Es war einmal vor langer, langer Zeit in einer weit entfernten Galaxies..."
So könnte auch ein "kosmisches Märchen" (George Lukas, 1978) beginnen, in dem zwei wagemutige Männer eine Prinzessin aus den Klauen des Bösen befreien und so das Königreich retten. In der Tat hat der Regisseur George Lucas mit dem ersten Teil seiner Star Wars-Saga 1978 (1976 gedreht, 25.05. 1977 Premiere in den USA und 10. Februar 1978 in den deutschen Kinos) den Grundstein für einen mehrteiligen Film gelegt, in dem die Handlung genau auf diesen einen Satz reduziert werden kann. Nichtsdestotrotz hat sich in den Jahren seit dem Erscheinen der ersten beiden Slapstick-Droiden R2-D2 und C-3PO, einer elektronischen Mischung aus "Pat und Patachon" und "Dick und Doof", auf den Leinwänden dieser Welt eine generationsübergreifende Fan-Gemeinde gebildet.
Als Expat genieße ich den Vorzug, dass ich heute noch in Deutschland und morgen in Prag sein kann. So habe ich mir also am letzten Wochenende den Film "Star Wars - Das Erwachen der Macht" im Cinedom Köln (nahe Hansaring) auf Deutsch und am 05. Januar den Film "Star Wars - The Force Awakens" im Cinema-City im Slovanský dům in Prag auf Englisch angesehen. In beiden Fällen habe ich die Spätvorstellung (Köln, 10:15 Uhr, Prag, 10:40 Uhr) besucht. Gute Voraussetzungen also, beide Vorstellungen unter ähnlichen Bedingungen zu vergleichen. Doch es gab große Unterschiede.
Köln voller Kinosaal - Prag gähnende Leere
Während ich in Köln nur noch einen Platz in den teureren Rängen für 10,90 Euro erhalten habe - der Saal war zum bersten voll - konnte ich mir in Prag vom ersten bis zum letzten Rang jeden Platz aussuchen, den ich wollte; denn ich war komplett alleine im Kinosaal! Lediglich 10 Minuten nach Vorstellungsbeginn kam eine 4er Gruppe US amerikanischer junger männlicher Besucher in den Kinosaal. Für meinen Platz bezahlte ich 179 Kronen (ca. 6,63 Euro). In Köln setzte sich das Publikum aus älteren Besuchern der Generation zusammen, die bereits 1978 den ersten Teil in den deutschen Kinos gesehen haben und nun auf das zwischenzeitlich gealterte Dreigestirn Han Solo (Harrison Ford), Luke Skywalker (Mark Hamill) und Prinzession Leia (Carrie Fisher) sehnlichst warteten.
1978 - 2015: Kinder wie die Zeit vergeht und die Welt sich ändert - Frauen tragen Hosen und Männer...?
Oberflächlich gesehen scheint die Handlung des Films flach zu sein. Das Gute kämpft gegen das Böse und das Gute gewinnt. Doch wer zwischen den Zeilen liest, findet viel mehr. Zwischen 1978 und 2015 hat sich in den USA bzw. der westlichen Welt gesellschaftlich viel verändert. Obama ist als erster Farbiger Präsident der Vereinigten Staaten geworden. Hillary Clinton wurde und wird als erste Frau für das Präsentialamt gehandelt, Frauen wie Sinéad O'Connor ließen sich den Schädel kahl scheren und tragen selbstbewusst einen "Igel", Angela Merkel wurde zur Bundeskanzlerin gewählt und Frauen wie Lenelotte von Bothmer, die noch am 14. Oktober 1970 einen Skandal in Deutschland auslöste, weil sie als erste Frau in einem Hosenanzug im Bundestag erschien (Bothmer wurde anschließend im Bundestag und auch per Briefpost übelst beschimpft! - Der damalige Vizepräsident des Bundestages Richard Jaeger von der CSU erklärte, dass er es keiner Frau erlauben würde, das Plenum in Hosen zu betreten bzw. an das Rednerpult zu treten.), haben sich zwischenzeitlich ganz selbstverständlich das Recht auf Hosen erkämpft, ohne als "abnormal" zu gelten. Die Männer hinken da noch in vielen Ländern mit ihrer Emanzipation hinterher. Das kommt auch im Film zu Geltung.
