Ab dem 25. Mai 2018 tritt die europäische Datenschutzgrundverordnung, kurz DSGVO oder auch GDPR, in Kraft. Ab dann kommen auf Webseitenbetreiber in der europäischen Union verschärfte Pflichten zu. Wer diese nicht einhält muss mit harten Strafen oder Abmahnungen rechnen. Die Verunsicherung ist groß und so verschwinden momentan massenweise Webseiten aus dem Internet, „um die Demokratie zu retten“ wie Zyniker behaupten.
Wie Datenskandale á la „Cambridge Analytica“ den Zuspruch zur DSGVO sicherten
Hintergrund ist, dass die Datenschutzgrundverordnung eigentlich die Großen des Internets, wie Facebook, Google & Co, treffen sollte, die in den letzten Wochen und Monaten durch Datenskandale in der Öffentlichkeit aufgefallen waren. Dadurch konnten sich Politiker, aber auch Lobbyisten den Zuspruch zu dem Gesetz erhoffen. Nun aber stellt sich heraus, dass die harten Maßnahmen wahrscheinlich Ferienhausbesitzer, Blogger, Vereine, insbesondere Fotografen, aber auch Bildungsinstitute treffen könnte.
Netzpolitik.org über den Fall „Cambridge Analytica“
Hunderte Webseiten aus dem Netz „gefegt“
Hunderte von Internetseiten verschwanden in den letzten Wochen still und heimlich aus dem Netz. IT-Experten gehen allerdings von einer wesentlich höheren Zahl im dreistelligen Bereich aus. Eine Nachfrage bei den Betreibern bzw. Domainbesitzern ergab, dass die Angst vor der kommenden DSGVO der Grund dafür ist. Immer öfter ist im Internet zu lesen: „Diese Domain wurde gesperrt“ oder der Seitenaufruf endet bei einem unscheinbaren 403 bzw. 404. Gleiches gilt bei Facebook-Seiten. Dort ist zu lesen: „Leider ist dieser Inhalt derzeit nicht verfügbar“.
Ein 403 ziert die Seite, auf der einst über das Dorfgeschehen berichtet wurde. Nun haben die Bürger der Region keine Möglichkeit mehr, sich aus dem Internet zu informieren. Es bleibt nur die sog. institutionalisierte Presse, die wohl kaum über das Dorf berichten wird.
Ehrenamtliche legen ihre Arbeit nieder, Vereinen droht die Schließung
Die Betreiber der Seiten waren sich vor allem in einem Punkt einig. Sie wussten schlichtweg nicht, wie sie die Verordnung rechtskonform umsetzen sollten und fürchteten hohe Bußgelder und Abmahnungen. Ehrenamtliche legten vorsorglich ihre Ämter nieder, wie u. a. auch auf tagesschau.de zu lesen ist: "Das Herz blutet, das nach so vielen Jahren aufgeben zu müssen. Aber wir sind aus Selbstschutz dazu gezwungen, uns der Sache zu entziehen wegen der vielen Verstoßrisiken", sagt Alfred Zielinski. Der 79jährige Kassenwart Helmut Benkelmann hingegen denkt gleich an die komplette Schließung des Vereins: Grund sind die umfangreichen Dokumentationspflichten (Stichwort: Verarbeitungsverzeichnis und Auftragsdatenverarbeitung), die die DSGVO fordert, wie er auf tagesschau.de angibt: "Es ist unmöglich, damit zurecht zu kommen. Ich kann nicht zu 250 Mitgliedern fahren und mir unterschreiben lassen, dass ich ihnen einen Brief schicken darf."
In Tschechien wächst die Angst vor der GDPR
Auch in Tschechien sorgt die GDPR, wie sie hierzulande heißt, für Verunsicherung. Ferienhausbesitzer, Vereinsvorsitzende und Blogger fürchten, dass profitgierige Abmahnanwälte aus Deutschland sich die Hände reiben und ab dem 25. Mai jeden Webseitenbetreiber in der EU als potenzielles Abmahnziel sehen. In Österreich schlugen die Abmahner schon mehrfach zu (Der Standard berichtete). Nun rauschen auch hierzulande seit Anfang dieser Woche Datenschutzerklärungen auf Tschechisch und Deutsch in die Mailboxen der User rein. Viele Interessengruppen, darunter auch deutschsprachige, wollen sich noch einmal die Bestätigung der Nutzer für einen Newsletter-Dienst holen. Doch so einfach geht das nicht.
