Der Tag nach dem großen Krach brachte einfach mal Ruhe, nahezu Grabesstille. Tatsächlich entziehe ich dem Kind aus pädagogischen Gründen seine Dosis Internet-Fußball und begebe mich - es ist ja Sonntag und daher theoretisch arbeitsfrei – in Freds Bar, den Austragungsort so vieler Dramen in den Jahren 2006, 2008, 2010, 2014 und auch noch ein bisschen 2016. Sie merken, die Eh Emms sind mit eingerechnet und dieser zweite Achtelfinalspieltag fühlt sich auch wie eine solche an, wie zwei typische Spiele der aufgeblähten Eh Emm 2016, die erst am Ende interessant wurden. Doch zuvor steht stundenlanges Arbeiten gegen den Ball auf dem Programm. Und Spaniens Kurzpassfolter. Wie die Hühner sitzen wir vor der Bar auf der Stange und starren auf den Bildschirm. Es ist Sonntagnachmittag, das Wetter heiter bis wolkig und die witzigen Bemerkungen waren auch schon mal spritziger. Sergio Ramos zwingt seinen Gegenspieler in einer Ringereinlage nach einem Eckball zu einem Eigentor, damit ist die gesamte Offensivpower der Spanier aufgebraucht. In seinem letzten Spiel für die Nationalmannschaft muss Andres Iniesta nicht von Anfang an Ball zirkulieren lassen, er kommt erst später.
Iniestas letztes Länderspiel
Spaniens Führung hat nicht lange Bestand, denn Piqué springt mit hochgerecktem Arm in einen an sich harmlosen Kopfball. Absicht oder nicht spielt keine Rolle, Schiedsrichter Kuipers – das war doch der, der Neymar einen Elfmeter zurückgepfiffen hat? - glaubt auch den Beteuerungen nicht, dass der Ball am Hinterkopf gelandet sei, Elfer, Anlauf, Torwart verladen, Ausgleich. Das Programm für die folgenden ca. anderthalb Stunden Spielzeit lautet, Spanien versucht durch die Kurzpassfolter den Gegner müde zu spielen, doch der wird einfach nicht müde, denn er ist ja staatlich verordnet gedopt. Das ist quasi ein offenes Geheimnis bei dieser Weh Emm, Russland in einer leichten Vorrundengruppe und dann mit sicheren Elfmeterschützen. Auf der Ehrentribüne lässt sich Putin gar nicht blicken, hat das etwas zu bedeuten? Einer der Anwesenden in Freds Bar – ein Schwede – entdeckt stattdessen Medwedews Frau, ich hätte sie ehrlich gesagt nicht erkannt. Medwedew ist der, der Putin ersetzt, wenn der eine Amtszeit aussetzen muss. Ich verstehe ja nicht, warum sie dann nicht einfach die Verfassung ändern, so wie Erdögan, der vor exakt einer Woche wiedergewählt wurde. Sogar sein genialer Schachzug, die deutsche Nationalmannschaft zu spalten, ist mit dem Pflichttermin für Özil und Gündogan aufgegangen. Warum ist also Putin nicht im Stadion? Oder wartet er einfach nur den Verlauf des Geschehens ab und zeigt sich erst, wenn Russland tatsächlich Spanien besiegt? Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sein säuerliches Gesicht nach einer Niederlage in Großaufnahme um die Fernsehwelt senden möchte.
Irgendwann kommt Iniesta, irgendwann geht Diego Costa, der einzige, dem man noch einen erfolgreichen Torabschluss zugetraut hätte, und ich gehe auch, nach dem Ablauf der regulären Spielzeit. Spanien wirkt ähnlich inspiriert wie Deutschland, nur etwas ballsicherer und hetzt nicht ständig gen Eckfahne, wie der Kimmich, der von dort keine Lösung weiß, wenn er das Verbot hoher Flanken beachtet. Man kann es bei dieser Weh Emm gut erkennen, der Ballbesitzfußball, der wie eine Boa Constrictor den Gegner allmählich erdrückt, ist tot, der Lehrmeister Spanien raus, der Zauberlehrling Löws Truppe ebenfalls. Und mit Andres Iniesta, dem spanischen Götze irgendwie, gaht nun auch der letzte Protagonist. Ab sofort darf wieder gesprintet und gekontert werden. (Heute nennt man das ja „Umschaltspiel“)
Ich packe mein Kind in den Kinderwagen und fahre es in den Park. Dort komme ich gerade zu einem kinderfreundlichen Public Viewing Platz (Sandkasten, Bier, Grill), wo ich das Vorrundenspiel zwischen Iran und Spanien (glaube ich jetzt mal) gesehen habe. Die letzte Minute der Verlängerung läuft, es steht immer noch 1:1, das Spiel sieht immer noch so aus wie eine Stunde zuvor. Ich schaue mir also das Elfmeterschießen an und nehme das Kind auf den Arm, damit es besser sehen kann. Russland verwandelt sogar die Elfmeter, die wahnsinnige schlecht geschossen sind (kniehoch in die Mitte), Spanien scheitert zwei Mal, das bedeutet das Aus, einen Tag nach Portugals Scheitern ist die iberische Halbinsel gänzlich von der WM-Karte verschwunden. Und Russland wartet auf den Sieger zwischen Kroatien und Dänemark.
