Der Autor

Jörg Jacob ist 1964 im sächsischen Glauchau geboren. Nach einer Ausbildung als Polsterer übte er verschiedene Beschäftigungen aus, beispielsweise als Handwerker oder Aushilfe in der Gastronomie.

In den Jahren 1998-2002 studierte er am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Seit dem Jahr 2010 nimmt er an medial-pädagogischen Projekten der Schriftsteller- und Druckwerkstätten für Kinder und Jugendliche teil. Zurzeit lebt er in Leipzig und arbeitet als freier Autor.

Sein Roman "Das Vineta-Riff", in dem sich die Plätze seiner Kindheit in der DDR wiederspiegeln, wurde im Jahr 2006 mit dem Gellert-Preis ausgezeichnet. Das Prosawerk "Fluten" setzt sich mit dem Thema des Jahrhundert-Hochwassers im Jahr 2002 auseinander. Zu den neuesten Werken zählen: "Klick! 99 Miniaturen" oder "Geschichte ohne festen Wohnsitz", 2014.

Im Internet: www.joerg-jacob.dewww.joerg-jacob.de
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Prager Spaziergänge
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| Jörg Jacob | Rubrik: Reise | 18.6.2015

Kafka besuchen

Prager Spaziergänge

Es wäre zu einfach gewesen mit der Metro bis zur Station Želivského zu fahren und sofort da zu sein. Nein, so konnte ich mich ihm nicht nähern, daran konnte es keinen Zweifel geben. Ich zog es vor zu Fuß zu gehen, durch Nebenstraßen zu wandern, von Vinohrady nach Žižkov und wieder zurück. So gelangte ich, bevor ich den Neuen Jüdischen Friedhof erreichte, zuerst nach Olšanské hřbitovy, Stadt der Toten, groß und verwinkelt wie die Stadt Prag selbst. Mit monumentalen Grabmalen, krummen Gassen, in denen man sich leicht verirren kann, schattigen Alleen, malerischen Plätzen. Als ich schon glaubte, den Ausgang nicht mehr zu finden, tauchte vor mir die Friedhofsmauer auf und an diese gelehnt ein pittoreskes Häuschen. Eine Tafel machte kenntlich, dass es sich um eine Polizeiwache handelte. Ich hatte noch nie eine Polizeiwache auf einem Friedhof gesehen, trat zögerlich näher, erhoffte aber dennoch kompetente Auskunft. So fragte ich also den uniformierten Wächter, der neben der Tür stand, nach dem Weg zu Kafkas Grab.
Er lächelte und wandte sich mit großer Geste ab. Etwas rief er dabei auch aus, es klang fast wie: Gibs auf, gibs auf!
Doch ich blieb hartnäckig, fand den Ausgang, ging weiter und war kurze Zeit später am richtigen Ort angelangt, dem Neuen Jüdischen Friedhof. Noch bevor ich aber durch die schmiedeeiserne Pforte gehen konnte, sah ich bereits das Schild mit einem Hinweispfeil und den Worten: Dr. Franz Kafka 250 Meter.
Zweihundertfünfzig Meter. Doktor Franz Kafka. Ich stutzte. Dieses Schild irritierte mich. Mir schien, es könnte ebenso in einem Verwaltungsgebäude den Weg zum Büro weisen, in dem Dr. Franz Kafka leibhaftig an einem Schreibtisch sitzt. Und gesetzt, es wäre an dem, was hätte ich als Grund meines Erscheinens angeben sollen? Was war mein Begehren? Was wollte ich von ihm?
Vollkommen unsinnig erschien mir plötzlich meine gesamte Expedition. Besser, dachte ich, wenn ich ihn nicht störe. Ich kehrte also um, ich hatte ja gar keinen Termin bei Doktor Franz Kafka.

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