Heise.de: DSGVO: EU-Justizkommissarin Věra Jourová will "die Panik verringern"
Seehofer fordert „Gnade vor Recht“ – Jourová hält den Ball flach
Während in Deutschland Bundesinnenminister Seehofer, die Behörden auffordert, für den Anfang „Milde walten“ zu lassen (Schonfrist für den Anfang: https://www.tagesschau.de/inland/datenschutz-dsgvo-101.html), versucht die tschechische EU-Justizkommissarin Věra Jourová den Ball flach zu halten und Panik zu verhindern. Das eine klingt nach blankem Zynismus angesichts der in Deutschland enorm gewachsenen Presse- und Medienkonzentration, das andere nach verkappter Satire, wenn man sich die Verhältnisse in der tschechischen Medienlandschaft ansieht, die nicht weniger besorgniserregend aussehen wie in Deutschland.
Petition für Pressefreiheit und gegen die DSGVO
Fotografieren nur noch für die institutionalisierte Presse erlaubt!
Denn insbesondere das Fotografieren soll in Zukunft nur noch der sogenannten institutionalisierten Presse und ihren ausführenden Organen erlaubt sein. Schon laufen Bürgerrechtler mit Petitionen und Protestnoten Sturm. Ein Verschwörungstheoretiker könnte zu dem Schluss gelangen, dass die DSGVO nicht zum Schutz des Bürgers entworfen wurde, sondern zu einer Art „Rückeroberung“ des Internetmarktes. Schon lange werden Betreiber von kleinen Print- und Online-Zeitungen gerade von der sogenannten institutionalisierten Presse in verschiedenen europäischen Ländern unter Druck gesetzt. Wie stark die Medienmonopolisierung in Deutschland beispielsweise vorangeschritten ist, hatte erst kürzlich die ZDF-Satire-Sendung „Die Anstalt“ mit interessanten Analysen erläutert. Um das Jahr 1918 gab es in Berlin mehr als 40 Tageszeitungen. Trotz des Internets ist die Medienvielfalt heute mit Abstand wesentlich kleiner als noch vor 100 Jahren. In einem Interview mit dem NDR-Journalisten Dominik Lauck gibt Manfred Zeppenfeld an, dass er schon längst seine ehrenamtlich geführte Seite „Westönnen Online“ geschlossen hat. "Das Risiko war uns zu groß", gibt der Online-Journalist an. Auch die Facebook-Seite „Prager Kreis kunstsinniger Zeitgenossen“ ist geschlossen. „Dies sei vorübergehend oder vielleicht für immer“ erklärt der Betreiber gegenüber prag aktuell. Auch hier ist die Angst vor Bußgeldern und Abmahnungen der Grund für die Schließung der Seite. Bei unserer Recherche konnten wir in Tschechien und Deutschland insgesamt 20 weitere Seiten finden, die entweder auf einen 403 verwiesen oder auf eine Sperrseite. Darunter war ein Ferienhausbesitzer aus Turnov, eine Feuerwehr aus dem Landkreis Celle, eine Seite für Urlaubs- und Reisetipps in Tschechien sowie ein Kleinverlag aus Hannover und eine Buchhalterin. Bei einer Nachfrage wurde ausnahmslos der Grund für die Schließung die DSGVO bzw. GDPR angegeben. Ihre Namen wollten Betreiber in diesem Artikel nicht online sehen.
Netzpolitik.org: Datenschutzgrundverunsicherung: Danke, Merkel!
„Man rettet die Demokratie nicht, indem man sie abschafft“
Wenn die DSGVO eines schon vor ihrem Inkrafttreten erreicht hat, so ist es die Stärkung der Pressemonopole und Großkonzerne in Deutschland, Tschechien und Europa. Mehr Sicherheit für den Bürger wird sie wohl kaum bringen. Denn Datenskandale wie „Cambridge Analytica“ lassen sich nicht durch anwaltlich abgesegnete Datenschutzerklärungen verhindern. „Man schützt die Demokratie nicht, indem man sie abschafft“ merkte einer der Webseitenbetreiber verbittert an, der seine Seite nun schloss.
Prag, 24.05.2018
Konstantin John Kowalewski
Artikellink: https://www.prag-aktuell.cz/blog/gut-gebruellt-tiger-webseitenbetreiber-...