Der Autor

Philipp Strobel, Jahrgang 1986, studiert derzeit mit dem Austauschprogamm Erasmus an der Prager Karls-Universität Kunst- und Kulturgeschichte, einer seiner Schwerpunkte ist die Europäische Ethnologie.

Seine Heimatuniversität ist Augsburg, dort engagiert er sich politisch und spielt in seiner Freizeit Blasmusik.

Für prag aktuell ist er seit Oktober 2014 als Redakteur tätig. Geschichte ist seine große Leidenschaft, ebenso alles was mit Kultur zu tun hat und das Reisen, davon möchte er in seinem Blog berichten.

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| Philipp Strobel | Rubrik: Kultur | 2.12.2014

Blasmusik einmal anders

Eine Reise durch die Geschichte

Die Aufführung des Dokumentartheaters "Dechovka - Blasmusik" von Vosto5 (im Rahmen des Theaterfestival deutscher Sprache am 25.11.2014), geriet zur Zeitreise in die Geschichte von Dobrodín, das in Wirklichkeit Dobronín heißt und nahe Jihlava liegt.

Schon beim Betreten des Saales der Kleinseitner Bierwirtschaft Baráčnická rychta kam eine Stimmung auf, die einen Prag vergessen ließ und in die Provinz beförderte. Man nahm zuerst an einer Gemeinderatssitzung teil, die über ein Grabmal abstimmen sollte, das an Sudetendeutsche erinnern soll, die im Jahr 1945 im Ort getötet worden waren.

Obwohl am vergangenen Mittwoch die deutsche Übertitelung aufgrund einer technischen Panne nur minimal zum Einsatz kam, konnte man die Intention der hitzigen Debatte durchaus deuten.

Aufgebrachte Bürger zweifelten die Notwendigkeit eines Grabmals an, da das "angebliche Massaker" von niemandem bewiesen werden könne. Ein anderer Bürger dagegen wollte seine Mitbürger anhand von Zitaten und Büchern davon überzeugen, endlich den Grabstein zu akzeptieren und damit die Schande von ihrem Wohnort abzuwenden.

Die Diskussion hatte immer wieder die Lacher des überwiegend tschechischen Publikums auf ihrer Seite, da die Argumentation wohl teilweise sehr abstrus war. Hierzu trug auch ein Vertreter der Landsmannschaft bei, ein gewisser Herr Hawelka, dem das Klischee eines überaus korrekten trockenen Deutschen angehaftet wurde.

Dann kamen Blasmusiker auf die Bühne und im Handumdrehen wurde der Saal in das Jahr 1923 befördert. Die Musik spielte schwungvoll auf, denn man feierte die Eröffnung des Kultursaals. Dem Publikum wurde Freibier gereicht. Eine Rede lobte die vielen Gönner und allgemein die Zusammenarbeit, die zur Realisierung der Halle beigetragen hatte.

Es wurden Gesangsstücke und Gedichte vorgetragen, vieles in deutscher Sprache, wenn manches auch sehr überspitzt und kitschig dargestellt wurde. Ebenso trat eine Turnergruppe des tschechischen Turnerbunds "Sokol" auf. Man bekam bei diesem fröhlichen Treiben den Eindruck, dass die Volksgruppen in Dobrodín noch recht gut miteinander lebten. Die Turner stellten pantomimisch Ereignisse aus der Chronik des Ortes dar.

Leider währte diese Ruhe nicht allzu lange, die dritte Zeitebene spielte im Jahre 1945 und begann zunächst sehr ausgelassen. Die Besucher des Tanzabends an jenem 19. Mai tanzten ausgelassen, symbolisch wurde eine Büste von Adolf Hitler zerschmettert. Im Bühnenhintergrund stand die Parole "Ein Volk, ein Reich, ein Führer", jemand versuchte diese zu übermalen.

Man merkte, dass die Bewohner Dobrodíns einfach über das Ende des Kriegs froh waren und feiern wollten. Zunehmend stieg der Alkoholpegel.

Dann kam ein zurückkehrender Soldat in den Saal und es wurde still.

Paare fanden wieder zueinander, die tschechische Hymne wurde gespielt ... dann begann einer, die anderen Männer aufzufordern zum Feuerwehrhaus zu gehen, dort wo die sudetendeutschen Mitbewohner eingesperrt waren. Ein Mann nach dem anderen verlässt den Saal ... als letzter ging der Klarinettist der Kapelle von der Bühne und es herrschte absolute Ruhe. Die Ruhe während des Verbrechens sozusagen ...

Das Publikum honorierte die gelungene Inszenierung mit lang anhaltendem Applaus. Auch ich muss sagen, dass mich das Stück angerührt hat. Auch wenn natürlich die Sprachbarriere da war, konnte ich gut mitfühlen wie der Ort sich gewandelt hatte, wie aus Freunden Gegner wurden. Das Zusammenleben mündete in Verbrechen auf beiden Seiten, in diesem Fall in einem konkreten Geschehen, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Wer sich für diese wechselseitige deutsch-tschechische Geschichte interessiert, für den ist die Aufführung von Vosto5 sehr interessant. Wer sich auch noch für Blasmusik begeistern kann, wird auch nicht von der ansprechend dargebotenen Musik enttäuscht werden.

Das Stück wird im Januar und Februar 2015 noch mehrmals aufgeführt, ebenfalls in den Räumlichkeiten der "Baráčnická rychta".

Bildnachweis:
P. Strobel

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