Nur wenige Tage nach der Präsentation des tschechischsprachigen Enthüllungsbuchs „Boss Babiš“ von Jaroslav Kmenta, das neue Einblicke in die Unternehmenstätigkeiten des Premierministers Andrej Babiš verspricht und nur einen Tag bevor der amtierende Präsident Miloš Zeman Babiš erneut zum Regierungschef ernannte, haben Tausende bei strahlendem Sonnenschein und tropischer Hitze auf dem Prager Wenzelsplatz gegen Andrej Babiš, Miloš Zeman und für Presse- und Meinungsfreiheit demonstriert; denn nicht nur der Nichtregierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ sind Unstimmigkeit in der tschechischen Presselandschaft in den letzten Jahren aufgefallen.
Mehrere Tausend Demonstranten füllten den Prager Wenzelsplatz
Der Aufruf wurde über unscheinbare Handzettel u. a. an der Metro-Station Budějovická verteilt, lag sogar in einigen Prager Sprachschulen aus und verwies auf die Internetseite milionchvilek.cz auf der in gesperrten Lettern stand: „Milion chvilek pro demokracii“, was frei übersetzt heißt: „Eine Million Augenblicke für die Demokratie.“ Eine Million sind es dann nicht ganz geworden, aber der Wenzelsplatz wurde am Abend des 05.06.2018 vom Reiterdenkmal des Heiligen Wenzels an bis etwa zur Mitte, also auf Höhe der Vodičkova, von mehreren tausend Menschen unterschiedlichster Alters- und Berufsgruppen gesäumt. Prager, die das Fassungsvermögen des Wenzelsplatz aus früheren Demonstrationen kennen, sprechen von ca. 30 – 40 Tausend. 25 – 30 Tausend dürften es dem Augenschein nach aber mindestens gewesen sein.
Foto: Kountouroyanis
Zu der Demonstration aufgerufen hatte das Netzwerk „Milion Chvilek“ („Millionen Augenblicke“). Was genau werfen die Bewegung, Aktivisten und Besucher der Demonstration Andrej Babiš vor? Der in Prag lebende Übersetzer und Ethnologe Richard Herrmann hat für uns die auf der Internetseite der Bewegung (https://milionchvilek.cz/o-nas) erhobenen Punkte gegen den tschechischen Premierminister ins Deutsche übersetzt. Zur Erklärung: Im nachfolgenden Text taucht mehrfach das Kürzel StB auf, der für den Geheimdienst der ehemaligen ČSSR steht; vergleichbar also mit der StaSi in der DDR.
Was „Milion Chvilek“ Babiš vorwirft:
„1. Andrej Babiš hat keinerlei Interesse an einem Dialog. Unsere wiederholten Bitten um ein öffentliches Treffen oder öffentliche Antworten zu unserem Aufruf lehnte er mehrmals ab.
2. Andrej Babiš meinte seine Wahlversprechen über die Entwicklung der Demokratie nie ernst. Ganz im Gegenteil – es stellte sich heraus, dass er eine Minderheitenregierung einer einzigen Partei (nämlich seiner) und die Konzentration der Macht in seinen Händen anstrebt; dass es ihm nichts ausmacht über die Zusammenarbeit mit der SPD“ [Anm. d. Red.: Die tschechische SPD hat nichts mit der deutschen SPD zu tun. „SPD steht für Svoboda a přímá demokracie“ (Freiheit und direkte Demokratie) und gilt als rechtspopulistische Partei] „und den Kommunisten zu verhandeln; dass er die Verfassungsregeln nicht achtet und dass er sich nicht schämt ohne das Vertrauen des Parlaments zu regieren und dabei weitreichende Säuberungen in der Staatsverwaltung durchzuführen; dass er nicht bereit sei auf seine autoritären Visionen über den ‚Staat als Firma‘ und über die Beschränkung von demokratischen Institutionen zu verzichten.
3. Die Strafverfolgung von Andrej Babiš ist durchaus begründet. Dank dem OLAF-Bericht durften die Bürger erfahren, dass Babiš strafrechtlich aus folgenden Gründen verfolgt wird: Er habe im Antrag auf eine Subvention falsche Angaben angeführt, deswegen, weil er einfach log. Dies versuchte Babiš nicht mal zu erklären, er wiederholte lediglich – ohne Beweise vorzulegen – Worte wie „eine Kampagne gegen meine Person, dahinter steckt eine Mafia, eine Zwecksache („účelovka“).
