Der Autor

Robert Krupar, alias Krupski, wurde 1984 in Riesa geboren und ist u.a. Autor und Performer sowie Sänger und Texter der Band Schubsen.

Unter dem Pseudonym Krupski schreibt er Kurzgeschichten, Erzählungen, Gedichte und Liedtexte. 2015 veröffentlichte er gemeinsam mit Bird Berlin die Gedichtsammlung „Bitterhonig & Der Klang des Taumelns“. 2017 ist der Kurzgeschichtenband „Nach dem Autoscooter links - Erzählungen“ und 2019 sein jüngstes Buch "Die Knittrigen" erschienen. Mit seiner Band veröffentlichte er zwischen 2016 und 2021 drei Alben. 

Im Oktober 2023 ist Robert Krupar ein Stipendiat im Prager Literaturhaus (in Zusammenarbeit mit der Stadt Nürnberg und dem Verband deutscher Schriftsteller und Schriftstellerinnen Mittelfranken). Während des Aufenthalts in Prag arbeitet er an seinem aktuellen literarischen Projekt.

 

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© Romana Eisele

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| Robert Krupar | Rubrik: Feuilleton | 12.10.2023

Konstellationen in Smíchov

Zum großen Glück habe ich mehr als genügend Zeit und so flaniere ich die ersten Tage in Prag größtenteils ziellos durch die Gegend. Für´ s erste durch das Viertel, in dem ich nun wohne.  So kreuze ich kleine Cafés, versteckte Plattenläden, spannende Innenhöfe und reichlich Buchläden, die es überall zu geben scheint. Genau die richtige Symbiose für meinen Geschmack. Ich komme auf die Idee zu einem Konzert zu gehen und nachdem ich das Netz durchforste, werde ich ziemlich schnell fündig.

Im „Underdogs“, schon der Name lädt mich ein, stehen drei Bands auf dem Tableau. Auf dem Weg dahin führt der Himmel ein kleines Schauspiel auf und zeigt mir (s)ein merkwürdig-schönes Gesicht. Über der anderen Moldauseite zieht mich ein aufklaffendes Loch in der Wolkendecke, aus dem die Abendröte grüßt, magisch an. Die Richtung stimmt also. So viele Einladungen schlage ich nicht aus und sage gern zu. Die Straßenbahnlinie führt mich in den Stadtteil Smichov, in dem es sehr abwechslungsreich zu geht. Da umarmt sich eine post-industrielle Stimmung, mit der größten Brauerei Prags, benannt nach dem hiesigen Lager Staropramen einerseits und anderseits kuscheln dort Jugendstil und moderne Bürogebäude miteinander. An der Haltestelle rausgesprungen lande ich gleich in einem schummrigen Seiteneingang, wo sich gerade eine ältere Dame mit einer Rauchwolke eingekleidet hat. Ich frage sie und den Rauch, ob hier ein Konzert stattfindet, und sie deutet mit dem Glimmstängel auf den Kellereingang. Unten angekommen gähnt mich ein Gast am Tresen und eine Leere an. Keine Band zu sehen, auch keine Bühne. Wo bin ich denn hier gelandet? Dann kommt, wie von Zauberhand, ein Typ hinter der Bar hervor, der mir zu verstehen gibt, dass er auch nicht genau wüsste, wer da heute spielt. Es sei noch niemand aufgetaucht. Meine Frage nach dem „Underdogs“, moderiert er nur mit einem Lächeln weg. Alle beide, er und der bis dahin stumme Gast lachen entspannt und geben ein chorisches „Ne“ von sich.  Okay, ich verstehe und erwidere ein holpriges „Děkuji“.