Eine Frau rettet sich selbst - ganz ohne männlichen Beschützer
Während zu Beginn des Filmes die Schrottsammlerin Rey, gespielt von der Engländerin Daisy Ridley (geb. 1992 in Westminster, London) auf den desertierten Stormtrooper mit der borgähnlichen Bezeichnung "FN-2187", später Finn genannt, gespielt von dem Engländer John Boyega (der als Sohn nigerianischer Eltern ebenfalls 1992 in London geboren wurde) auf dem Wüstenplaneten Jakku trifft, wird erst einmal mit alten Klischees kräftig aufgeräumt. Der Held ist nicht mehr männlich und weiß, wie es oft in den Filmen des 20. Jahrhunderts dargestellt wurde. Rey schlägt sich schon seit ihrer Kindheit auf dem Wüstenplaneten recht wacker durchs Leben, bestreitet ihren Lebensunterhalt mit dem Ausschlachten alter zerstörter Imperalschlachtschiffe und hat dadurch technische Kenntnisse über die Antriebssysteme zahlreicher Raumfahrtzeuge erworben, während Finn bei den Reparaturen oft nur ahnungslos danebensteht und offensichtlich einen Maulschlüssel nicht von einem Schraubendreher unterscheiden kann. Klar wird hier also: Männer sind nicht mehr die alleinigen Hüter technischer Kenntnisse und Frauen können ganz gut ohne einen Beschützer auf einem Wüstenplaneten durchkommen und Finn, der sich schnell in Rey verliebt, ist farbig. Was also noch 1968 im mittlerweile zum Klassiker avancierten Film "Enterprise" (Episode: "Plato's Stepchildren") zu einem Skandal führte und für Empörung in den USA sorgte, nämlich der erste Film-Kuss zwischen der farbigen Darstellerin Nyota Uhura (Nichelle Nichols) und dem weißen Captain James T. Kirk (William Shatner), ist heute (zumindest im Film) kein Problem mehr. Auch in diesem Punkt unterscheidet sich der neue Star Wars-Film von den gesellschaftlichen Prämissen des Erstlingswerks aus dem Jahr 1978. Doch Finn ist noch in seiner männlichen Rolle der 70er Jahre gefangen. Er ergreift ständig Reys Hand, um sie vor den herannahenden Raumjägern der Ersten Ordnung (schon bekannt aus dem ersten Teil als imperiale Raumjäger) zu retten, während sie sich offensichtlich fragt, "wieso dieser Typ mich ständig wie ein kleines Mädchen an die Hand nimmt" und es ihm auch mehrfach klar sagt: "Ich weiß wie man läuft". Offensichtlich erlaubt sich der Regisseur J. J. Abrams, der mit seinem neuesten Film das Erbe George Lucas weiterführt, den jungen Männern des 21. Jahrhundert noch etwas Nachhilfeunterricht ins Sachen Emanzipation zu geben. Frauen brauchen keinen Mann mehr, der sie ständig an die Hand nimmt oder versucht, sie vor dem Bösen zu retten, was nach Bevormundung aussieht. Prinzessin Leia und Han Solo waren da 1978 noch ganz anders. So ist es auch Rey, die am Ende den finalen Kampf mit dem Bösen ausfechtet und das Lichtschwert (im englischen Original Lightsaber, nicht laser sword) des mittlerweile gealterten Jedis Luke Skywalker in ihre Hände nimmt, während Finn übrigens bewusstlos am Boden liegend den großen "final battle" verschläft.
