Der Autor

Anna Hofmann wurde in Nürnberg geboren. Sie studierte Fotografie an der AdBK Nürnberg und kreatives Schreiben am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig, wo sie sich mit der Weiterentwicklung ihres Manuskripts "Die Ungeduld meiner Mutter" beschäftigte. Sie ist Mitgründerin der unabhängigen Lesereihe "Übermut & Zärtlichkeit" und veranstaltet Leseabende.

Ihre Texte wurden in verschiedenen Kunstpublikationen, Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht. Die Autorin kombiniert gern die Medien Fotografie und Literatur.

Im Oktober 2024 ist Anna Hofmann Stipendiatin im Prager Literaturhaus und arbeitet an ihrem Debutroman.

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| Anna Hofmann | Rubrik: Feuilleton | 16.10.2024

Ankommen / Ich hatte noch keine Zeit, von Prag zu träumen

Im Zug gehe ich kurz durch, ob ich alles dabei habe. Die ersten paar Minuten auf Reisen ist das meine Beschäftigung, immer. Egal, ob ich mehrere Wochen unterwegs bin oder nur in die nächstgrößere Stadt fahre. Als könnte ich noch nicht ganz loslassen, von meinem Zuhause, das ich jetzt gegen eine andere, viel größere Wohnung in Prag eintausche.

Ich frage mich, ob mir das Alleinsein gut tun, ob sich darunter auch Einsamkeit mischen wird. Meine letzten Wochen waren so voll, dass ich mir kaum ausmalen konnte, was auf mich zukommt. Ich hatte noch keine Zeit, von Prag zu träumen.

 

In Schwandorf steige ich um. Der Zug ist sehr voll und ich stehe mit anderen auf dem Flur. Eine Frau trägt einen kleinen Jungen auf dem Arm, die Frau neben ihr ermahnt den älteren Bruder des Jungen auf tschechisch, er solle mir nicht auf die Füße treten. Ich lächle ihn an und winke beschwichtigend ab. Bald macht sich Unruhe breit, immer mehr Menschen steigen nach. Auf der digitalen Anzeige laufen Hinweise auf tschechisch, deutsch und englisch, dass ein Teil der Strecke gesperrt ist. Es wird noch unruhiger um mich, die Ersten fragen, ob wir jetzt aussteigen müssen. Umständlich hole ich mein Handy aus der Jackentasche und versuche herauszufinden, was los ist. Wegen Bauarbeiten ist ein Teil der Bahnstrecke gesperrt und in Domažlice müssen alle, die nach Prag wollen in einen weiteren Zug, der sie zunächst nach Pilsen bringt. Die Frau, die den Jungen ermahnt hat, fragt mich auf deutsch, ob ich auch nach Prag müsste. Ich nicke und wir sprechen uns kurz ab. Überlegen, ob wir dadurch später ankommen werden und in welchen Zug wir müssen. Sie sagt: „Wir laufen nach Prag“ und lacht. Andere klinken sich in das Gespräch ein, ob wir wüssten, was los sei. Auf deutsch und englisch wandert die Unterhaltung nun immer weiter durch den Flur. Manche regen sich auf, ein paar sehen besorgt aus, vor allem die Älteren und die mit großen Koffern. Ich höre einen breiten, amerikanischen Akzent, ob er sich jetzt ein neues Ticket kaufen müsse und suche nach dem Menschen dazu. Sehe, dass der Mann aufgestanden ist und sich hilflos umschaut. Unsere Blicke treffen sich. Sein Nachbar erklärt ihm, dass das nicht nötig sei.

Als wir in Domažlice ankommen, steigen alle aus und wandern geschlossen auf Gleis 1. Der Bahnhof ist sehr klein und die vielen Menschen wirken darauf deplatziert. Immer wieder sehen sie sich gegenseitig an, Müssen wir in diesen Zug? Sind wir richtig? Fährst du auch nach Prag?

Ich finde die beiden Frauen mit den Kindern nicht mehr und hoffe, dass sie auch einfach mitlaufen. Einige Gesichter kommen mir wieder bekannt vor. Zwei junge Amerikanerinnen fragen mich, ob ich nach Prag fahre und ob sie diesen Zug nehmen müssten. Langsam wird Prag ein omnipräsentes Ziel, wie ein Versprechen, das wir uns erhoffen. Wir steigen gemeinsam ein und sitzen schweigend im Abteil. Man sieht den beiden die Anstrengung und Müdigkeit an. Draußen ist es nebelig und die Bäume ziehen vereinzelt an uns vorbei. Ich überlege ein Foto zu machen, aber die Schaffnerin läuft durch und fordert alle auf, an der nächsten Haltestelle in einen Bus umzusteigen.

Bis Prag steigen wir noch einmal vom Bus in einen Zug und sind dann plötzlich da. Ich erkenne den Bahnhof aus meinen Erinnerungen, meinen früheren Reisen hierher. Die beiden Amerikanerinnen fragen, ob sie aussteigen müssen und ich nicke.

Im Bahnhof verliert sich die Gemeinschaft, die beiden Amerikanerinnen winken mir noch zu, rufen Have a nice trip! und rollen ihre großen Koffer Richtung Ausgang. Es dämmert schon, als ich die Gassen entlang bis zum Literaturhaus laufe und mir wird plötzlich klar, dass ich hier einen Monat leben werde.

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