Gewagte Kletterkünste
Das Kind wird an diesem Vorabend endgültig Opfer seiner Kletterleidenschaft und fällt aus dem Kinderwagen auf den Bürgersteig, als es bei voller Fahrt versucht, auszusteigen. Ich muss es dann auf den Arm nehmen, zum Glück sind solche Stürze aus niedriger Höhe bei Kleinkindern harmlos, das Schreien entspringt auch mehr dem Schock als dem Schmerz und hört bald wieder auf. Die Lebensgefährtin MM macht mich deshalb mächtig an, als ich ihr davon erzähle. Ich nehme das zum Anlass, mich für das zweite Spiel in die Punk-Kneipe abzusetzen. Dabei werde ich beinahe von einem Auto angefahren, das regelwidrig links abbiegt, während ich bei meiner Grünphase über die Ampel gehe. Ich schreie die Fahrerin – ein ostasiatisches Gesicht, ein Nummernschild vom Mittelböhmischen Kreis – gehörig an, denn falsches Linksabbiegen unternimmt man nun nicht gerade in Schrittgeschwindigkeit. Ordentlich unter Adrenalin bekomme ich die beiden Tore in den ersten vier Minuten nur halb mit. Danach verflacht das Spiel, ich halte es nicht bis zum Ende aus und gehe vor dem Schlusspfiff. Es ist eben wieder eines dieser Eh Emm-Spiele bei der Weh Emm, viel Taktik, viel Laufbereitschaft, wenige Torchancen, danach steht mir nun nicht gerade der Sinn.
Unwissend ins Bett
Ich wiederhole alles Versäumte am nächsten Morgen, an dem mich die Tochter wie gewohnt um sieben Uhr sanft weckt und von mir wissen möchte, was denn aus der Co-Heimat in diesem Turnier geworden ist. Nach Windelwechsel und Flaschegeben informiere ich mich auch mal. Es ist gut gegangen, Kroatien hat es im Elfmeterschießen geschafft. Dabei hätte es dessen gar nicht bedürft, wenn Modrić in der 116. Minute vom Punkt getroffen hätte. Der Rebić, der ja schon im deutschen Pokalfinale den Hummels hat ziemlich alt aussehen lassen – das hätte der Löw doch sehen müssen, wie langsam und ausgelaugt der Hummels da hinter dem Rebić hergehechelt ist, wo war denn da der Bundes-Jogi? Und was macht der denn eigentlich jetzt? Ich wurde ja schon gefragt, ob der mittlerweile entlassen wurde, konnte darauf aber keine bestimmte Antwort geben. Also, der Rebić ist mal wieder den Abwehrspielern nach einem schönen Pass in die Tiefe (Modrić? Rakitić?) davongeeilt, umkurvte Schmeichel II. In der dänischen Torwartdynastie und wird gerade noch von einer dänischen Abwehrgrätsche am erfolgreichen Abschluss gehindert. Klarer Elfmeter und rote Karte, denke ich. Den Elfer gibt’s, den dann der Modrić verschießt, doch nicht den Platzverweis.
Neue Fußballregeln?
Verstehe ich nun nicht, hat Putin diese Regel etwa für seine Weh Emm ändern lassen? War das auch so eine seiner Bedingungen neben dem Übersehen des staatlich verordneten Dopings? Auf jeden Fall ist dieser, der schlimmste Tag des Achtelfinales, überstanden und im Viertelfinale treffen sich Kroatien und Russland. Eines dieser Teams wird tatsächlich ins Halbfinale einziehen, vielleicht eben Russland, das ist schon ziemlich verrückt, wenn man bedenkt, wie mies diese Truppe in den letzten Jahren gespielt hat. Und vor allem, wenn man weiß wie schlecht in der russischen Liga trainiert wird, Kevin Kuranyi kann ein Lied davon singen, denn nach seinem Moskau-Abenteuer, das sich sicherlich pekuniär gelohnt hat, hat er in seiner Hoffenheim-Abschiedssaison kein einziges Tor mehr fabriziert. Und jetzt laufen sie wie die Hasen auf Doppelduracel, schon merkwürdig.