Der Autor

Andreas Maier (*1967 in Bad Nauheim) lebt und arbeitet in Hamburg. Er studierte klassische Philologie, Germanistik und Philosophie in Frankfurt am Main. In seiner Dissertation setzte er sich mit der Prosa Thomas Bernhardts auseinander.

Andreas Maier erhielt zahlreiche Prestigepreise und seine Werke wurden in verschiedene Sprachen übersetzt. Er ist seit 2005 Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland und seit 2015 Mitglied der Freien Akademie der Künste in Hamburg.

Sein 2010 erschienener Roman "Das Zimmer" erhielt den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis (in tschechischer Sprache 2013 erschienen in Übersetzung von Prof. Milan Tvrdík, Mitglied des Vorstands des Prager Literaturhauses). Der Roman ist der Auftakt zu einer elfbändigen Familiensaga, die im Dezember 2011 mit dem Roman "Das Haus" fortgesetzt wurde. Als fünfter Band der Serie erschien im August 2016 der Roman "Der Kreis".

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| Andreas Maier | Rubrik: Panorama, Gesellschaft | 1.12.2017

Über Weihnachten läßt sich nichts Sinnvolles sagen

Über Weihnachten läßt sich nichts Sinnvolles sagen, es sei denn aus theologischer Hinsicht. Aber der theologische Kern hat mit dem ganzen Drumherum wenig zu tun. Weihnachten ist ein Fest, das schon immer wie ein Schwamm verschiedenste Rituale aufgesogen bzw. assimiliert hat, die aus Christensicht allesamt heidnischer Natur sind. Unser Christuskind ist ja auch assimiliert: Bei uns muß es blond sein, unserem beliebtesten Weihnachtslied zufolge.

Weihnachten kann man feuilletonistisch hauptsächlich auf zwei Weisen betrachten: erstens in Form einer Liebeserklärung trotz allem. Das Licht. Die Stimmung. Die Kinder. Sie sind doch so glücklich! Wer möchte es ihnen vorenthalten? Und dann der ernste Nukleus des ganzen: die Welterlösung. Aber da wird es bereits eher theologisch. Dieser Kern ist eigentlich nichts für leichte Gemüter, die ein gemütliches Fest haben wollen.

Zweite Möglichkeit: Bashing. Immer dieses Geschwätz vom Licht! Von der Stimmung! Von den Kindern! Die Stadt Hamburg, in der ich wohne, verwandelt sich im Dezember in einen flächendeckenden, überall zusammenhängenden Weihnachts- und Glühweinsaufmarkt, und mit dem Licht, das allein auf dem Rathausmarkt einen Monat verleuchtet wird, könnte ich für die nächsten zweitausend Jahre mein Zimmer hell bekommen.

Beides, Liebeserklärung und Bashing, ist für mich problematisch. Denn erstens kann ich dem Fest gar nicht meine naive Liebe erklären, dafür hat es mich schon in meiner Kindheit und Jugend zu sehr genervt (natürlich durch meine Familie, hauptsächlich am 24.12.). Würde ich mich heute scheinbar verliebt an die Weihnachtsbrust werfen, hätte das etwas von „Identifikation mit dem Aggressor“.

Zum Bashing fehlen mir allerdings auch die Gründe. Klar, Weihnachten lehnt sich sehr aus dem Fenster und ist deshalb immer für einen Witz gut, aber wir selbst sind es ja, die die Latte hoch legen, was Weihnachten angeht. Nicht jeder muß ständig alles auf sinnstiftende Weise betrachten und analysieren bzw. kritisieren. Und was ist der Totalkonsum zur Weihnachtszeit anderes als eine der grandiosen Assimilierungsleistungen, mit denen das Fest schon immer seine aktuelle Zeitgenossenschaft bewiesen hat. Vom heidnischen Licht bis hin zum spätkapitalistischen Geschenkeirrsinn. Insofern hat dieser Irrsinn etwas Überindividuelles, er ist ein zu erfüllendes Ritual, nicht mehr und nicht weniger.

Es gibt nun aber etwas, zumindest was den 24.12. angeht, das ich in der öffentlichen Darstellung des Festes regelmäßig zu wenig erwähnt finde, obwohl es wirklich aussagekräftig ist. Ich meine das schon am morgen allgemein einsetzende Weihnachtsfluchtbesäufnis. Tatsächlich existiert eine Unmenge Menschen, die ab zehn oder elf Uhr in die Stammwirtschaft geht und sich bis zum späten Nachmittag total abschießt. Natürlich handelt sich hierbei gerade nicht um Weihnachtsflucht, sondern vielmehr um eine eigene eher anarchische Gemeinschaftsform für diesen Tag. In meiner Heimatstadt Friedberg fand das Weihnachtsbesäufnis in einer alten Bierwirtschaft namens „Dunkel“ statt. Später in Frankfurt ging ich ins „Gemalte Haus“, Apfelwein und Calvados. Es waren immer alle Bekannten da. Dieses Jahr bin ich für einen Monat in Prag und werde den „Schwarzen Ochsen“ auf dem Hradschin aufsuchen. Ich halte es für unzweifelhaft (wenn auch, wie gesagt, zu wenig ausgedrückt), daß für alle uns Menschen, die wir uns zu dem quer durch Europa einsetzenden 24.12.-Besäufnis ab morgens in der Wirtschaft einfinden, diese gemeinsamen Stunden zum Elementarsten am Fest gehören. Man kann jetzt sagen, daß das ja eigentlich mit Weihnachten gar nichts zu tun hat, denn das Fest hat noch gar nicht begonnen. Aber vielleicht ist es gerade deshalb so entspannt. Die Latte ist noch nicht hochgelegt, und frühere Familienerinnerungen kommen auch nicht vor, bei mir abgesehen von der an meinen Onkel J., der in meiner Kindheit tatsächlich immer betrunken an Heiligabend erschien. Nur wußte ich damals noch nicht, warum.

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