Am Donnerstag, den 25.05.2023, hielt Prof. Dr. Renata Cornejo (Jan-Evangelista-Purkyně-Universität Ústí nad Labem) im Österreichischen Kulturforum Prag einen Vortrag unter dem Titel: „Michael Stavarič – ein begabter Autor und Sprachwandler“.
Die Eltern des 1972 in Brünn geborenen Schriftstellers entschieden sich 1979 die Tschechoslowakei zu verlassen und ließen sich zunächst im niederösterreichischen Laa an der Thaya nieder, wo der „Sprachwandler“, wie Prof. Cornejo den Literaten beschreibt, die Matura (Abitur) machte. Schon früh, war der Junge aus Mähren gezwungen sich eine fremde Sprache und Kultur anzueignen und Brücken zwischen dem bereits in der frühkindlichen Phase Erlerntem und der neuen Sprachsituation im Exil herzustellen. Was sich zunächst nach einem Unglück anhört, sollte für Stavarič die Basis seines literarischen Schaffens werden.
Stavarič, der heute als Übersetzer, Autor und Dozent in Wien lebt, schreibt auf Deutsch und veröffentlicht in österreichischen Verlagen. Nur wenige seiner Bücher liegen auf Tschechisch und auch nur als Übersetzung vor. Trotzdem aber hat der familiäre, bilinguale Hintergrund einen prägenden Einfluss auf Stavarič‘ Schaffen als Autor zahlreicher Kinderbuchwerke hinterlassen, wie Prof. Cornejo hervorhob, die sich als Literaturwissenschaftlerin mit dem Autor in mehreren Veröffentlichungen seit 2010 beschäftigt. Tierlaute nämlich, werden abhängig von der eigenen Spracherfahrung wahrgenommen. Während für Deutsche ein Hund „wau wau“ bellt, beschreiben Tschechen das Bellen als „haff haff“. Grund genug also für den Autor ein Kinderbuch zu schreiben, in dem er Tierlaute aus der Perspektive vieler Sprecher:innen und damit Kulturen beschreibt, wie das 2006 erschienene „Gaggalagu“. Was sich zunächst nach einem Zungenbrecher für Fortgeschrittene anhört, ist ein reich bebildertes Buch für Grundschulkinder, das auf einzelnen Seiten Personen und ihre Handlungen mit kurzen Texten in unterschiedlichen Schriftsätzen vorstellt. So heißt es bei „Gaggalagu“
„Letzten Sommer in Italien, wir kamen aus dem Staunen nicht mehr raus - bau bau bellen dort die Hunde, aber bauen tun die nichts. Im Baskenland, ließ ich mir sagen, bellen Hunde zaun zaun, da muss ich fragen, was meinen die? Zäune sah ich nie! In Rumänien kläffen die Hunde ham ham recht sonderbar.“
Der daneben gezeichnete Hund bellt in weiteren Sprachen, die in Sprechblasen Ländern zugeordnet werden, wie z. B. „oah – oah“ (Frankreich), „wang – wang“ (China) oder „bow – wow“ (England). Stavarič versucht also hier seine eigene Erfahrung an kommende Generationen weiterzugeben und ihre Perspekiven für bilinguales und multikulturelles Spracherleben zu öffnen. Dies sind alles andere als zum Amüsement gegebene Kuriositäten, eröffnen sie doch gerade jungen Sprecher:innen die Möglichkeit sich in das Gegenüber hineinzuversetzen und ihren Horizont frei nach Wittgensteins Ausspruch „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“ zu entgrenzen.
Wer bei Stavarič narrative Erzählhandlungen sucht, wird enttäuscht sein. Seine Geschichten beginnen nicht mit einem klischeehaften „Es war einmal…“, sondern sollen Leser:innen schon im Kleinkindalter zum Nachdenken anregen.