Das englische Original verrät mehr: General Hux als Hitler-Replik
Damit wären wir auch schon beim zweiten interessanten Aspekt im Film. Ich habe es mir gerade verkniffen, den Begriff "final battle" in der deutschen Übersetzung zu erwähnen, denn der deutsche Begriff "Endkampf" ist heute mit dem Dritten Reich konnotiert. Doch mein Zaudern mit dem Begriff ist insofern unbegründet, da Star Wars in der Tat mit einer ganzen Reihe von Anspielungen auf das Dritte Reich aufwartet. Dies tritt zutage bei bestimmten Uniformteilen, der Struktur der Ersten Ordnung und natürlich dem Begriff aus den älteren Filmen "Das Imperium". Am deutlichsten aber wird dies in der Rede von General Hux, gespielt von dem Dubliner Domhnall Gleeson (der übrigens ohne Dubliner Akzent die Rolle spielt), deutlich, der in einer flammenden Rede die Sturmtruppen (ebenfalls ein Begriff, der an das Dritte Reich erinnert), auf den "Endkampf" und die "Vernichtung" der "Republik" einschwört. Diese Rede hat in der deutschen Übersetzung, die im besten Hochdeutsch daherkommt, sämtliche rhetorische Bezugspunkte zu Adolf Hitler verloren. Im englischen Original jedoch wird dem Zuschauer sofort klar, wer hier gemeint ist. Gleeson spielt die Rede des faschistischen General Hux so überzeugend, dass im englischsprachigen Web (www.Youtube.com) sofort Hux als Hitler entlarvt wird. Die Szene erinnert sogar an Einstellungen aus dem George Orwell Klassiker "1984" (Regie und Drehbuch: Michael Radford). J. J. Abrams hat es damit tatsächlich geschafft, George Lukas kosmisches Märchen von 1978 nicht nur eine gesellschaftliche Komponente zu entlocken (Geschlechter und unterschiedliche Hautfarbe), sondern auch die Warnung vor einem "Wiedererstarken" alter Mächte, die bereits einmal die Galaxie, also die bekannte "Welt" in einen imperialen Krieg gestürzt hat.
Deutsche Übersetzung: Sprachlich so fade wie abgestandenes Wasser
Die englische Originalversion ist nicht nur deswegen sehenswerter, weil tiefdeutiger. In der deutschen Übersetzung gehen auch sämtliche Akzente und Dialekte verloren, die dem englischen Original erst die Würze verleihen. So entpuppt sich der Anführer der einen Schmugglerbande als ein irischer Muttersprachler, während Rey im gepflegten Londoner Akzent der Oberschicht spricht, was sie gleich in die Nähe einer verloren gegangenen Prinzessin rückt, während Han Solo im cowboyartigen amerikanischen Slang (Harrison Ford wurde allerdings in Chicago geboren) lockere Sprüche vom Zaun reißt. Er stirbt durch das Lichtschwert seines Sohnes, der sich der dunklen Seite der Macht verschrieben hat.
Was bleibt, sind am Ende kühne Flüge mit dem Millenium Falken und actiongeladene Luft- und Raumschlachten, die sämtliche Gesetze der Physik brechen. Aber im Gegensatz zu anderen Science Fiction Filmen kann man an dieser Stelle darüber hinwegsehen. Denn schließlich geht es hier um ein kosmisches Märchen und wer will, der findet mehr darin. "Möge die Macht mit dir sein!"
Fazit: Gut umgesetzter Ausgangsstoff, guter Regisseur, gute Schauspieler.
Bewertung: Guter Unterhaltungswert
Eintritt: 179 Kronen Prag, 10,90 Euro Köln
Sprache: Englisch mit tschechischem Untertitel bzw. deutsche Synchronfassung.
Getestete Kinos: Cinema City im Slovanský dům am Na příkopě bzw. Cinedom Köln nahe Hansaring
Konstantin John Kowalewski, 07.01.2016
Artikellink: http://prag-aktuell.cz/blog/kosmisches-maerchen-im-gesellschaftlichen-wa...