Der Autor

Die aus Niederösterreich stammende Autorin Lydia Steinbacher (*1993) ist Stipendiatin des Prager Literaturhauses im Juli 2017 und lebt und arbeitet in Wien. Sie begann bereits früh mit dem Schreiben. Im Jahr 2014 veröffentlichte sie "silex" (Berger Verlag), ihren ersten Gedichtband. Nach Lesereisen in Slovenien, Südtirol und den USA, führt es sie im Juli 2017 nach Prag.

In Prag präsentiert die Autorin eine Auswahl von Gedichten und Prosatexten. Die vorgestellten Gedichte stammen aus ihrem aktuellen Gedichtband "Im Grunde sind wir sehr verschieden", der im April 2017 im Limbus Verlag veröffentlicht wurde und illustriert ist mit Brandmalereien der Autorin. 

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© Helmut Steinbacher

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| Lydia Steinbacher | Rubrik: Panorama | 27.7.2017

Abschied und Protuberanzen

Natürlich habe ich nicht geklingelt – also die Taste mit dem Herz zur Wohnung ein Stockwerk unter mir gedrückt, meine ich – und werde es auch während meiner letzten Tage in dieser Stadt nicht tun. Die meisten Morgen habe ich der Moldau gewidmet, bin so oft an ihr entlanggelaufen, dass ein freundliches Handzeichen zu den Fischern und Müllmännern, die ihre Tage auch beim Wasser beginnen, schon gerechtfertigt scheint. Mit einigen neuen Texten werde ich nach Hause fahren und der Lust, in diesem Tempo weiterzuschreiben. In meinem Kopf hat sich „Die Moldau“ von Smetana festgesetzt – der Ursprung, Jagd, Hochzeit, Nymphen, Stromschnellen und Prag. Im Österreichischen Kulturforum steht im ersten Stock ein prächtiger Bösendorferflügel, rot und schwarz glänzend, mit Blattgold belegt, aber der Klang ist ein sehr sanfter und fast zurückhaltender, darum auch so schmeichelnd, unschuldig schön, könnte man vielleicht sagen. Diese vielen Pianinos in der Öffentlichkeit – zum Beispiel beim Národní divadlo, im Hlavní nádraží oder am Karlovo náměstí, die jedem Vorbeigehenden ein bisschen Public Playing schmackhaft machen, tun mir ehrlichgesagt leid. Ungeachtet der Gefahr mich unbeliebt zu machen bleiben es für mich in Mitleidenschaft gezogene Klangkörper, verstimmt und ausgesetzt, von vielen unverstanden. Prag ist mir schnell vertraut geworden und trotzdem habe ich es während meiner Tage hier geschafft, zweimal im Kreis zu gehen, in den Gassen plötzlich das Gefühl dafür zu verlieren, wo die Moldau fließt, in welcher Richtung das Ufer liegt. Das passiert manchmal, wenn ich immer neue Wege gehen will, dass ich dann erst recht dort lande, wo ich herkomme. Aber zumindest metaphorisch haben damit wohl die meisten hin und wieder zu kämpfen.

Dieser Ausblick vom Schreibtisch wird mir fehlen, der kleine Eiffelturm, mit dessen Proportionen ich nicht ganz einverstanden bin, der wirklich eher den Anschein macht, als stehe er hinter und nicht auf dem Hügel; generell die Ferne, in die man schauen kann, die Freiheit, nicht sofort ins Haus der Nachbarn zu blicken, wenn man sich aus dem Fenster lehnt. Und ich lehne mich gerne weit aus dem Fenster. So bin ich lange lesend gelegen in diesem herrschaftlichen Bett, die tanzenden Spinnen vor den Fenstern im Dunkeln, die sich am nächsten Morgen hoffentlich wieder vor mir versteckten. Der Fernsehturm sieht für mich immer noch aus wie eine Raketenabschussvorrichtung und ich würde mich nicht wundern, wenn ich nachts aus dem Schlaf hochfahre wegen eines lauten Grollens, und dann am nächsten Tag vom Petřín, Hradčany oder von Letná aus keinen Turm mehr zu sehen bekäme, weggebrochen beim Raketenstart. In der Hauptkuppel des Štefánik-Observatoriums an der Hungermauer, das 1928 eröffnet wurde, befindet sich ein Zeiss-Doppelrefraktor des Wiener Selenographen Rudolf König. Eine Erinnerung an die Heimreise. Untertags Sonnenflecken und Protuberanzen, nachts ein Blick ins Meer der Ruhe oder besser gleich versuchen, das eigene Sonnensystem hinter sich zu lassen?

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