Die Tage können gar nicht mehr länger werden und die Nächte nicht mehr kürzer, doch die gewonnenen Sonnenstunden ändern nichts an der Belastung, welcher der Mensch während der Eh-Em ausgesetzt ist. Ich arbeite und multitaske, sogar meine Tochter versteht, warum ich das Tablet benötige, aus dem sie die Inspiration für ihre unzählbaren Zeichnungen zieht. (Der Stilkritiker: Das ist doch mal eine schöne Assonanz.)
England wie der VfL Bochum
Fangen wir mit England an. Diese Mannschaft steht in der ersten Halbzeit so wunderbar neben sich. Der Führungstreffer ist ein schönes Geschenk der dänischen Verteidigung, die einen abgelaufenen Steilpass auf dem rechten Flügel unnachahmlich vertrödelt, Walker, Kylie heißt er, glaube ich, nicht Jonny, hat da wohl eine Tarnkappe auf, anders ist es nicht zu erklären, wie der dänische Verteidiger den übersehen kann. Dessen Hereingabe fälschen gleich zwei Verteidiger ab, so dass der Ball beim völlig ungedeckten Kane landet, der sich dann auch prompt bedankt. Es dauert aber nicht lange bis zum Ausgleich, einem schönen Fernschuss aus gut 20 Metern, der haargenau in die linke untere Torecke passt. Im englischen Aufbauspiel klappt anschließend gar nichts mehr, es entsteht der Eindruck, dass der eine nicht weiß, was der andere macht, als spielte diese Mannschaft zum ersten Mal zusammen. Allein, die Dänen können kein Kapital daraus schlagen.
Die zweite Halbzeit ist die Zeit der Auswechslungen, Spieler, deren Namen ich noch nie gehört habe, betreten das Feld. Zugegeben, ich verfolge die hochgemästete englische Fußballliga nur ergebnistechnisch, soll sich der Rest der Welt doch dafür interessieren. Der Reporter informiert mich, dass irgendwann zwei Spieler von Crystal Palace, das ist so 'ne Art Londoner VfL Bochum, auf dem Platz stehen. So sieht das Spiel dann aber auch aus, nicht wie Manchester City, nur mit englischen Spielern statt der Ausländer, sondern wie VfL Bochum, verstärkt durch handverlesene Spieler der Spitzenclubs. Am Ergebnis ändert das alles aber nichts mehr, den Engländern dürfte es spätestens im Achtelfinale egal sein, wie wenig sie in der Gruppe gezeigt haben. Dänemark und Slowenien haben nun 2 Punkte, Serbien einen. Das ergibt eine interessante Konstellation für die Abschlussspiele.
Spanien überrollt Italien
Am selben Tag spielt Spanien Italien schwindelig, ein 16-Jähriger namens Jamal macht auf dem rechten Flügel, was er will. Es ist geradezu grotesk, dass Spanien ein Eigentor benötigt, um einen hauchdünnen 1:0-Sieg einzufahren. Spielt Italien so im letzten Gruppenspiel, könnte doch noch was für Kroatien gehen.
Am folgenden Tag, dem Freitag, sind natürlich alle auf das Abendspiel Frankreich gegen Niederlande gespannt. Ich kann mich dem Fußball aber nur halb widmen, sehe, wie die Ukraine das Spiel gegen die Slowakei dreht, spreche die ganze Zeit aber über die Bräuche in der Johannisnacht und zur Sommersonnenwende im allgemeinen und speziell in Ungarn, die in diesem Jahr bereits am 20. Juni stattfindet, eben wegen dem Schalttag. Zu dem Spiel kann ich dann wenig sagen, beide Mannschaften haben drei Punkte, was im samstäglichen Abendspiel noch weiter dramatisiert wird, denn dort schlägt Belgien Rumänien mit 2:0, so dass alle vier Mannschaften in dieser Gruppe einen Sieg und eine Niederlage auf dem Konto haben. Rumänien und Belgien haben ein positives Torverhältnis von jeweils +1, die Slowakei ein ausgeglichenes und die Ukraine -2 Tore. Diese Gruppe ist zum Abschluss natürlich der Knaller.
