Nach dem Käsekuchen-Nachmittag mit Spielplatzbesuch wartet am Abend das erste Deutschland-Spiel auf mich, das ich live und in voller Aufmerksamkeit am Bildschirm der Allzweck-Maschine verfolgen kann. Ach, ist das aufregend! Aber hoffentlich kein schlechtes Zeichen, denn bisher hat es ja auch ohne meinen geistigen Beistand geklappt. Sogar so gut, dass ein Weiterkommen aus der Gruppe schon gesichert ist. Das gibt mir das Gefühl meiner Jugend zurück, wo man gar nichts anderes kannte als weiterkommen (1984 ausgenommen, da brach ein Gegentor in letzter Sekunde den Mannen vor Harald „Toni“ Schumacher das Genick, da fing es eigentlich an, das Dilemma mit Spanien).
Das Mittelfeld im deutschen Satz
Ich bereite mich akribisch vor und studiere noch in der letzten Stunde vor dem Abpfiff die Besetzung des Mittelfelds und dessen verschiedene Felder. Das ist im deutschen Satz gar nicht so einfach, wie ich es meinen Studenten immer glauben mache. Im Fußball scheint das simpel, Nagelsmann, bekannt dafür, die Komplexität des Fußballs auf variable Matrixen herunterzubrechen, lässt die selben elf spielen, wie zwei Mal zuvor. Ich höre die Schweizer Nationalhymne und frage mich, in welcher Sprache deren Text eigentlich gesungen wird, bei der Darbietung des Fußballchors verstehe ich kein Wort. Alle deutschen Spieler singen mit, das hat es 1984 aber nicht gegeben, Schumacher hat dabei immer Kaugummi gekaut und Breitner gelangweilt geschaut. Lag's an der Musik oder an was, meine Tochter springt während der Seitenwahl plötzlich auf läuft zur Toilette und muss kurz danach kotzen. Zwei kleine Strahlen, ich entdecke wenig völlig Unverdautes – anders als bei mir nach dem ersten Deutschland-Spiel -, dann geht es ihr gleich wieder besser. Das passiert alles so schnell, dass ich beim Anstoß schon wieder an meinem Platz bin.
Mit so einem Schiedsrichter muss man leben
Ja, das Spiel, das läuft, Deutschland bemüht, aber glücklos mit dem Schiedsrichter. Annulliert ein schönes Aufsetzertor von Andrich, weil der Musiala da einen Verteidiger erwischt hat. Sind halt beide zum Ball gegangen, der eine war halt etwas schneller, böse Absicht war da nicht, wenn überhaupt ein Foul. Ich habe noch nie gesehen, dass so etwas als Stürmerfoul abgepfiffen wird. So kommt dann, was kommen muss, hinten passen sie halt mal wieder nicht auf, doch diesmal klingelts gleich, anders als noch gegen Ungarn. Natürlich über Kimmichs Abwehrseite, ist doch klar. Muss man dazu noch was sagen? Seit 2018 weiß man ja Bescheid. Was soll man bloß mit diesem Spieler anfangen? An die Seite von Toni Kroos kann man ihn nicht stellen, da wird sich der Trainer gedacht haben, mit dem können die Mittelfeldspieler gut kombinieren, dann stell' ich den eben nach hinten rechts. Blöd nur, dass man da auch manchmal Defensivarbeit verrichten muss und am besten auch noch schnell sein sollte. Der Reporter erzählt doch tatsächlich, dass der Kimmich bisher Bestnoten bekommen hat, da kann ich mir nur an den Kopf fassen. Spielverzögerer Kimmich? Wie Matthäus bei der Eh-Em 2000, der da aber immerhin schon 40 Jahre alt war.
Der spielerische Ansatz versagt
Die deutsche Elf versucht es halt spielerisch, doch da geht bei den Schweizern kaum was durch, so dass sie es letztendlich doch wieder mit Flanken von außen versuchen müssen. Der Havertz in der Mitte ist ja auch groß und kommt mit dem Kopf manchmal an den Ball, nur bringt er den dann nicht gefährlich aufs Tor. Der Tah sieht dann irgendwann gelb, wobei ich mich bei der Entscheidung auch wundern muss. Fehlt auf jeden Fall im Achtelfinale, wo Italien droht. Aber warum auch nicht gegen Italien? 2016 ist man ja auch weiter gekommen. Damals hat aber auch noch Jonas Hector mitgespielt, der würde jetzt sicherlich fehlen.
Ist Beier besser als Füllkrug?
Das Spiel läuft und läuft und läuft wie ein VW-Käfer, die ganze Nation denkt, wann bringt er denn endlich Füllkrug? Doch zuerst ist diesmal Beier dran, der für Hoffenheim erstaunlich viele Tore geschossen hat, von dem ich aber nicht weiß, ob der von seiner Statur her der richtige für den Job ist, die Schweizer Abwehrkanten mal ein bisschen aufzumischen. Der eine von ihnen, Schär glaube ich, oder war es der Akanji, reißt den Beier mit einem beherzten Ringergriff um, doch der Pfeifenmann zuckt nicht mal mit der Wimper. Ja, haben die den den Video-Assi heute zu Hause gelassen? Nein, haben sie nicht, denn der erkennt das Abseits von Vargas beim 2:0 ganz richtig ab, so dass sich alles zum großen Happy End sammeln kann, dem Füllkrug-Moment in der Nachspielzeit, in dem er eine schöne Flanke von Raum – welch ein Name für einen Flügelflitzer – wunderbar in die Maschen köpft. Füllkrug lässt es so leicht aussehen, wo sich Havertz, Rüdiger und sogar Gündogan zuvor blamiert haben. Der Ausgleich bedeutet den Gruppensieg und damit kein Italien im Achtelfinale, stattdessen jedoch ein mögliches Viertelfinale gegen Spanien. Natürlich muss man erst mal dahin kommen, das ist klar.
Ungarn schickt Schottland heim
Deutschland hat es also geschafft, doch was machen denn eigentlich die Schotten und Ungarn im Parallelspiel? Immer noch spielen, sehe ich im Internet, es steht noch 0:0 und es gibt zehn Minuten Nachspielzeit. Zehn Minuten bei der Eh-Em des möglichst pünktlichen Abpfiffs? Normal ist das nicht. Ist es auch nicht, denn die Schlägertruppe von den britischen Inseln hat den Spieler Varga (Ungarn, nicht verwechseln mit Vargas, Schweiz) so zugerichtet, dass das gesamte Stadion in eine Schockstarre fällt. Zum Glück schießt Ungarn noch ein Tor und Schottland aus dem Turnier und sich damit auf den dritten Platz der Gruppe, der noch eine kleine Hoffnung auf ein Weiterkommen gewährt. (Ich muss ja wohl nicht die Regelung mit den vier besten Gruppendritten herunterleiern?)