Ein Vorteil des Expatlebens im Ausland ist, dass man Kinofilme im Originalton sehen kann, ohne Lichtspielhäuser in versteckten Insidervierteln lange suchen zu müssen. Die Kinos an der Umsteigestation Anděl in Prag liegen in einer solch perfekten Lage, sodass man vor dem Film noch eine Kleinigkeit essen gehen und nach dem Film, um kurz nach 1 Uhr, auch zahlreiche Nacht-Trams und Busse problemlos erreichen kann. Für 179 Kronen (ca. 6,63 Euro) unterscheidet sich der Eintrittspreis von Hannoveraner Kinos kaum noch.
Ein lächelnder Bond mit Herz
Der gebürtige Engländer Daniel Craig ist auch im neuen Bond-Film "Spectre" wieder 007. Nichts anderes wäre zu erwarten gewesen. Doch einige Dinge haben sich verändert. Der Agent im Auftrag seiner Majestät hat das Lächeln gelernt. Nicht nur gegenüber Frauen, sondern auch gegenüber seinen Gegnern kann er manchmal komisch rüberkommen, bevor er ihnen anschließend kräftig die Visage poliert. Das macht die Figur Bond menschlicher, nahbarer, ja sogar symphatischer, als in den früheren Bond-Filmen "Skyfall" und "Ein Quantum Trost". Das, was im vorherrschenden Männlichkeitsdenken leicht als Schwäche oder Fehler ausgelegt werden kann, macht den Doppelnull-Agenten realistischer. Er kämpft offensichtlich mit den gleichen Alltagsproblemen wie wir Otto-Normalmänner, wenn ihn manche Barkeeper, wie jener in der Privatklinik in den österreichischen Hochalpen, mit einem lockeren Spruch: "Wir schenken hier keinen Alkohol aus." abblitzen lassen. Ein Bond ohne Martini (weder geschüttelt noch gerührt!).
Das Krankenschwestersyndrom
Das lässt Bond nicht davon abhalten, wieder einmal massenweise Autos, Flugzeuge und ganze Häuserzeilen zu ruinieren. Aber Bond tut es nicht mehr ausschließlich, um die britische Krone vor dem Weltbösewicht - natürlich wieder einmal von einem deutschsprachigen Darsteller gespielt (Das Klischee lässt grüßen.) - zu schützen, sondern er kämpft um eine Frau, die - Überraschung! - das Filmende sogar überleben darf. Es wirkt fast schon komisch, dass sich der Mann, mit den stahlharten Gesichtszügen eines Terminators und dem psychopatischen Blick eines Hannibals aus "Schweigen der Lämmer" in die Psychologin Madeleine Swann, gespielt von Léa Seydoux, verliebt, die ihn zu aller Komik auch noch über seine Kindheit und Eltern ausfragt. (An dieser Stelle sei den LeserInnen zugerufen. Frauen brauchen keine 007-Typen und Männer keine Krankenschwestern! Hört bitte mit diesem Klischeedenken auf!)
Wenn die Realität die Fiktion überbietet
Über allen Beziehungskisten und - wenn auch leicht korrigierten - Klischeebildern hinweg, steht jedoch noch eine Gesamtaussage, die in der Tat jeden Zuschauer nachdenklich stimmen sollte. In einer der Anfangsszenen heißt es bezüglich der weltweiten Überwachungstechniken eines Franz Oberhauser, natürlich gespielt von dem Österreicher Christoph Waltz, dass er Orwells größten Albtraum Wirklichkeit werden lassen könne. Doch es verhält sich anders. George Orwell war - meiner bescheidenen Ansicht nach - ein Optimist! Die allumfassende Überwachung hat bereits eingesetzt und Orwells Schreckensszenario hundertfach überboten und (in der Tat!) werden u. a. deutsche Politiker wie ein Wolfgang Schäuble (Wieso werde ich das Gefühl nicht los, dass er in den nächsten Bond-Film gut passen würde?) nicht müde, mehr Überwachung (Stichwort: Vorratsdatenspeicherung!) für den angeblichen Schutz der Bevölkerung zu fordern.
Die zu Beginn des Films James Bond eingespritzten Nanopartikel, die es erlauben, ihn jederzeit und überall per Satellit weltweit zu orten, sind keine pure Science Fiction mehr. Bereits vor wenigen Jahren forderten "Elternvertreter" die Implantation von RFID-Chips unter die Haut von Neugeborenen, weil angeblich so viele Babys aus Krankenhäusern verschwänden. Von hier aus ist es nur noch eine Sprungmarke zum Missbrauch der Überwachungstechniken durch einen "Franz Oberhauser" entfernt. "Der 60er Jahre Bösewicht Mr. Goldfinger" - gespielt vom deutschen (!) Schauspieler Gert Fröbe - war pure Science Fiction. Die Figur des "Franz Oberhausers" ist bereits bittere Realität.
Bond geht in Rente und gründet mit 47 eine Familie?
Da erscheint es fast schon wie eine politische Forderung, wenn am Ende James Bond auf den finalen Todesschuss zugunsten der Menschlichkeit verzichtet und Oberhauser auf der Themse-Brücke schwer verletzt, aber lebend zurücklässt, anschließend seinen Dienst beim MI6 quittiert und mit einem sportlichen "Aston Martin DB5" aus dem Jahr 1965 und seiner Madeleine auf dem Beifahrersitz in die... Flitterwochen (?) fährt.
Eine Überraschung: Ralph Fiennes als "M"
Filmerisch hat der Regisseur Sam Mendes auf jeden Fall mit der Neubesetzung des Charakters "M" durch Ralph Fiennes einen Clou gelandet. Der aus dem englischen Ipswich stammende Schauspieler ist ein alter Bekannter, der es bereits in dem Film "Brügge sehen und sterben" (engl. Original: "Bruges") schaffte, mit seiner perfekt inszenierten Mimik und dem gepflegten Akzent der englischen Ostküste den Charakter eines skrupellosen Gangsterboss zu spielen. Im Gegensatz zu "Bruges" steht aber Fiennes im neuen Bond-Film auf der Seite des Guten und repräsentiert den Leiter des MI6, was ihn damit zum Vorgesetzten von James Bond macht.
Was bleibt, sind nach wie vor atemberaubend schöne Landschaften und Drehorte wie das marrokanische Tanger, Oujda und Erfoud, durch die Bond und Madeleine in einem orientexpressartigen Zug fahren und sich in einer verlassenen Wüstenlandschaft von einem Chauffeur im Rolls-Royce Phantom III (Baujahr: 1936) abholen lassen. Das wirkt beinahe wie eine Art Anti-Utopie bei all der High-Tech-Satellitenüberwachung.
Fazit: Bestes Popcorn-Kino mit einer Prise Realitätskritik und einem Hauch von Exotik, Abenteuer, Erotik und am Ende einem familiengerechten Bond, James Bond!
Konstantin John Kowalewski, 07.11.2015
Artikellink: http://prag-aktuell.cz/blog/bond-girl-hat-ueberlebt-07112015-13621