Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind Klischees und Vorurteile nicht verflogen. Im Gegenteil! Momentan sieht die Lage eher so aus, als wenn die europäischen Gesellschaften geradezu einen Rückfall in reaktionäre Denkmuster der 20er Jahre erleben würden. Denn alles, was im 20. Jahrhundert die sog. "Goldenen 20er" für viele Menschen erst möglich gemacht hatten, wie u. a. die Befreiung von biederen Rocklängen aus dem Preußentum, der Zugewinn einer lebhaften Literatur-, Presse- und Musikszene sowie das Aufbrechen gesellschaftlich festgefahrener Strukturen in den Großstädten wie Berlin oder Paris, wurde mit Hindenburgs Machtübergabe an Hitler jäh beendet. Frauen bekamen wieder (einmal) einen Platz in der Gesellschaft zugewiesen, aus dem sie sich erst mit der 68er Revolution und der Emanzipationsbewegung befreien konnten. Vieles, was die 20er Jahre hervorgebracht haben, ging nach 1933, wie u. a. eine reichhaltige Kunstszene und das Recht auf individuelle Selbstbestimmung, verloren
Lili Elbe (1882 - 1931) verkörperte beide Elemente. Sie war nicht nur Malerin, sondern auch (wahrscheinlich) der erste intersexuelle Mensch, der sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzog. Am 28. Dezember 1882 im dänischen Vejle als Einar Mogens Wegener geboren, heiratete er 1904 Gerda Gottlieb. Beide hatten sich zuvor während ihrer Studienzeit an der Königlich Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen kennengelernt. Einar spezialisierte sich auf Landschafts- und Architekturmalerei, während seine Frau Gerda Ihren Fokus auf Illustrationen und Modegrafiken legte. Nach einer langen Ärzte-Odyssee entschied sich Einar zu einer geschlechtsangleichenden Operation unter der Leitung Dr. Kurt Warnekros´, um fortan im weiblichen Geschlecht als "Lili" zu leben. Nach der ersten geschlechtsangleichenden Operation von Mann zu Frau in Berlin annullierte der dänische König die Ehe zwischen Einar und Gerda Wegener. Nach der zweiten Operation in Dresden verstarb Lili, mittlerweile in Lili Elbe umbenannt, am 12. September 1931. Die genaue Todesursache sowie eine mutmaßliche Uterustransplantation sind nach Informationen der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld nicht zweifelsfrei belegt. Lili Elbe wurde auf dem Dresdner Trinitatisfriedhof beerdigt. Ihr Grab wurde in den 60er Jahren eingeebnet.
Buchtipp zum Thema:
Lehnert, Gertrud: Wenn Frauen Männerkleider tragen - Geschlecht und Maskerade in Literatur und Geschichte, 1987
Ebershoff, David: Das dänische Mädchen, 2000
Filmkritik bei prag aktuell: Dánská dívka – The Danish Girl
Biografien:
Linktipp: Lilli Elbe bei Wikipedia (1882 - 1931)
Linktipp: Gerda Wegener bei Wikipedia (1886 - 1940)
Linktipp: Dr. Kurt Warnekors bei Wikipedia (1882 - 1949)
Zu Lili Elbe
Linktipp: Lili Elbe Archiv – Forschungsstätte zur Inter, Trans und Queer Geschichte e.V
Linktipp: Aphorismen von Lili Elbe (Bundesstiftung Magnus Hirschfeld)
Linktipp zu Hilfsangeboten:
Link: Beratungsstelle: Dresden Gerede e.V.
Link: Transgender Workshop: Ident Events (Köln)
85 Jahre nach ihrem Tod gewinnt die Person Lili Elbe das Interesse der breiten Öffentlichkeit. Während zur Zeit noch der Film: Dánská dívka – The Danish Girl (prag aktuell berichtete) in den Prager Kinos läuft, wird das Grab der historischen Protagonistin Lili Elbe auf dem Dresdner Friedhof wieder errichtet und soll am 22. April 2016 im Rahmen einer offiziellen Gedenkveranstaltung neu eingeweiht werden. Als Gäste werden u. a. erwartet: Beatrice Teichmann (Verwaltungsleiterin des Elias-, Trinitatis- und Johannisfriedhof Dresden), Christian Behr (Superintendent im Kirchenbezirk Dresden Mitte) sowie Petra Köpping (Sächsische Staatsministerin für Gleichstellung und Integration), S.E. Friis Arne Petersen (Botschafter Dänemarks), David Ebershoff (Autor von „The Danish Girl“) und Lucinda Coxon (Drehbuchautorin von „The Danish Girl“).
Weiterhin werden Beiträge von Niki Trauthwein (Lili Elbe Archiv) und Beate Bölter (Dolmetscherin, Paris) sowie Dr. Marina Lienert (Institut für Geschichte der Medizin an der TU Dresden) vorgetragen.
Möglich gemacht wurde die Wiedererrichtung der Grabstelle von Lili Elbe durch die amerikanisch-britisch-deutsche Filmproduktionsfirma von „The Danish Girl“.
Die weitere Pflege des Grabs soll durch Spenden auf das Konto der Friedhofsverwaltung (Verwendungszweck: Lili Elbe) möglich gemacht werden.
Dass auch heute noch Transsexuelle mit Vorurteilen, blinder Wut und Gewalt zu kämpfen haben, zeigten unsere Recherchen zur Lage der Inter- und Transsexuellen in Tschechien, der Slowakei, Deutschland, der Türkei und Griechenland. In Deutschland erregte erst kürzlich ein Fall von öffentlicher Steinigung im Februar 2016 Aufsehen.
Konstantin John Kowalewski, 09.04.2016
Artikellink: http://prag-aktuell.cz/blog/ich-kaempfe-gegen-die-voreingenommenheit-des...