Der Autor

Steffi Böttger wurde in Leipzig geboren. Nach einer Schauspielausbildung und Engagements an verschiedenen Theatern arbeitet sie seit 1994 freischaffend.

Nach einem Studienaufenthalt in der USA gab sie die Publizistik des Schriftstellers Hans Natonek heraus und 2013 erschien ihre Natonek-Biographie "Für immer fremd" im Lehmstedt Verlag.

Mittlerweile publiziert sie nicht nur kulturgeschichtliche Stadtführer deutscher und Schweizer Städte, sondern beschäftigt sich mit Autoren des frühen 19. Jahrhunderts. Regelmäßig erscheinen dazu ihre Texte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und den Leipziger Blättern.

Sie ist als Sprecherin für Hörbücher im Tonstudio der Deutschen Zentralbücherei für Blinde zu Leipzig (heute DZB Lesen) und als Synchronsprecherin für Dokumentationen bei Arte und der ARD tätig.

In den Monaten Mai und Juni 2024 ist Steffi Böttger eine Stipendiatin im Prager Literaturhaus.

Bildnachweis:
© Prager Literaturhaus

Blog

| Steffi Böttger | Rubrik: Feuilleton | 13.6.2024

Blog 3

2024-05-30

Mich erreichen ständig Fragen von daheimgebliebenen Freunden, was ich denn alles gesehen habe. Du musst unbedingt in dies oder jenes Museum, in die Oper, das Theater, Konzerte!

Ich habe keine Lust. Ich möchte lieber nicht, sagt Bartleby. Was ich in den Stadtteilen sehe, ist viel eher Prag. Die Stadt zu erwandern, ist viel erfrischender. Und ich entdecke die tschechischen Fotografen, Vaclav Chochola und den Slowaken Pavol Kmet´o. Der eine fotografierte zwar in erster Linie Menschen, Dalí und Louis Armstrong beim Konzert 1965 in Prag zum Beispiel, aber es gibt auch hinreißende Straßenaufnahmen von ihm aus den späten 1940er Jahren. Kmet´o fotografiert heute, natürlich auch in S/W, die Brücken über die Moldau. Dagmar Hochova, die Granddame der tschechischen Fotografie lebt leider nicht mehr, aber im Augenblick gibt es verschiedene schmale Publikationen von ihr bei Foto Škoda. Der beinahe tägliche Gang dorthin lohnt. Und zum Haus der Fotografie in der Revoluční. Das ist Prag für mich.

 

2024-06-04

Merkwürdig, hier wache ich morgens gegen 6 Uhr auf und bin putzmunter. Die Stadt ist ruhig, die Touristen wälzen sich in ihren Kissen oder große Pläne, wohin sie am Tag gehen könnten. Am besten dahin, wo kein anderer Tourist ist. Lonely Planet – Pustekuchen! Den haben alle gelesen und rennen nun zu den Geheimtipps. Und so ist es da wahrscheinlich voller als sonstwo.

 

2024-06-10

Endlich wieder zurück in Prag. Ein paar Tage lang war ich in Brünn, Boskovice und Česky Krumlov. Ich wollte die Mährische Landesbibliothek kennenlernen, und ich wollte die letzten Zeugnisse der jüdischen Gemeinde in Boskovice sehen. Was man dort an Immobilem bewahren konnte, ist heute zu besichtigen. Das Ghetto mit dem großen Tor, die Hauptsynagoge, die Mikwe und der malerisch am Hang gelegene große Friedhof, dessen Gräber nach Jerusalem gerichtet sind. Aber Juden gibt es nicht mehr, seit 1942 alle Bewohner des Ghettos deportiert wurden. Ein heimlich aufgenommenes, völlig verschwommenes Foto, das in einer kleinen Ausstellung hängt, zeigt eine Familie vor ihrem Haus versammelt, mit Säcken und Koffern. Eine Vermögensaufstellung der Gemeinde, einschließlich ihrer Wertpapiere, Einlagen und Hausbesitze, ist ebenfalls ausgestellt. Es ist auf Tschechisch verfasst.

In Česky Krumlov habe ich einen ungeheuren Schatz entdeckt: das Fotoarchiv von Josef und Franz Seidel mit dem vollständig erhaltenen Fotoatelier und einer Sammlung von vielen tausend Aufnahmen. Seidel hat seit 1886 das Leben in Südböhmen zunächst auf Glasplatten festgehalten, später mit Tageslicht experimentiert. Die Fotodatenbank findet man unter: fotobanka.seidel.cz

 

2024-06-12

Heute habe ich im Lesesaal des Tschechischen Museums der Musik gearbeitet. Ich liebe diese Archivatmosphäre. Alle bewegen sich leise, treten behutsam auf, flüstern nur, schauen sich betreten um, wenn ihnen ein Stift zu Boden fällt. Gefunden habe ich auch, wonach ich gesucht habe. Also, wieder ein erfolgreicher Tag.

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