Die Arbeit, das Leben, der Käse: drei wichtige Dinge, die auch vor dem Fußball nicht Halt machen. Das Schöne dabei ist, dass sich Deutschland wesentlich leichter tut, wenn ich nicht mitfiebernd vor dem Bildschirm der Allzweckmaschine sitzen kann. Und irgendwie geht der 2:0-Sieg gegen Dänemark auch in Ordnung, habe ich gehört.
Das königliche Lustschloss der Königin Anna
Also, den Tag verbringe ich in der netten Atmosphäre vor dem königlichen Lustschlösschen der Königin Anna, einem der gelungensten Renaissance-Bauten nördlich der Alpen. Zu meinem Vergnügen stelle ich fest, dass der singende Brunnen wieder Wasser führt, seine Stimme aber verloren hat. Egal, ich bin ja nicht zu meinem Vergnügen hier, sondern zum Käseschneiden (weich, hart, halbhart, blau, gelb, weiß, rot, orange). Ich kann die meisten Sorten sogar mit Vornamen ansprechen und kenne manchmal ihre Herkunftsregion. Verkaufs- und Beratungsgespräche führe ich in den meisten gängigen europäischen Sprachen (außer Russisch), wenn ich mir auch manchmal mit „mäh“, „bäh“ oder „muh“ behelfen muss, um die Herkunft des Grundstoffes zoologisch zu klassifizieren. Zugegeben, für einfache Gespräche reicht ein Wortschatz von ca. 20 Wörtern aus, Zahlwörter nicht inbegriffen. Die Außentemperaturen übersteigen 30°C, unter der Zeltplane staut sich bei Windstille etwas die Hitze.
Viel Wasser trinken
Während des Tages tanke ich vier bis fünf Liter Mineralwasser, ohne einmal auf Toilette zu müssen. An Fußball denke ich erst, als ich einen Dänen mit erstklassiger Ware versorge. Da fällt es mir wieder ein, dass abends ja noch ein Spiel ist. Der Däne will seine Ware darob zurückgeben, ich sage ihm, Pech gehabt, du hast schon bezahlt. Wir machen eigentlich nur ein bisschen Spaß, denn seit dem preußisch-dänischen Krieg 1864 herrscht zwischen beiden Ländern meines Wissens nach eine entspannte Atmosphäre, die auch die Rückgliederung von Nordschleswig nicht erschüttern konnte. Selbst im 2. Weltkrieg soll ja die Besetzung von Dänemark durch die Wehrmacht ein Freundschaftsspiel gewesen sein, so was wie „das Dritte Reich zu Gast bei Freunden“, wenn diese auch keine explizite Einladung ausgesprochen hatten.
Franzosen wundern sich über die Schweiz
Irgendwann erfahre ich zwischen 19 und 19.30h, dass die Schweiz 2:0 gegen Italien führt, was die beiden Franzosen in Erstaunen versetzt. Wer Deutschland ein Unentschieden abringt, hat sicher auch das Zeug, Italien, den Qualifikanten der letzten Aktion, zu besiegen. Am nächsten Tag sehe ich in der Zusammenfassung einige kuriose Szenen vor dem Tor von Sommer. Schär, dieser Teufelskerl von Abwehrrecke, scheitert diesmal am Pfosten, und kann sein Konto nicht auf zwei Eigentore aufstocken. (Ich schaue extra nach und bin enttäuscht, offiziell wird sein Tor als schottisches Tor, erzielt von einem McDingsda, geführt.) Allzu lange will ich mich gar nicht mit diesem Spiel aufhalten, denn um 20h muss der Verkaufsstand geräumt sein. Der Nordpark der Prager Burg ist militärisches Gelände und der oberste Hausherr, Präsident Pavel, ehemaliger NATO-General, da kann nicht jeder machen, was er will. Aber es zieht sich, bis wir endlich mit einer Kiste schmutziger Messer und Schneidbretter zum Laden kommen.
Spielunterbrechung in Dortmund
Ich kontrolliere auf meinem Handy den Spielstand, 0:0 und unterbrochen. Irgendwie verliere ich dann wohl den Faden, wir reinigen noch unser Werkzeug, nehmen noch einen zur Brust und dann vielleicht noch einen. Irgendwie erfahre ich, dass Deutschland 2:0 gewonnen hat, doch ich bekomme nichts zu Gesicht. Erst am folgenden Tag, da lässt mich meine Tochter bei weitem nicht so lange schlafen, wie ich es bedarf. Es sind die ersten großen Ferien in ihrem Leben, da hat sie noch nicht verstanden, dass man dann auch lange schlafen muss.
Schon wieder ein Tor aberkannt
Ich schaue also die Zusammenfassung und rege mich gleich über den Schiedsrichter auf. Nach drei Minuten köpft Schlotterbeck einen Eckball von Kroos ins Tor und der Pfeifenmann wird darüber informiert, dass man das Tor nicht geben darf, da die neue Regel besagt, dass Deutschlands erstes Tor aberkannt werden muss, sollte es sich dabei nicht um ein Eigentor handeln, aber selbst dann könnte noch Klärungsbedarf bestehen. Deutschland vergibt einen Haufen Torchancen und kassiert das 0:1. Abseits! Das nächste Mal die Zehennägel kürzer schneiden, dann wäre es vielleicht korrekt gewesen. Dann gleich darauf Hand! Elfer für Deutschland, Havertz macht den Lewandowski und tänzelt beim Anlauf wie ein Lipizaner in der Hofburg. Den Torwart, Schmeichel jr., kriegt er so nicht verladen, doch zum Glück ist sein Ball zu präzise und sitzt. Dann traut sich Schmeichel jr. bei einem langen Ball nicht aus seinem Torraum und lädt Musiala zum 2:0 ein. Wirtz macht sogar noch ein Tor, doch der Video-Assi hat wieder mal was dagegen. Was für ein Elend, diese Technik. Wenn sie dann mal da ist, wird sie auch genutzt, zurücknehmen kann man das nicht mehr. Da wird jetzt durch ein Richtmikrofon gemessen, ob die Hand den Ball berührt, ob der Ball dadurch ein Richtungsänderung erfährt, spielt überhaupt keine Rolle mehr. Der dänische Trainer hat ja recht mit seiner Kritik, da sei gegen den Geist des Fußballs, aber die Entscheidungen waren nun mal korrekt und Deutschland weiter.
England und Spanien weiter
Sonntag verlief dann ähnlich wie der Samstag. Die grottigen Engländer springen dem Turniertod von der Schippe und besiegen die Slowakei mit 2:1 nach Verlängerung. Und Spanien hat nicht wirklich Probleme mit Georgien, auch wenn sie durch ein Eigentor früh zurück liegen. Es hilft nichts, Deutschland muss im Viertelfinale gegen Spanien ran. Noch schlimmer: Ich werde Zeit haben, das Spiel anzuschauen. Am allerschlimmsten: Ich weiß nicht mal, ob der Umstand mich besonders freut.