%.

Abwertung der Krone hat Deflation vorerst verhindert

Trotz Abwertung der Krone durch die Nationalbank ist die Gefahr der Deflation in Tschechien nicht gebannt. Die Verbraucherpreise stiegen 2014 lediglich um 0,4% und damit so langsam wie seit elf Jahren nicht mehr. Zu Jahresbeginn 2015 drückte das billige Rohöl weiter auf die Preise, sodass die Inflation Richtung Null tendierte.

Die Nationalbank CNB hat daher erklärt, bis 2016 am Devisenmarkt zu intervenieren und die einheimische Währung künstlich zu schwächen. Ziel ist eine Inflationsrate von 2%, die nach oben und unten um maximal einen Prozentpunkt abweichen sollte. Über die Leitzinsen kann das oberste Kreditinstitut derzeit nicht mehr steuern, da diese bereits nahe Null liegen. Nach der Ankündigung weiterer Interventionen sackte die Landeswährung Anfang Januar 2015 auf ein Sechs-Jahres-Tief gegenüber dem Euro und notierte kurzzeitig bei über 28 Kronen je Euro. Inzwischen hat sich der Kurs wieder stabilisiert, nachdem der Euro gegenüber dem US-Dollar stark gefallen war.

Nach Berechnungen der CNB wären die Verbraucherpreise in Tschechien schon 2014 um 1% gesunken, wenn sie nicht am Devisenmarkt eingegriffen hätte. Die Deflationserwartungen hätten sich verstärkt und die Konjunktur abgewürgt, heißt es in einer Präsentation von Anfang 2015. Zugleich wär die Krone aufgewertet worden, worunter der Export leidet.

Die Einführung des Euro steht trotz der jüngsten Wechselkursturbulenzen aktuell nicht auf der Tagesordnung. Zwar erfüllt Tschechien hinsichtlich Inflationsrate, Gesamtverschuldung und Haushaltsdefizit die so genannten Maastricht-Kriterien für eine Aufnahme in die Eurozone. Doch Finanzministerium und Nationalbank raten derzeit noch von einer Teilnahme am Wechselkursmechanismus WKM II ab. Die mindestens zweijährige Teilnahme an diesem Programm ist eine Voraussetzung für die Einführung der Gemeinschaftswährung. Im März 2015 hatte Nationalbankchef Miroslav Singer erklärt, vor 2018 sei der Beitritt zur Eurozone nicht zu schaffen. Er nannte unter anderem die fehlende Flexibilität des Arbeitsmarktes als ein Problem.

Neue Rekordwerte für Import, Export und Handelsüberschuss

Tschechiens Außenhandel hat 2014 Rekorde in allen Kategorien gebrochen. Exporte, Importe und die Handelsbilanz erreichten in Euro gerechnet neue Höchstwerte. Während die Einfuhren um 5,6% auf 115 Mrd. Euro zugelegt haben, stiegen die Ausfuhren sogar um 7,2% auf 131 Mrd. Euro. Unterm Strich blieb ein positiver Saldo von fast 16,3 Mrd. Euro und damit doppelt so viel wie noch 2011.

Der gesamte Warenumsatz im Außenhandel von 246 Mrd. Euro entspricht inzwischen fast 160% der tschechischen Wirtschaftsleistung. Das zeigt, wie stark die Konjunktur von den Auslandsmärkten abhängt. Die größten Einfuhrvolumina entfielen auch 2014 auf elektrische Maschinen, Fahrzeuge, Büromaschinen, Telekomausrüstungen und Rohöl. Bei den Exporten dominierten Fahrzeuge (Ausfuhrwert: 24,8 Mrd. Euro, +15%), elektrische Maschinen und Büromaschinen.

Für Deutschland war Tschechien 2014 hinter Polen der zweitwichtigste Handelspartner in Mittel- und Osteuropa, noch vor Russland. Die deutschen Einfuhren sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes um 12% auf fast 37 Mrd. Euro gestiegen. Umgekehrt legte die Ausfuhr Richtung Tschechien um 8% auf knapp 34 Mrd. Euro zu.

Deutschland ist und bleibt der dominierende Handelspartner Tschechiens. Sein Anteil an den Einfuhren betrug 2014 rund 26%. Dahinter folgten die VR China (11%), Polen (8%) und die Slowakei (5%). Bei den tschechischen Exporten geht sogar fast ein Drittel in das größte Nachbarland (32%). Weitere wichtige Abnehmerländer waren 2014 die Slowakei (8%), Polen (6%) sowie Frankreich und das Vereinigte Königreich (je 5%).

Starke Kapitalabflüsse Richtung Niederlande

Tschechien war 2014 ein attraktiver Standort für ausländische Direktinvestitionen. Nach vorläufigen Angaben der Nationalbank sind die Nettozuflüsse gegenüber dem Vorjahr um über 60% auf rund 4,5 Mrd. Euro gestiegen. Der Wert lag über dem Durchschnitt der vergangenen 20 Jahre. Allerdings wurde das gute Ergebnis nicht durch Neuinvestitionen erzielt, sondern in erster Linie durch Wiederanlage der Überschüsse ausländischer Unternehmen im Land (reinvestierte Gewinne 2014: 3,4 Mrd. Euro). Dagegen vermeldete die Nationalbank bei Investitionen in das Grundkapital einen Nettokapitalabfluss von fast 890 Mio. Euro.

Nach Branchen betrachtet war die NACE-Gruppe M (freiberufliche, wissenschaftliche und technische Dienstleistungen) 2014 der wichtigste Zielsektor für Direktinvestitionen. Dorthin flossen netto 1,9 Mrd. Euro. Ebenso waren das Finanzwesen (1,4 Mrd. Euro) und der Immobiliensektor (1,2 Mrd. Euro) attraktiv. In der verarbeitenden Industrie blieb die Fahrzeugbranche bei ausländischen Investoren am beliebtesten (710 Mio. Euro Nettozufluss). Große Abflüsse gab es bei sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen (NACE-Abschnitt N, unter anderem Messen, Reisebüros, Autovermietung) mit einem Rückgang von 980 Mio. Euro, im Energiesektor von 740 Mio. Euro und im Bergbau von 206 Mio. Euro.

Bei den Herkunftsländern der Direktinvestitionen schob sich Deutschland 2014 erstmals seit drei Jahren wieder an die Spitze. Nachdem deutsche Unternehmen im Vorjahr noch fast 2,3 Mrd. Euro aus Tschechien abgezogen hatten, belief sich das Volumen der Direktinvestitionen 2014 auf einen Nettozufluss von über 2,9 Mrd. Euro. An zweiter Stelle lag Frankreich mit 849 Mio. Euro vor Belgien mit 440 Mio. Euro. Aus den Niederlanden, die von tschechischen und internationalen Holdings aus steuerlichen Gründen häufig als Firmensitz genutzt werden und bei den Direktinvestitionen daher traditionell ganz vorne stehen, wurden 2014 netto 2,7 Mrd. Euro aus Tschechien abgezogen.

Themen: Konjunktur, BIP, Arbeitsmarkt, Firmengründung, Außenhandel, Devisenkurs, gtai
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