Heute ist der 1. April. Ein Tag der Scherzbolde. Sie versuchen, ihre Mitbürger mit erfundenen Geschichten in die Irre zu führen. Nach gelungenem Streich klären sie die Genasführten voller Häme auf. In Deutschland machen auch die Medien bei diesem Verwirrspiel mit und freuen sich, wenn andere auf „getürkte“ Nachrichten hereingefallen sind. Der Brauch ist auch in Tschechien bekannt. Jemanden in den April schicken heisst es in der Landessprache.
Wie gut, dass das Navigationssystem in unserem Auto sich nicht daran beteiligt hat. Es hat meine Frau und mich von der Autobahn zielsicher durch den Großstadtverkehr zur Masarykovo nabrezi gelenkt, auf einer der schönsten Routen. Am Moldau-Ufer entlang. Vorbei an den Prachtbauten des Rudolfinums und des Nationaltheaters. Prag hat ein gut ausgebautes Netz öffentlicher Verkehrsmittel. Aber auf der Suche nach einem Parkplatz zum Entladen des Gepäcks kann man verzweifeln. Halteverbotsschilder wohin man blickt.
Heute ist der 1. April. Auftakt für einen vierwöchige Aufenthalt in Prag. Als Stipendiat und Gast des Prager Literaturhauses deutschsprachiger Autoren. Einen Monat lang darf ich die Stadt erforschen, auf den Spuren von Schriftstellern und Künstlern wandeln und das, was sie beobachtet, aufgeschrieben und gestaltet haben, mit der Gegenwart vergleichen. Eine Entdeckungstour, wie ich sie gewünscht habe. Nicht wie ein eiliger Tourist, sondern wie ein Zeitgenosse, der Unbekanntes entdecken will.
Wenn ich früher in Prag war - es waren selten mehr als zwei, drei Tage - habe ich stets im Hotel gewohnt. Jetzt wohne und arbeite ich in einer Drei-Zimmer-Wohnung eines Gründerzeithauses. Vierter Stock ohne Lift. Eine frühere Stipendiatin hat einmal die Stufen gezählt. Ich habe die Anzahl nicht mehr parat, aber ich weiss, die täglichen Gänge hinauf und hinter sind eine sportliche Herausforderung. Die Wohnung - hohe Türen und Decken, Parkettfussboden. An fast allen Fenstern und Türen sind noch die alten Beschläge aus der Zeit, als hier eine bürgerliche Familie eingezogen ist. Damals als es noch das Habsburger Reich gab und Prag keine Hauptstadt, sondern verglichen mit Wien eine Provinzstadt war. Mich erinnern die Zimmer an eine Altberliner Wohnung, in der wir einige Jahre lebten. Das hier ist mir alles vertraut.
Wenn ich aus dem Fenster schaue, blicke ich auf die Moldau. Ein starker böiger Wind hat auf dem Wasser Schaumkronen gezaubert. Auf der anderen Seite des Flusses erhebt sich die Burg und der St-Veits-Dom. Ein prachtvolles Panorama wie aus dem touristischen Bilderbuch. Auf der Slaweninsel, auf die mein Blick nach unten fällt, hat man einen Spielplatz angelegt. Zur Zeit ist er verwaist. Welches Kind will schon beim typischen April-Wetter mit kräftigen Wind sowie Schnee- und Regenschauern draußen herumtollen.
Geschrieben am 1. April 2015