Für die einen ist er als Journalist und Schriftsteller bekannt, für die anderen als der Autor der „Böhmischen Dörfer“. Nein, die Rede ist nicht vom Tschechien-Korrespondenten des gleichnamigen Video-Blogs der tagesschau, sondern vom ehemaligen Stern-Reporter Jürgen Serke. Mit seinen Büchern zur Exilliteratur erlangte der 1938 in Landsberg an der Warthe (heute in Polen) geborene Publizist sowohl in Fachkreisen als auch unter Literaturinteressierten Berühmtheit und schrieb ein Stück Fachliteraturgeschichte. 1977 erschien in Deutschland sein Debüt zur Exilliteratur „Die verbrannten Dichter“, das 1999 von Prof. Hiroshi Asano ins Japanische übersetzt wurde. Nun steht die Übersetzung des Nachfolgebandes „Böhmische Dörfer: Wanderungen durch eine verlassene literarische Landschaft“ (Wien/Hamburg 1987) an. Autor und Übersetzer waren in Prag und standen für ein kurzes Interview bereit.
Jürgen Serkes Band weckt Interesse bei einem japanischen Germanisten
Bereits Serkes erster Band: „Die verbrannten Dichter“, der 1985 und 1992 als erweiterte Neuausgabe mit dem Untertitel: „Lebensgeschichten und Dokumente“ erschien, weckte bei einem jungen Germanistikstudenten aus Tokio das Interesse an der deutschsprachigen Exilliteratur. Der heute am Saitama Woemens College und an der Keio-Universität in Tokio tätige Hochschuldozent und Geschäftsführer der Japan Society of Translators (JSP), Prof. Hiroshi Asano, merkte bei seinem Besuch in Prag im August 2017 an: „Schon während des Studiums interessierte ich mich für die Exilliteratur; besonders für Brecht, Thomas Mann, Robert Musil. Daneben aber hatte ich Gelegenheit die Bücher von Jürgen Serke zu lesen, die mich dann in meiner weiteren Forschung stark beeinflussten. Als ich dann ‚Die verbrannten Dichter‘ las, musste ich meine bisherigen Erkenntnisse sowohl zur deutschen Exilliteratur, als auch zu den aus Prag, Böhmen und Mähren stammenden deutschsprachigen Autoren sofort revidieren. Dies traf insbesondere auf die Wiederentdeckung der vergessenen Prager deutschen und deutsch-böhmischen Autoren zu.“ Für Prof. Asano war dies der Beginn einer jahrelangen und intensiven Auseinandersetzung mit den Texten Jürgen Serkes. Er beschloss mit dem Autor Kontakt aufzunehmen und das Buch ins Japanische zu übersetzen.
„Die verbrannten Dichter“ erscheint in Tokio
1999 war es dann soweit. „Die verbrannten Dichter – Lebensgeschichte und Dokumente“ erschien bei Alpha-beta Publishing in Tokio. Darin werden die Lebenswege von Autoren beschrieben wie u. a. von Ernst Toller (geb. 1893 in Posten - gest. 1939 in New York, N.Y.), Else Lasker-Schüler (geb. 1869 in Elberfeld - gest. 1945 in Jerusalem), Erich Mühsam (geb. 1878 in Berlin – gest. 1934 im KZ Oranienburg) sowie (geb. 1886 in Ottakring; gest. 1950 in New York), Autoren also, die entweder während der NS-Zeit emigrieren mussten und im Exil verstarben oder die nach 1945 wieder nach Deutschland zurückkehrten wie der mittlerweile bekannt gewordene Schriftsteller Alfred Döblin („Berlin Alexanderplatz“ 1929 und „Wallenstein“ 1920), der einen Tag nach dem Reichstagsbrand auf Drängen und Bitten seiner Freunde Deutschland verließ.
2017: Preisverleihung „Gratias agit“
Zwei Monate vor Prof. Asanos Besuch erschien auch Jürgen Serke in Prag und nahm den Preis „Gratias agit“ entgegen, der sein Wirken als Autor der „Böhmischen Dörfer“ ehrt. Der Preis wird seit 1997 vom tschechischen Außenminister für die Verbreitung des Ansehens der Tschechischen Republik im Ausland verliehen. Dabei hat Serkes Veröffentlichung 1987 in der damaligen ČSSR unsägliche Reaktionen hervorgerufen. In einem Interview mit Radio Praha, dass der Autor anlässlich der Preisverleihung im Juni 2017 gab, erinnert sich Serke an einen Telefonanruf des tschechischen Dissidentenschriftstellers Ludvík Vaculík (1926 – 2015), der ihm mitteilte, dass die „Böhmischen Dörfer“ in den tschechischen Medien (und auch von einigen regimetreuen tschechischen Akademikern) übelst demontiert wurden. Bei einem gemeinsamen Kaffee mit dem Autor dieses Artikels im legendären Prager Café Slavia erklärte Jürgen Serke, dass der Band 2001 dann auch in tschechischer Übersetzung unter dem Titel ‚Böhmische Dörfer - Putování opuštěnou literární krajinou‘ im Verlag Triáda Prag erschien. „Es war damals ein sehr kleines Verlagsbüro im Prager Zentrum, unweit der Národní třída,“ erinnert sich der Autor „und die Übersetzer hatten in kurzer Zeit und mit einem enormen Arbeitseifer den kompletten Band übersetzt.“
Reise nach Prag und Mitteleuropa
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Jürgen Serke: "Die böhmischen Dörfer" auf Japanisch. 2018 mit 558 Seiten in Tokio erschienen. ISBN: 9784883851966 |
Prof. Hiroshi Asano stand im August letzten Jahres kurz vor der Fertigstellung der Übersetzung der „Böhmischen Dörfer“ die Ende 2017, Anfang 2018 in Tokio erscheinen wird. Mit seinem Besuch in Prag (und Mitteleuropa) wollte er noch eine letzte Recherche abschließen, um fragliche Punkte zu ergänzen. Sein Interesse galt dabei der jüngst gegründeten Kurt Krolop-Forschungsstelle an der Karls-Universität Prag sowie dem Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren. Beides interessante Anlaufstellen für Literaturwissenschaftler sowie Interessierte.
Wer liest in Japan deutschsprachige Literaturgeschichte?
Es bleibt die durchaus berechtigte Frage, wer die Leserzielgruppe dieser beiden Bücher in Japan ist. Auf diese Frage hat Prof. Asanos ehemaliger Mentor, Prof. Yorio Nobuoka, bereits 1987 in seinem Vortrag an der Universität Freiburg im Breisgau eine interessante Antwort gegeben. Dazu, aber auch zu vielen weiteren Punkten des deutsch-japanischen Kulturaustauschs gibt der Artikel: „Die Geschichte der vergessenen Prager deutschen Schriftsteller in japanischer Übersetzung – In Japan wächst das Interesse an der deutschsprachigen Exilliteratur“ auf Seite 85 ff. in der aktuellen Ausgabe Nr. 45 der „DaF-Szene Korea“ Auskunft.
Prag, 15.01.2018
Konstantin Kountouroyanis
(Alle Fotos zu diesem Artikel: Konstantin Kountouroyanis)
Artikellink: https://www.prag-aktuell.cz/blog/juergen-serkes-literaturhistorische-arb...