Zunächst die Lage in Deutschland: Undurchschaubar. Die Spieler sind angeblich in Frankfurt a.M. gelandet und durch die Hintertür verschwunden. In den sozialen Medien haben sich etliche entschuldigt. Der Trainer fordert radikale Änderungen. Was er damit meint, ist unklar. Alle reißen sich darum, die Verantwortung zu übernehmen, aber niemand zieht die Konsequenzen. Niemand ist bisher zurückgetreten. Schwarzmaler stellen bereits die Qualifikationsfähigkeit einer deutschen Nationalmannschaft für die nächst Eh Emm in Frage. In der Mannschaft soll es Brüche gegeben haben, doch richtig gekracht hat es wohl nicht, so wie etwa 1974, als Westdeutschland gegen Ostdeutschland in der Vorrunde verloren hatte und Beckenbauer den Bundestrainer ins Bett geschickt und Günter Netzer aus der Mannschaft geworfen hat. Damals soll es so richtig gescheppert haben im Mannschaftshotel, besagt die Legende. Westdeutschland hat anschließend das Turnier gewonnen, Ostdeutschland nur noch an Olympischen Spielen teilgenommen.
Szenen einer Ehe
Krachen tut es bei mir zu Hause am Morgen der ersten K.O.-Spiele. Szenen einer (nie geschlossenen) Ehe eben. Ach, 2014 war schön, da gab es keine Frau, die gestört hätte. 2010 gab es zwar noch eine Frau, doch die war gedanklich bereits weg. Beim Sommermärchen 2006 hat die Frau, die 2010 nur noch manchmal körperlich anwesend war, großes Verständnis gezeigt. Und 2018? Wieder sehe ich kein Spiel draußen mit Freunden in der Kneipe oder im Park. Zwei Mal kracht es ordentlich zu Hause, beide Male geht die Frau einfach wortlos aus dem Haus und lässt das Kind bei Papa. Der sich natürlich darum kümmert, klarer Fall. Gründe für den Krach? Ach, lassen wir das, das wird sich eh nie ändern, der Fall ist beinahe pathologisch.
Nun zum Fußball, wenn mich nicht alles täuscht, dann haben sich die beiden dominierenden Fußballfiguren endgültig von der Weh Emm-Bühne verabschiedet. Im ersten Spiel scheidet Messi in einem Torspektakel mit 3:4 gegen Frankreich und vor allem Mbappé aus. Messi ist während des Turniers 31 Jahre alt geworden und hat schon einmal seinen Abschied aus der argentinischen Nationalmannschaft verkündet. Es scheint eher unwahrscheinlich, dass er in vier Jahren nochmals aufläuft. Sechs Tore in vier Turnieren machen sich eher bescheiden. Immerhin stand er vor vier Jahren im Finale und wurde zum Spieler des Turniers gewählt – eine klare Fehlentscheidung, wie bereits damals Fachjournalisten anmerkten, da er nicht einmal der beste Spieler in der eigenen Mannschaft gewesen ist.
Messi und C. Ronaldo raus
Abends scheidet dann auch der als Messis ewiger Rivale hochstilisierte C. Ronaldo aus. Er hat es ebenfalls auf vier Turniere gebracht und auf immerhin sieben Tore. Die Weh Emm war nie seine große Bühne, 2006 spielte er nur im kleinen Finale – und verlor. Stattdessen hat er aber vor zwei Jahren die Eh Emm gewonnen, also immerhin einen internationalen Titel mit der Nationalmannschaft. C. Ronaldo ist bereits 33, für ihn gilt um so mehr, was für Messi gilt: Zwar nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich, dass beide 2022 in Katar wieder mit dabei sind. Messi und C. Ronaldo sind also nicht nur die Weltfußballer seit 2008, sondern auch die letzten Mohikaner des deutschen Sommermärchens. An dieser Stelle ist ein Stück Nostalgie durchaus nicht fehl am Platze. Deutschland stand im Achtelfinale und besiegte souverän Schweden, Podolski sorgte für Tore und gute Laune, die Nation beschäftigte Ballacks Wade wesentlich mehr als Merkels Politik.
