Die Tage der Parallelspiele finden ihre Fortsetzung, das Dickicht der Möglichkeiten lichtet sich und siehe da, am Ende des Tages hat sich auch die Schweiz für das Achtelfinale qualifiziert, obwohl sie gar nicht im Einsatz war. Außerdem sind alle, die mindestens vier Punkte erreicht haben, vorab qualifiziert, was wiederum dem Taktieren um Gruppenplätze angesichts möglicher Achtelfinalgegner Tür und Tor öffnet. Selbst Deutschland kann sich jetzt eine Niederlage mit einem Tor erlauben, wenn ich den Turniermodus richtig verstanden habe. (Oder zählt in der Gruppe der direkte Vergleich? Dann geht das natürlich nur, wenn zeitgleich Portugal ebenfalls verliert.) Ach, immer diese Ungewissheit, am besten ist es dann doch, wenn man seine Spiele einfach gewinnt. Wie Italien, die Niederlande und Belgien, die mit der maximalen Punktausbeute die Gruppenphase abschließen.
Am besten ist es zu gewinnen
Um 18h ist Anpfiff der ersten Spiele, ich sitze jedoch im achten Stock in der Sitzlandschaft eines modernen Bürohauses im Prager Zentrum und erwarte eine Schülerin, die dann um 18.01h kommt. Die Firma ist eine der vier großen Wirtschaftsprüfungsagenturen, ein global player, und jüngst durch den Wirecard-Skandal, der vor ziemlich genau einem Jahr aufgeflogen ist, ins Gerede gekommen. Ich sitze eine Stunde in einem wunderbar klimatisierten meeting room mit Ausblick auf den Vítkov, den Berg Jan von Trocnovs, genannt Žižka. Die junge Frau mir gegenüber trägt keinen business dress, sondern ein Jeanskleid, ist Mitte zwanzig und neben ihrem fulltime job als consulting auch noch Studentin an zwei Universitäten, derjenigen in Prag und einer in Moskau. Ich glaube nicht, dass sie sich für Fußball interessiert, geschweige denn die Zeit hat, sich zwei Stunden (inklusive Pause und Nachspielzeit) mit so etwas Banalem zu beschäftigen wie 22 Männer in kurzen Hosen, davon ein Drittel tätowiert vom Haaransatz bis zum Zehennagelbett, die einem Ball hinterherlaufen. Ihr Deutsch ist leidlich hervorragend, zum Glück entdecke ich ein paar Fehlerchen, denn sonst könnten wir unsere Zusammenarbeit an dieser Stelle bereits beenden. Während ich um 19h hinaus in die Freizeitwelt gehe, bleibt sie noch im Bürokomplex und arbeitet nach eigenem Bekunden weiter.
Ich eile nun nicht direkt vor den nächsten Fernsehbildschirm in einem Bierausschank, sondern lasse mir Zeit zum Einkauf bei einem discounter, dem ich natürlich auf den Sonderangeboten-Leim gehe. In der neuen Wohnung besitzen wir einen Gefrierschrank, der sowieso mit dem Kühlschrank läuft, also kann man den auch füllen.
Österreich ist erstmals weiter
Zu Hause angekommen erfahre ich, dass die Niederlande wieder gewonnen haben, 3:0 gegen Nordmazedonien, und Österreich erstmals in der Geschichte des Landes die Gruppenphase einer Europameisterschaft überstanden hat. Jetzt wird mir auch klar, warum man dieses Turnier beim letzten Mal auf 24 Mannschaften aufgeblasen hat. Herzlichen Glückwunsch an die Nachfahren eines Teils der Donaumonarchie! Gott schütze unsern Kaiser... und natürlich auch David Alaba!
Kurz vor dem Anpfiff der Abendspielrunde um 21h treffen meine Tochter und ihre Mutter zu Hause ein. Meine Tochter hat eine kleine Sonnenallergie und weigert sich beharrlich, eine kleine Dusche zu nehmen. Als kein gutes Zureden meinerseits hilft, wendet die Mutter rohe Gewalt an, das Kind schreit wie am Spieß, ist hernach aber sauber.
Anfangs wehrt sich Russland
Während Dänemark sich zunächst abmüht, den nötigen Sieg gegen Russland einzufahren, kämpfe ich mit den struppigen Haaren meiner Tochter, durch die kein Kamm der Welt mehr gleiten kann. Dänemark ist aktiv, Russland erstaunlich passiv. Hat der Trainer ihnen nicht gesagt, dass sie sich noch für das Achtelfinale qualifizieren können? Oder hat die Mannschaft schlicht keine Lust, den Sommerurlaub länger als nötig aufzuschieben? Wie dem auch sei, meine Tochter fordert minutenlang einen Programmwechsel zu Blippi, so einem Clown für Kinder auf youtube, ehe sie einlenkt: „Erst kuckt Papa Fußball, später kucke ich Blippi.“
Kurzer Hoffnungsschimmer
Dänemark schießt ein Tor, meine Tochter fordert trotz der Hitze und noch knapp 30 Grad in der Wohnung eine Decke. Kurz nach der Halbzeit möchte sie ins Bett und das Spiel kann richtig losgehen. Russland schenkt mit dem katastophalsten Rückpass des Turniers Leipzig-Poulsen ein Tor, der Schiedsrichter den Russen wiederum einen Elfmeter, dessen Verwandlung die Statistik auf 50% genutzte Strafstöße schraubt. Das Spiel steht kurz auf der Kippe, Russland braucht nur noch ein Tor, dann qualifiziert es sich für die k.o.-Phase und Dänemark wäre ausgeschieden. Relativ schnell bringen die Dänen das Kräfteverhältnis ins rechte Lot, 4:1 heißt es am Ende und ich würde sagen, Russland hat ein schwaches Turnier gespielt, abzulesen am Torverhältnis 2:7, und scheidet völlig verdient als Tabellenletzter aus. Finnland verliert am Ende mit 0:2 gegen Belgien und hat als Dritter mit drei Punkten und 1:3 Toren noch vage Hoffnungen. Doch ehrlich gesagt, wer will diese Truppe weiterhin im Turnier sehen – außer die wertgeschätzten Finnen natürlich? Fußballerisch hat sie dort eigentlich nichts verloren.
Ganz zum Schluss: Pandev von Nordmnazedonien beendet wohl seine erfolgreiche internationale Karriere, viel Glück im weiteren Leben (oder was soll man da sagen)? Sie waren eine Bereicherung für den Fußball.