Dienstag, weiter geht es mit den Gruppenendspielen, diesmal mit zwei Terminen und Gruppen. Ich sehe ein Problem auf mich zukommen: Kann ich wirklich auswählen, welches Spiel ich anschauen kann? Oder bin ich gezwungen das zu sehen, was der Fernsehrat zusammen mit der Fernsehrechteabteilung des Europäischen Fußballverbandes (kurz: Uëhfah; ja, sie lesen richtig: uh-eh-fah soll man es aussprechen; auch wenn Sie es nicht mögen: die deutsche Sprache ist im Fluss (englisch: flow), so wie manchmal die deutsche Mannschaft; warum also nicht dieses neue Zeichen übernehmen um anzuzeigen, dass „ue“ in diesem Fall nicht die Umschreibung des Umlauts „ü“ darstellt; vgl. „gendern“ und die Einführung des Glottisschlags (engl. glottal stop) als neuen unterscheidungstragenden Laut (fachsprachlich: Phonem) für oder gegen gendergerechtes Sprechen; das Deutsche hat dadurch einen neuen Buchstaben gewonnen, das (den?) Asterisk (nicht: Asterix) „*“; wobei man über die Repräsentation dieses Buchstabens noch diskutieren müsste, tritt er nur in einer bestimmten morphologischen Umgebung auf oder sollte seine *Anwendung generell notiert werden, wie *ich *es gerade tue? Daraus ergeben sich *allerdings neue Probleme der Groß- und Kleinschreibung, zu denen *ein Fachreferat Vorschläge machen müsste)
Österreich hat sich was vorgenommen
Zurück zum Thema, das tschechische Fernsehen macht sich da nicht so viele Gedanken und setzt auf Pluralität. Im Sportkanal läuft das Spiel der Auswahl der Fußballferwaltungsfachabteilung (auch bekannt als: FFF), einer Ausgliederung der berühmten ENA, ehedem Paris, jetzt Straßburg, gegen Polen. Im Kanal für anspruchsvollere und ausländische Filme zeigen die Tschechen Österreich gegen die Niederlande, sozusagen die Revanche für den 80jährigen Krieg gegen die Habsburger (wenn auch die spanischen), der die Niederlande unabhängig und Belgien katholisch gemacht hat. Knapp verpasse ich die österreichische Nationalhymne, ich wüsste zu gerne, was die singen und zu welcher Melodie, hat doch Deutschland dem südlich Nachbarn das „Gott schütze unseren Kaiser“ gestohlen und mit einem anderen Text unterlegt.
ben ik, van Duitsen bloed
Doch da schmettern die Niederländer bereits ihr „Wilhelmus von Nassouwe / ben ik, van Duitsen bloed / den vaderland getrouwe / blijf ik tot in den dood“ usw. Angeblich hat die komplette Hymne mehr Strophen als Schillers Glocke, doch gesungen wird das Lied, geschrieben von einem unbekannten Soldaten, nur so lange, bis den Bläsern der Atem und den Spielern die Textkenntnis ausgeht.
Vielleicht war das dann doch ein bisschen zu lange für Malen (oder Maelen?), der für die Aktiengesellschaft des Dortmunder Arbeitervereins „Preußen“ (lateinisch: Borussia) seinem Fußwerk nachgeht, nach sechs Minuten fabriziert er ein wunderschönes Eigentor, das in der Galerie der nicht gerade wenigen Eigentore in diesem Tor sicherlich einen Ehrenplatz erhalten wird. Er befindet sich da in bester Gesellschaft neben Rüdigers (oder war es Tahs?) unhaltbarem Kopfball, Schärs unnachahmlicher Grätsche, dann der Österreicher im ersten Spiel und der Türke im anderen, dazwischen noch ein Tscheche und ein Italiener und und und, also, wie man auf Neudeutsch sagen könnte, ein „best of shit happens“, eine Galerie des „dumm gelaufen“.
Galerie des „dumm gelaufen“
Österreich hat in diesem Spiel etwas vor und die Niederlande zeigen sich durchaus beeindruckt, kämpfen sich aber ins Spiel zurück. In der ersten Halbzeit kommt dabei nichts Zählbares und Erzählbares mehr heraus, aber die zweite beginnt gleich mit einem Paukenschlag, mit Gakpos Ausgleich! Jetzt drehen die „van Duitsen bloed“ sicher auf und das Spiel, fürchte ich, doch da klingelt's wieder hinten drin, über Sabitzer (auch so ein Angestellter der westfälischen AG Preußen) spielen sich die Alpenländer schön auf dem linken Flügel frei und finden in der Mitte einen Abnehmer für die Flanke. Die erneute Führung!
Weghorst macht es nicht
Die Niederländer wollen einfach nicht verlieren, das merkt man ihnen an, denn damit fielen sie in der Gruppe auf Rang drei zurück und wer weiß, gegen wen man dann im Achtelfinale spielen muss? Ja, wer weiß das eigentlich noch, dieses System mit den besten vier Dritten ist so intransparent geworden, dass der Fan selbst darüber nicht mehr spekulieren kann. Und was macht man, wenn sich Ratlosigkeit sogar auf der Trainerbank breit macht? Neue Spieler bringen. Aber auch das ist mittlerweile nicht mehr so einfach, denn man darf wohl nur doch drei Mal, dabei aber insgesamt fünf Spieler (inklusive oder exklusive Torwart, falls der vom Blitz getroffen wird?) auswechseln.