Auf dem Weg nach draußen begegne ich, neben einer weiteren Rauchwolke, einem älteren Herrn mit Gitarre unter dem Arm, der den Keller ansteuert. Ich wünsche ihm, dass noch paar Leute kommen, aber ich muss weiter. Ich habe schließlich einen Plan, obwohl ich ein wenig planlos umher steuere. Kurz unter einer schaurig-dunklen Unterführung durch und an grauen Fassaden vorbei, komme ich doch noch im Keller des „Underdogs“ an. Unverputzte Wände, raue Oberflächen, schales Licht und traumwandlerische Gestalten. Der erste Act „Neue Welt“ steht schon auf der Bühne und bezeichnet sich selbst als „Pražská Avantgardně Punková Kapela“. Dass kapiere ich sofort und vernehme deutlich ein verspieltes Keyboard, eine zischende Geige, dazu einen treibenden Bass und ein starres Schlagzeug. Also unterlegt mit einem ergreifenden tschechischen Gesang. Das Publikum braucht keine Aufwärmphase und ist direkt da. Die Zuhörenden sind aufmerksam, willig nach Musik und sehr beweglich. Ich hole mir am Tresen ein Bier, im Club ein vertrautes Gefühl und ich freue mich ein Teil der circa 40-45 Gäste zu sein. Als zweiter Act des Abends kommen „Body of Pain“. Der Name ist schon mal eine Ansage. Ebenfalls eine tschechische Band oder bessergesagt ein Duo mit einer Frau mit Gesang und einem Typ an der Elektronik. Von Anfang an zuckt das Tanzbein und zu elektrisch- hypnotischen Sounds mit einer Mischung aus Elektronik- Body- Music und düsterem 80er-Wave geht es voran, voran, voran und es wird getanzt, gemoscht und gezappelt.

Ich brauche eine Pause und mache vor dem Club die Bekanntschaft mit einem Hunter S. Thompsen Doppelgänger. Er sieht haargenau (korrekt: ohne Haare) aus wie Johnny Depp in dem Film „Fear & Loathing in Las Vegas“ und ist mit gelblicher Sonnenbrille, Hawaiihemd und einer Zigarettenverlängerungen, bestens wie sein Idol ausgestattet. Wir kommen ins Gespräch und es geht, wie zu erwarten war, über den amerikanischen Schriftsteller, der für seine Reportagen bekannt wurde. Zu der, zugebenermaßen herrlich-schrägen Unterhaltung gesellen sich noch ein paar höfliche Stammgäste des Underdogs, die Zigaretten teilen und keine Scheu vor Small- Talk haben in die Runde. So werden einzelne Gäste zu Duos, Trios, Quintett, Sextett und so weiter. Mit dabei auch drei Tourist*innen aus Deutschland, die von ihrem Roadtrip aus der Tatra kommen. Ein Großteil der Besucher*innen gesellen sich irgendwie zusammen und die Pause wird verplaudert.

Zum Grand Final zocken dann noch die wahnsinnig-spielfreudigen „Spread Joy“ aus Chicago, die mit ihrem Art-Dance-Punk großen Spaß und riesige Schweißperlen verbreiten. Da fällt es nicht ins Gewicht, dass die hippelige Sängerin einige der neuen Texte (noch) vom Textblatt abliest. Es gibt herzliche Konversation mit dem Publikum und alle verlassen mit einem Grinsen den Kellerclub, um sich noch den letzten Resten in den Gläsern, Flaschen und Tabaktaschen zu widmen. Die Stammgäste sind zufrieden, der Doppelgänger befüllt nochmal die Zigarettenverlängerungen und die Deutschen holen nochmal Bier.

Nachdem sie aufgefüllt haben, tauche ich noch weiter mit dem Trio in die Prager Nacht ein. Uns verschlägt es ins Café Jericho, dass bei mir im Viertel liegt. Wie selbstverständlich schlage ich das vor, weil ich den Ort einige Male schon passierte. Alle sind einverstanden. Die drei bringen mir noch das Kartenspiel Durak bei, bei dem gehörig „geschoben“, „geschummelt“, „eingemauert“, „die Richtung gewechselt“ wird. Ganz benommen von den Zufällen, dem Zusammenspiel der Nacht aus Text, Musik und Menschen schlendere ich zufrieden unter der geschlossen Wolkendecke zu meiner (Decke) in der Masarykovo Nabrezi zurück.

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