Nun ist Polen schon verloren
Die erste Halbzeit von Österreich gegen Polen schaffe ich noch, es steht 1:1, aber nur nebenher. Dann begebe ich mich auf eine Firmenparty, komme leider aber so spät, dass ich außer Schnitzeln nichts mehr zu Essen vorfinde. Stattdessen unterhalte ich mich mit Kollegen, die ich meist gar nicht kenne, über dieses und jenes, die Folgen von Merkels Sparpolitik („die schwarze Null“) auf die heutige Infrastruktur und die Auflösung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in der Slowakei. Statt dem Slowakischen Fernsehen wird es in Zukunft das Fernsehen der Slowakei geben (oder umgekehrt), zumindest können alle jetzt entlassen werden und die neue Sendeanstalt mit politisch genehmen Figuren besetzt werden. Die Slowakei ist schon ein komisches Land, wie mir etliche Studenten von dort bestätigen. Da schießt ein Attentäter dem Premierminister aus nächster Nähe mehrfach in den Bauch und behauptet später, dass er ihn gar nicht habe umbringen wollen. Wer hätte das auch vermutet?
Erstes Torlos des Turniers
Nun, die Frimenparty löst sich auf, ich mache einen schönen Spaziergang, bei dem ich durch ein Schaufenster sehe, dass weder die Niederlande noch Frankreich zu Beginn der zweiten Hälfte ein Tor erzielen konnten, das ändert sich bei meiner Kontrolle in der 78. Minute auch nicht, als ich in einer Kneipe erfahre, dass der Wirt bereits die letzten Gläser spült. Schließlich höre ich auf der Straßenbahnhaltestelle auf dem früheren Radetzky-Platz einen verhaltenen Torschrei, bin mir aber nicht sicher, ob ich das richtig interpretiere. Meine innere Stimme sagt mir, dass in dem Spiel nichts mehr passiert und schwärme noch in die Nacht. Wenn nicht an diesem Tag, in dieser Nacht, wann dann? Erst am folgenden Tag erfahre ich am frühen Nachmittag, dass Österreich die Polen mit 3:1 geschlagen und damit nach Hause geschickt hat. Weil der Schiedsrichter im anderen Spiel der Gruppe ein feines Tor von Xavi (dieser Xavi ist Niederländer) aus fadenscheinigen Gründen aberkannt hat und der Griezman wohl eine 1000-prozentige versemmelt hat, hat es keine Tore im Knaller gegeben. Das ist mit im Wesentlichen aber egal, der Deschamps-Fußball halt, wer sonst sollte auch für das erste und bisher einzige 0:0 in diesem Turnier sorgen?
Tschechien mit Pech und Glück
Am Nachmittag ist gleich Tschechien dran, gegen Georgien. Bei diesem Spiel langweile ich mich keine Sekunde, irgendwie hat es Georgien drauf, sogar aus den manchmal drögen Tschechen ein Spektakel herauszukitzeln. In der ersten Hälfte spielt die Hand Schicksal, ein Tor der Tschechen wird deswegen aberkannt, ein Elfmeter deshalb gegen sie gegeben. Mit 0:1 geht es in die Kabinen, Tschechien macht in der zweiten Hälfte noch mehr Dampf und schafft endlich den Ausgleich und drängt und drängt und drängt und hat am Ende Glück, dass Georgien in der letzten Aktion des Spiels, einem tödlichen Konter in Überzahl, den Ball nicht unterbringt. Das wäre es dann gewesen, nicht nur in dem Spiel, sondern auch im ganzen Turnier, nämlich das Aus. So aber bleibt die Hoffnung, mit einem Sieg gegen die Türkei doch noch ins Achtelfinale zu springen. Denn die Türken haben gegen Portugal so richtig gar keine Chance, machen sich das Leben durch ein kurioses Eigentor aber auch selbst schwer. Während die zweite Hälfte so herunterplätschert und C. Ronaldo in aussichtsreicher Position den Ball ablegt, statt selbst zu verwerten, backe ich einen Käsekuchen und lasse das 3:0 ein 3:0 bleiben.
Käsekuchen statt C. Ronaldo
Meine Tochter kann ich zu keinem Spaziergang mehr animieren, nur mich selbst und verpasse so Belgien frühes 1:0 gegen Rumänien. Zu Hause schaue ich dann den Rest und auch, wie Lukakus Abseitstore immer knapper werden. Im letzten Spiel könnte es dann vielleicht mal klappen, wenn es in dieser Gruppe für alle um alles geht.