Ausgleich hält nur zwei Minuten
Depay macht den Ausgleich in echter Mittelstürmermanier und mit technisch feiner Leistung, doch was nützt es, nur zwei Minuten hält das, dann macht Sabitzer es auf dem linken Flügel selbst und haut den Ball aus etwas spitzem Winkel unters Gebälk aus Aluminium. Und nur zwei Minuten später klingelt's nochmals, wieder über links und aus spitzem Winkel, doch aus Abseitsposition.
Die Niederlande kämpfen, ist ja klar, und Weghorst springt immer wieder in die Bresche und die Zuschauer halten noch ein paar Mal den Atem an bzw. den Torschrei auf den Lippen zurück, dann ist es nach mehr als sechs Minuten Nachspielzeit vorbei. Österreich schlägt die Niederlande mit 3:2 und feiert den Gruppensieg!
FFF genügt ein Elfmeter nicht
Denn die Fußballferwaltungsfachabteilung begnügt sich mit einem Unentschieden gegen den Tabellenletzten Polen (ein Elfmeter hier, einer da) und beendet sein Pflichtprogramm auf dem zweiten Platz (mit einem Torverhältnis von 2:1, nach gut 200 Minuten Ballverwaltung, darunter ein Eigentor Österreichs und ein Elfmeter). Keine Frage, in dieser Gruppe wurde mit der beste Fußball des Turniers gezeigt, nur eben nicht von Frankreich, sondern von der Rangnick-Truppe aus den Habsburger Erblanden.
Was schreibt eigentlich Judith Hermann?
Die Abendspiele hätte ich mir gleich sparen können und das sicherlich auch getan und mich einem Roman von Judith Hermann zugewandt. Wenn da nicht eben der Achtelfinalgegner von Deutschland ermittelt worden wäre. Public Viewing kommt nicht in Frage, denn ich gehe davon aus, dass die Kneipen mit dem entsprechenden Angebot ihren Umsatz mit ein paar britischen Suffköppen zu steigern trachten, die sich das Spiel der drei zahnlosen Löwen schöntrinken müssen. Ich entscheide mich bewusst für Dänemark gegen Serbien. Das ist eine echt entspannende Abendlektüre, äh, nein, also, äh, Beschäftigung oder genauer Beschäftigungslosigkeit, dass ich mich schon auf den Roman von Judith Hermann freue. Die war mal so ein One-Hit-Wonder in den ausgehenden 1990er Jahren, wurde aber nach ihrem ersten Erzählungsband Sommerhaus später über die Stimmung in um die damals noch neue Berliner und Prenzlberger Kulturschickeria vom damals noch amtierenden Literatur-Papst Reich-Ranicki mit zwei Tonnen Lorbeeren erdrückt, dass ein Heer von Lektoren ihr vergeblich einen Roman hervorzulocken trachteten. Dann verlor ich sie aus den Augen wie Kimmich seine Gegenspieler, doch vor ein paar Wochen tauchte sie auf der Prager Buchmesse auf. Ihr neues Buch sind die Texte ihrer Frankfurter Poetikvorlesungen, das ist so eine Wiedereingliederrungsmaßnahme für verstummende Autoren, denn dort kann man den Studenten alles vorlesen und vortragen. Es soll sich dabei um einen Blick in die eigene Schreibwerkstatt handeln. Kafka, dem die Prager Buchmesse angesichts des 100. Todesjahres gehuldigt hat, wäre auch ein geeigneter Kandidat dafür gewesen. Schmales Werk, viel Interpretationsspielraum.
Durch dieses dritte Zusammentreffen mit Judith Hermann kam ich erst auf den Gedanken, mal im Goethe-Institut nachzuforschen, was Hermann denn seit Sommerhaus später herausgebracht hat. Ach ja, da waren Nichts als Gespenster, ein Band mit längeren Erzählungen und tatsächlich ein Roman, zwar nur so dünn wie Zoë (ha, da ist er ja wieder, der Vokal, der in die deutsche Sprache eingeführt gehört) Jennys Blütenstaubzimmer, das ich in der Pause des Österreich-Spiels zu Ende gelesen habe, aber immerhin ein Roman. Und der wartet auf mich.
Torlose Trostlosigkeit für den Balkan
Vielleicht morgen, denn Dänemark qualifiziert sich nach einem 0:0 gegen Serbien für das Achtelfinale gegen Deutschland, aufgrund des besseren Fairplay-Koeffizienten gegenüber Slowenien, das gegen England ebenfalls 0:0 gespielt hat. Und Serbien hat damit für sich und Kroatien die Heimfahrtickets gebucht. Ich kann die Serben aber wirklich nicht verstehen. Die wussten von Anfang an, dass sie dieses Spiel gewinnen müssen und haben erst so ab der 88. Minute versucht, etwas Druck zu machen. Die sind doch nicht doof und haben doch die – zugegeben manchmal schwer durchschaubaren Uëhfah-Kriterien gekannt. Oder etwa nicht?