Ich möchte ein Gedicht schreiben über diese Stadt. Wie bei fast allen Gedichten habe ich zuerst nur Bruchstücke im Kopf. Ich kann mich nie daran erinnern, wie diese Texte dort überhaupt erst zu Bruch gegangen sind, bin doch sonst nicht so ungeschickt und lasse alles fallen. Jedenfalls scheint dieses Gedicht eine Rekonstruktionsarbeit.
Déšť Prahy, Regen von Prag, das sollte dabei sein. Und diese roten Regenschirme auf den schwarz-weißen Bildern der Karlsbrücke, die man in den Altstadtgassen überall kaufen könnte. Ich habe keinen einzigen echten roten Regenschirm hier gesehen, fällt mir gerade auf. Gestern machte es auch den Anschein, als würde schlechtes Wetter aufziehen, und ich hatte den Knirps nicht vergessen, weswegen letztlich natürlich kein Tropfen fiel. Lesend beim Wasser sitzend lud mich ein Spaziergänger – ich nenne ihn einfach so – auf einen Cidre ein und weil wir keine gemeinsame Sprache hatten (Englisch dürfte ihm nicht geheuer sein), verstand ich nur, dass er in Vyšehrad wohne – ich warf einen Blick gen Anhöhe – und dass er Musik mache. Aber wahrscheinlich war das das Wichtigste. Ich gehe wieder die Straßen entlang. Der Seitenblick auf die Männer, die schon tagelang die geschätzt acht mal acht mal acht Zentimeter großen Steine in die vorbereiteten Sandflächen auf der Národní klopfen und so das Pflaster neu und wieder ebenmäßig zusammensetzen, stimmt mich irgendwie ruhig. Auch so eine Rekonstruktionsarbeit. Letztlich dann mit Füßen be- oder getreten. Nachdem der Spaziergänger gestern von Vyšehrad gesprochen hat, war ich heute natürlich dort – nicht in seiner Begleitung allerdings. Und im Regen und freilich ohne Schirm. Bin die Zitadelle abgegangen, während die Weinreben im Wind schwankten und ich kaum ein scharfes Foto von ihnen machen konnte. Ich wurde vom Wind weiter über den Friedhof und in die St.-Peter-und-Paul-Kirche geblasen.
Jetzt zu später Stunde im Bett höre ich noch immer die Tropfen, die gegen die dünnen Fensterscheiben fallen. Wer liebt das Geräusch von nächtlichem Regen nicht? Dazwischen mischen sich die Sirenen von Polizei und Rettungswagen und ich frage mich, ob hier wirklich so viel öfter Unfälle und Verbrechen geschehen als in Wien Favoriten, halte es aber für unwahrscheinlich. Kafkas Strafkolonie lese ich jetzt zum zweiten Mal und versuche mir diese Maschine genau zu verbildlichen, schlafe jedoch irgendwann ein darüber. Als ich am nächsten Morgen die Tür zum französischen Balkon öffne, werfe ich einen routinemäßigen Blick auf die Taubennester. Eines davon befindet sich auf dem Balkonvorsprung der Wohnung ein Stockwerk unter mir. Ist das nicht die Wohnung, bei deren Eingang das rote Herz auf der Klingeltaste prangt? Ein anderes Nest – dort sind die Küken schon geschlüpft – auf einem verwahrlosten Balkon zu meiner rechten. Ich setze mich zum Küchentisch, wohin ich meinen Vormittags-Arbeitsplatz verlegt habe, und beginne eine Geschichte ausnahmsweise tatsächlich mit ihrem Titel. „Die Insel der Verlorenen“ tippe ich auf dieses Bild eines leeren Blattes.