Sonntagnachmittag, in Wirklichkeit ein Samstag, der sich wegen der beiden böhmischen Feiertage aber wie ein Sonntag anfühlt. Strahlender Sonnenschein herrscht über Prag und seine Einwohner treffen sich auf den Spielplätzen der Stadt zu gemeinsamem Ausschwitzen bei gut 30° Celsius. Später spielt England seinen Fußball für Masochisten, was man getrost ignorieren könnte, wenn da nicht rechtzeitig ein Gewitter aufgezogen wäre und eine Verlängerung der Sonntagnachmittagsatmosphäre in den Abend hinein in den Grünanlagen der Stadt unmöglich gemacht hätte. Mein Gott, dann also doch Fußball, dann eben doch das Fußballstillleben zwischen England und der Schweiz schöntrinken, wenn das Wetter schon keine andere, sinnvolle Betätigung zulässt.
England langweilt
England-Spiele sind nur im Dämmerzustand zu ertragen, sie sind noch langweiliger als Frankreich-Spiele. Beide Mannschaften werden von Spielern trainiert, die das Spiel nie geliebt, sondern stets nur gearbeitet haben. Wären sie doch einem anderen Broterwerb nachgegangen! Der eine bringt Starstürmer Mbappé dazu, sich freiwillig von dem Elend erlösen zu lassen und das Spielfeld verlassen zu dürfen, der andere schafft es tatsächlich, dass Harry Kane mehr Spielzeit am und im eigenen Sechzehner verbringt als im gegnerischen. Hier spielt der Abschaum dieser mammongeschwängerten Premier League.
Bellinghams Flucht
Kein Wunder, dass Bellingham der einzige Lichtblick in einem Team von Scheuklappenläufern ist, der ist ja nur in ganz jungen Jahren kurz mit dem Gift des englischen Erstligafußballs in Berührung gekommen und hat Reißaus genommen und das Fußwerk von der Pike auf in Deutschland gelernt, dann in Spanien seine Meisterprüfung abgelegt. Ohne ihn wäre das Team schon wieder auf seiner Insel und müsste Laufwege büffeln, die ihnen die Trainer vorschreiben. Angeblich sponsert eine große psychotherapeutische Klinik das englische Team, die sich auf die Anti-Stress-Behandlung von Managern kurz vor dem Burnout spezialisiert hat. Neben den Besuchen großer Ausstellungen von monochromer Kunst stehen gemütliche Fernsehabende mit sich gemächlich bewegenden Farbflecken vor einem beruhigenden grünen Hintergrund auf dem Programm. Das alles fern in einem Land, wo sich Yves Klein und Phil Foden „gute Nacht!“ sagen.
Ein Tor und noch eins
Nur leider stört der Gegner hie und da die beschauliche Idylle und trifft mal ins Tor. Dann müssen ein paar junge Wilde her und ein paar Minuten später ist der Ausgleich da, nach einer Einzelaktion. Mehr kann man auch nicht erwarten, diese Mannschaft erweckt nicht den Eindruck, dass sie im Zusammenspiel mehr beherrscht, als in der Fußballfibel für mittlere Fortgeschrittene steht. Gegen die Schweiz mag das genügen, denn seit 2018 beherrschen die Engländer auch Elfmeterschießen, was natürlich nicht bedeutet, dass sie jedes gewinnen, doch mitunter mal eins. Eben Huhn, Sehschwäche, bevorzugtes Futter oder: zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben.
Endspiel des Grauens droht
Ich freue mich jetzt schon auf ein Endspiel zwischen Frankreich und England, denn voraussichtlich werde ich am Endspielabend überhaupt keine Zeit haben, dem Spiel zweier Mannschaften zu frönen, deren Trainer den Spielern den letzten Rest von Spielwitz und den Fans den letzten Rest von Freude an ihrer Leidenschaft austreiben. Schluss mit lustig, die Spaßgesellschaft hat fertig!
Niederlande ringen Türkei nieder
Dazu muss England aber noch gegen die Niederlande bestehen, einer anderen bemerkenswerten Mannschaft, die als Gruppendritter nun an das Tor des Finales klopfen darf. Nach einem harten Stück Arbeit und drohenden Herzinfarkten in der Nachspielzeit drehen die Niederländer das Spiel gegen die Türkei, denen auch die Anwesenheit ihres faschistenfreundlichen Präsidenten und des bekennenden Faschisten und früheren deutschen Nationalspielers Mesut Özil nicht auf den Sprung ins Halbfinale hilft. Wer fehlte war der Verteidiger und Doppeltorschütze des Achtelfinales, den die UEFA wegen des Zeigens des Grußes einer verbotenen Faschistenorganisation seines Heimatlandes für zwei Spiele gesperrt hat. Der wäre dann erst wieder beim Finale dabei gewesen, was nun allen erspart bleibt. Was allerdings die UEFA und die deutschen Behörden in ein anderes Dilemma treibt. Denn tausende türkische „Fans“ zeigen provokant diesen Gruß, die müssen also auch gesperrt oder strafverfolgt werden. Daran glaube ich genau so wenig wie an ein Finale zwischen Spanien und den Niederlanden. Welches übrigens keineswegs ein Fußballspektakel garantiert, wie man seit dem WM-Finale 2010 weiß. Xabi Alonso hat vielleicht heute noch die Abdrücke der Stollen seines Gegenspielers auf der Brust. So, jetzt gibt es erst mal zwei Tage Fußballpause und in drei Spielen ist der Spuk dann auch wieder beendet.