Zurück in die Gegenwart, zurück zu den Spielen selbst, Argentinien scheitert vor allem an Mbappé, der früh einen Elfmeter rausholt, den Griezmann (spricht sich laut Eigenaussage „Griäsmo“ mit weichem -s- und nasalem -o-) sicher verwandelt. In der 20. Minute bitte ich den Schiedsrichter, das Spiel kurz zu unterbrechen, denn ein dringender Notdurftfall muss aus der Windel entfernt werden. Die schwarze S.. hört aber nicht auf mich, als ich mit dem frisch gewickelten Kind wieder vor dem Bildschirm erscheine, läuft bereits die 25. Minute. Und das bei Putins angeblich ach so familienfreundlicher Weh Emm. Die Spieler scheinen aber mehr Rücksicht genommen zu haben, es steht immer noch 1:0 und es spielen immer noch elf gegen elf. Messi spielt mit und kämpft, so viel ist zu sehen, doch Griezmann hat von Trainer Deschamps (selbst Weltmeister 1998, damals soll sogar Zidane auf ihn gehört haben) die Sonderaufgabe bekommen, Messi eng zu bewachen. Nur ein Mal verliert er ihn aus den Augen, das ist in Hälfte zwei, nach einem schlecht abgewehrten Eckball, den Messi zu einer Torvorlage nutzt. Plötzlich führt Argentinien mit 2:1. (Ich habe vorgegriffen, denn di María schießt kurz vor der Pause mit einem satten Schuss aus gut 25 Metern erst den Ausgleich). Dann kommt meine Lebensgefährtin MM und der erste ordentliche Krach beginnt. Ich bin abgelenkt und Frankreich nutzt das zu drei schnellen Treffern, zwei davon durch den enteilenden Mbappé, dessen Schnelligkeit die Gauchos vom rechten Ufer des Silberflusses nie in den Griff bekommen. Nur mal so zur Anregung fürs nächste Mal, vielleicht hätte Trainer Sampaoli, der Mann, der aussieht wie ein Türsteher auf St. Pauli, Messi besser auf Mbappé angesetzt, dann hätten sich der und Griezmann auf den Füßen gestanden und die Verteidiger hätten sich mehr in das Angriffsspiel einschalten können. Nur mal so als Denkanstoß, warum soll so ein Weltfußballer nicht auch mal mannschaftsdienlich eingesetzt werden? Der Ballack 2002 hat doch im Halbfinale gegen Südkorea hinten ausgeholfen und so das Finale wegen Sperre verpasst. Aber lassen wir das lieber mit Südkorea.
Desinteresse bei den Zuschauern
Aguerro, der Schwiegersohn (vielleicht auch nur ehemalige Schw., bin mit den aktuellen Familienverhältnissen nicht so vertraut) der Hand Gottes aka Diego Armando Maradona, macht in der Nachspielzeit noch ein Tor, leider kommt das zu spät für eine echte Wende, aber das Ergebnis von 4:3 hört sich ziemlich gut an.
MM weint sich fernmündlich in mehreren Sprachen und bei mehreren Vertrauenspersonen aus, ich gehe schnell noch in den Supermarkt, auf dem Weg dorthin schaue ich kurz in Freds Bar. Einsam sitzt Gordon vor dem Fernseher und wartet auf das zweite Spiel. Diese Weh Emm scheint einfach nicht zu rocken, die Bierproduzenten in Deutschland rechnen mit Millioneneinbußen gegenüber den Vorjahren. Ich finde, das sollte man der Nationalmannschaft ebenfalls in Rechnung stellen. Wer hat schon was von diesen windelweichen Entschuldigungen, welche die meisten auch noch in asozialen Medien verbreiten, statt sich wie ein Mann der öffentlichen Wut zu stellen. Im Frankfurter Flughafen durch den Hintereingang verschwinden, schnell in abgetönte Limousinen einsteigen und abtauchen...
Als ich wieder zu Hause bin, wiederholen MM und ich exakt denselben Krach vom Nachmittag. Sie hat also nichts kapiert und ich erkläre es ihr nochmals. Das Kind auf meinem Arm plärrt, also muss ich etwas lauter reden, um mich verständlich zu machen. Inklusive Kochen und Verköstigen verpasse ich nicht nur den Anpfiff und das Führungstor für die Gauchos vom linken Ufer des Silberflusses, sondern auch den Moment, zu Gordon in die Kneipe zu gehen. Denn schwupps ist MM weg und ich muss Fußball zu Hause am Computerbildschirm anschauen. Das Kind klettert wieder auf den Tisch, probiert neue Tastenkombinationen aus und stellt mir auf dem Handy eine Uhr ein, die zuvor nicht da war. In der Halbzeit bereite ich das Abendessen für das Kind und überlege, warum mir Uruguay etwas sympathischer als Portugal ist, obwohl ich dafür absolut keinen nennenswerten Grund habe. Denn Portugal ist mir auch nicht unsympathisch, nicht einmal mehr C. Ronaldo, dessen Ehrgeiz und unstillbaren Erfolgshunger ich anzuerkennen gelernt habe.
Nun, damit das Spiel nicht ganz langweilig wird und ich vom Kinderstillen abgelenkt werde, köpft Pepe den zwischenzeitlichen Ausgleich nach einer Ecke, bei der sich alle Uruguayer auf C. Ronaldo konzentrieren. Das Ergebnis hat nicht lange Bestand, denn Suarez und Cavani kontern und letzterer markiert den Siegtreffer. Cavani muss leider raus, er hält sich das Bein. Im Sinne des Sports hoffe ich, dass er sich nicht verletzt hat und im Viertelfinale auflaufen kann.
Das Kind lege ich pünktlich ins Bett. Weiter geht es für mich an diesem Abend nicht mehr, denn als MM nach Hause kommt, traue ich ihr nicht mehr zu, im Notfall das Schreien des Kindes wahrzunehmen, geschweige denn darauf noch zu reagieren.