So, nun ist es also soweit. Ich habe mich lange vor diesem letzten Blogeintrag gedrückt. So wie vor allem, was mit meiner Abreise aus Prag zu tun hat. Um diesen Schritt ein wenig vor mich herschieben zu können, habe ich mir hier sogar Ende Mai einen Job gesucht, sodass ich bis Ende August in Prag bleiben konnte. Doch nun sind die Koffer gepackt (ja, es ist mehr Gepäck geworden als zunächst angenommen) und mein verlängertes Erasmus-Semester neigt sich dem Ende zu. Es ist also Zeit, die hier verbrachten Monate einmal Revue passieren zu lassen.
Ich habe mir oft vorgenommen, diesen Beitrag zu schreiben, wenn ich mal wieder am Abend nach Hause komme und auf dem Nachhauseweg all die schönen Bauten in das goldene Licht des Sonnenuntergangs getaucht sind, weil ich dann in der richtigen Stimmung für meine Schwärmereien wäre, aber das ist gar nicht nötig. Nun, wo ich hier bei Regen und Gewitter in meinem Zimmer sitze, bin ich froh und ein wenig wehmütig zugleich, wenn ich an meine Zeit hier zurückdenke. Ich habe mir aber vorgenommen, es mit meinem Erasmus-Abschied so wie die Maus Frederick aus einer Geschichte von Leo Lionni zu halten. Frederick sammelt im Sommer Farben, Sonnenstrahlen und Wörter für den Winter (nebenbei bemerkt: ein sehr gutes Kinderbuch). Im Winter erinnert er sich und seine Mitbewohner an all die schönen Erlebnisse, die ihnen im Sommer widerfahren sind und gestaltet ihnen so die etwas schwierige Zeit deutlich schöner. Auch ich werde noch lange von meiner wunderschönen Zeit in Prag zehren.
Ich erinnere mich noch genau, wie ich hier Anfang Februar das erste Mal ankam und an der Metrostation I.P. Pavlova in einer mir völlig fremden Stadt, abends um zehn die richtige Tram finden musste. Ich war schon ein wenig nervös, auch, weil das nicht mein erstes Erasmus-Semester war, und mein erster Aufenthalt in Griechenland vor drei Jahren nicht so reibungslos verlaufen ist. Und natürlich war auch in Prag nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen, wobei mein negatives Feedback sich eher nur auf Kleinigkeiten bezieht und ich meine größte Schwierigkeit eigentlich damit hatte, dass einige Tschechen eher ein wenig abweisend reagiert haben. Ich habe bei jeder Gelegenheit, die sich mir bot mit Tschechen sprechen zu können, versucht, mein, wenn auch gebrochenes Tschechisch herauszuholen. Dies wurde eigentlich nie gewürdigt und das hat es mir dann auch ein wenig vermiest, meine mühsam erlangten Sprachkenntnisse weiter zu verbessern. Ich kann diese ablehnende Haltung aber auch teilweise verstehen. Wahrscheinlich sind es einige Prager Leid, ihre schöne Stadt mit so vielen Touristen teilen zu müssen. Dies zumindest fällt auch mir immer wieder schwer, wenn ich beispielsweise mal in Ruhe einen Sonnenuntergang über der Moldau vom Vyšehrad aus genießen möchte… Auch in der Uni hatte ich kaum Kontakt zu Tschechen. Die Kurse waren eigentlich nur für Erasmusstudenten konzipiert, was ich schade finde, da es doch bei Erasmus gerade auch um den Austausch mit einer anderen Kultur geht.
Dennoch lernte ich schnell meinen neuen Freundeskreis in Prag kennen. Dies waren hauptsächlich andere Erasmusstudenten. Die Erasmus-Community in Prag ist ja recht groß und von der Karlsuniversität werden vielfältige Möglichkeiten für Erasmusstudenten angeboten, miteinander in Kontakt zu treten. Man kann gemeinsam „International-Dinners“ veranstalten, Filmabende mit tschechischen Klassikern besuchen, an Stadtführungen zu verschiedenen Themen teilnehmen, zusammen zum Friseur gehen oder gemeinsam Reisen in andere tschechische Städte und Regionen oder Orte im europäischen Ausland unternehmen. Die Betreuung vonseiten der Uni lässt also kaum zu wünschen übrig.
Auch über andere Wege (über Volleyball oder meine Arbeit ab Juni) freundete ich mich nach und nach auch mit anderen Expats an. Prag ist ja allgemein eine recht internationale Stadt, sodass man hier, wenn man ein wenig Eigeninitiative zeigt, eigentlich gut Anschluss finden kann. In meiner Zeit in Prag war ich auch immer sehr offen gegenüber neuen Leuten, sodass es nicht selten der Fall war, dass meine Freunde Ania, Jo und ich jemanden irgendwo kennen lernten. An einer Tramstation, in der Straßenbahn oder in Bars kamen wir oft mit wildfremden Leuten ins Gespräch und entschieden uns, den weiteren Abend bei ein paar Bieren in irgendeiner Bar miteinander zu verbringen. Hierbei kamen oft die wildesten Konstellationen, was die Nationalität betrifft zusammen. Eine Nacht endete beispielsweise bei Sonnenaufgang auf der Karlsbrücke mit einer Gruppe bestehend aus einem Franzosen, einer Holländerin, einem Kanadier, einem US Amerikaner, einem Schweden, einem Engländer, drei Syrern und einer Deutschen, nämlich mir. An solchen Abenden merkte ich immer, wie egal es doch letzten Endes ist, wo man her kommt. Man hat so vieles mit diesen fremden Leuten gemeinsam, man tauscht sich aus (auch über aktuelle politische Ereignisse und nicht nur so larifari) und hat einfach eine schöne Zeit zusammen. Auch wenn solche Begegnungen natürlich nicht auf eine längere Dauer ausgelegt sind, ganz anders als die Freundschaft, die ich mit Ania und Jo geknüpft habe, sind solche Begegnungen doch sehr wertvoll. Die Offenheit und Spontanität, die solche Abende ermöglichten, möchte ich mir für meine Zeit in Deutschland auf jeden Fall bewahren.
Das wird vielleicht nicht ganz so einfach sein, denn in Kiel wartet ja wieder der Ernst des Lebens auf mich, wobei ich mir vorgenommen habe, mich in Zukunft nicht wieder so von dem Leistungsdruck, der meiner Meinung nach in Deutschland doch recht hoch ist, beeindrucken zu lassen. Dennoch möchte ich natürlich weiterhin aktiv und bleiben und neue Dinge ausprobieren, so wie ich es hier in Prag gelernt habe. Und wenn alle Stricke reißen, oder vielleicht auch ohne dass nur ein einziger Strick reißt, denke ich, dass ich jederzeit nach Prag zurückkommen und hier glücklich sein kann.
In diesem Sinne nicht nur: "Prag, auf Wiedersehen", sondern ganz bestimmt: Prag, bis ganz, ganz bald!