So unterstreicht Stavarič noch einmal deutlich diese Methodik des Schreibens in Zeiten national aufgeladener Spannungen wenn er schreibt:
„[Es] reizt mich jenes Crossover der Künste, Text trifft Bild, trifft Sound oder nennen wir es lieber Inszenierung; mal abgesehen davon, dass wir von Generationen reden, die es für die Literatur zu gewinnen gilt, denen eine Denk- und Leseart vermittelt werden soll, die sie zu selbst selbstreflektierten, kritischen, mündigen Menschen macht.“ („Der Autor als Sprachwanderer“ 2016)
Dass Stavarič es sich mit dieser Art des Erzählens nicht leicht macht, liegt auf der Hand und so antwortete Prof. Cornejo in der anschließenden Diskussion auch auf die Frage, warum so wenige Titel von Stavarič bislang ins Tschechische übersetzt wurden, dass tschechische Leser:innen ihren Kindern lieber Geschichten mit traditionellen narrativen Erzählmustern vermitteln wollen und vor dass dies vermutlich für die Zurückhaltung tschechischer Verlage sei. Stavarič selber jedenfalls sieht traditionelle Erzählmuster kritisch:
„Das WIE war für mich immer die wichtigere Frage als das WAS. Denn das Was ergibt sich mehr oder minder automatisch und literarisch gesehen ist das Was auch ganz klar: Mann, Frau, Krankheit, Tod, Krieg, Liebe, Hass. Jedes Buch lässt sich im Grunde genommen auf Ähnliches reduzieren.“ (Stavarič, 2009)
Prag, 26.05.2023
Konstantin Kountouroyanis
Literatur von Stavarič (Auswahl):
- Flügellos. Gedichte. Edition Va Bene, Klosterneuburg 2000, ISBN 3-85167-098-1.
- Tagwerk. Landnahme. Ungelenk. Kunstprojekt. Verlag Guilty & Red bei BoD, Wien/Norderstedt 2002
- Europa – eine Litanei. Kookbooks, Idstein 2005
- stillborn. Roman. Residenz Verlag, St. Pölten/Salzburg 2006
- mit Renate Habinger: Gaggalagu. Kinderbuch. Kookbooks, Idstein 2006
- Terminifera. Roman. Residenz Verlag, St. Pölten/Salzburg 2007
- mit Renate Habinger: BieBu. Kinderbuch. Residenz Verlag, St. Pölten/Salzburg 2008
- Nkaah – Experimente am lebenden Objekt. Prosaminiaturen. Kookbooks, Idstein 2008
- stillborn. Hörbuch gel. von Mona Moore. Residenz Verlag, St. Pölten/Salzburg 2008
- Magma. Roman. Residenz Verlag, St. Pölten/Salzburg 2008
- Böse Spiele. Roman. C.H.Beck, München 2009
- Terminifera. Roman. dtv-Taschenbücher, München 2009
- mit Renate Habinger: BieBu. Kinderbuch in koreanischer Fassung. Hanuri Open Education, Seoul 2009
- mit Renate Habinger: BieBu. Včelikář aneb mravenci nemají o opylování vskutku ani ponětí, Kinderbuch in tschechischer Fassung. Mladá fronta, Prag 2009
Renata Cornejo über Stavarič:
- Cornejo, R. (2021): Krankheitsbilder im Roman Schornstein von Jan Faktor und Terminifera von Michael Stavarič. In: Anafora Jg. 8, 2/2021, S. 425-437
- Cornejo, R. (2020): Mehrsprachigkeit und Sprachwanderung bei Michael Stavarič. In: Literarische (Mehr)Sprachreflexionen. Hrsg. v. Barbara Siller u. Sandra Vlasta. Wien: Praesens, S. 75-100
- Cornejo, R. (2017): Bastardfiguren als hybride Identitätsmodele im Werk von Michael Stavarič. In: Wolting, Monika (Hg.): Identitätskonstrukruktionen in der deutschen Gegenwartsliteratur. Göttingen: V& R Unipress, S. 2017-226
- Cornejo, R. (2010): Zum Sprachwechsel der deutsch schreibenden Autoren tschechischer Herkunft. Kommentierte Interviews von Ota Filip, Jan Faktor und Michael Stavarič. In: Bastard. Figurationen des Hybriden zwischen Ausgrenzung und Entgrenzung. Hg. v. Andrea Bartl und Stephanie Catani. Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 175-198
- Renata Cornejo: Heimat im Wort - Zum Sprachwechsel der deutsch schreibenden tschechischen Autorinnen und Autoren nach 1968 - Eine Bestandsaufnahme, Wien 2010 [Link zum Volltext]
- Cornejo, R. (2009): Lust am Spiel mit der (Fremd)Sprache. Ausgewählte Texte von Michael Stavarič, Pavel Kohout und Jan Faktor. In: Brünner Beiträge zur Germanistik und Nordistik, Jg. XXIII, 14/2009, S. 105-122
- Cornejo, R. (2009): Das Fremde und das Eigene. Entwürfe der kulturellen Identität in den Romanen von Michael Stavaric. In: Interkulturelles Lernen. Mit Beiträgen zum Deutsch- und DaF-Unterricht, zu ´Migranten´-Bildern in den Medien und zu Texten von Özdamar, Trojanow und Zaimoglu. Hg. v. Petra Maurer, Martina Ölke u. Sabine Wilmes. Bielefeld: Aisthesis, S. 49-59