4. Andrej Babiš wird mit einigem Recht als ehemaliger StB-Agent genannt. Er verfügt über keine Lustrationsbescheinigung“ [Anm. d. Red.: Gemeint ist eine Unbedenklichkeitsbescheinigung, siehe auch dazu den Bericht von Radio Praha 05.11.2013] „, um ihn agieren Dutzende ehemalige StB-Agenten und sogar StB-Offiziere, er ist registriert in 12 zurzeit immer noch existierenden StB-Akten mit Dutzenden bestätigenden Unterschriften und die Gerichte lehnten seine Klage, dass er unberechtigt in den Akten registriert sei, ab. 22 Jahre lang nach der Wende 1989 störte es Babiš nicht, dass er als StB-Agent gelistet war. Erst im Jahre 2011, als er in die Politik eintrat, begann ihn diese Tatsache zu stören. Die Frage ist warum?
5. Andrej Babiš stellt seine Person als ein Opfer internationaler Verschwörung dar. Er begann damit, dass gegen ihn eine Kampagne folgende Gruppen führen: ‚Das alte politische System‘, also die Politiker anderer Parteien, er bezeichnet sie als ‚Palermo‘ und vor allem Journalisten. Weiterhin bezeichnete er auch die Polizei und die Staatsanwaltschaft als diejenigen, die ihm schaden wollen. Daraufhin schaltete sich in diese Kampagne gegen ihn auch das slowakische Gerichtswesen ein und später noch die europäischen Institutionen. Eine Krone setzte Babiš seinen Verschwörungstheorien dann auf, als er behauptete, dass bereits in den 80er Jahren Dutzende StB-Offiziere und -Agenten sich aus Langeweile unzählige Dokumente über die Zusammenarbeit mit Babiš ausgedacht hätten, und sie dadurch gegen ihn schon damals eine Kampgange geführt hätten, deren Ziel es war, ihn in der Zukunft zu diskreditieren.“ Quelle: https://milionchvilek.cz/o-nas (Übersetzung: Richard Herrmann)
Foto: Kountouroyanis
Demonstration in Prag und 200 anderen Städten Tschechiens
Doch die von der Bewegung „Milion Chvilek“ genannten Gründe sind nicht die einzigen, weswegen am vergangenen Dienstag in Prag, wie auch in 200 anderen Städten Tschechiens Menschen gegen den Premierminister demonstriert haben. Wir haben mit einigen Demonstranten gesprochen. Die Audio-Files der Interviews in englischer und tschechischer Sprache, können am Ende des Artikels abgerufen werden. Ein Thema kam allerdings bei vielen Interviewten zum Tragen. Andrej Babiš hat in den letzten Jahren zahlreiche Medien in Tschechien gekauft. Kritiker, u. a. wie auch der Autor Jaroslav Kmenta, werfen ihm vor, er würde in den von ihm gekauften Blättern und Sendeanstalten jede Art des kritischen Journalismus ausgeschaltet und die Berichterstattungen zu seinen Gunsten beeinflusst haben.
DSGVO-Fotografie-Verbot könnte Babiš´ Medien stärken
Auf unsere Nachfrage, warum die interviewten Personen zum Wenzelsplatz zur Demonstration gekommen seien, wurde als Grund die StB-Vergangenheit Andrej Babiš´, gefolgt von seinen Unternehmertätigkeiten angegeben. Bis heute ist für viele Tschechen nicht klar, woher beispielsweise das Geld für die Gründung der Holdinggesellschaft Agrofert kam. (Vgl. den Bericht: „Fire and Fury“ auf Tschechisch? Autor Jaroslav Kmenta stellte in der Buchhandlung Luxor sein Enthüllungsbuch über den tschechischen Premierminister Andrej Babiš vor.) Noch schwerer wiegt der Vorwurf, dass das von der Europäischen Union kürzlich im Rahmen der DSGVO erlassene Fotografie-Verbot (Zur Eingabe beim Europaparlament: Petition gegen DSGVO für Fotografen, Kunst und Presse und zur Eingabe für den Bundestag: Pressefreiheit! Gegen EU-Datenschutz DSGVO für Fotografen, Agenturen, Kunst, Presse, Film!) für Personen, die nicht der institutionalisierte Presse angehören, letztendlich Medienmonopolisten wie Andrej Babiš stärken. Ein Demonstrant fragte, nachdem wir das Mikrofon ausgeschaltet hatten, ob etwa die EU Babiš unterstütze, denn schließlich erhalte er auch zahlreiche Subventionen von ihr. Andere Demonstranten gaben an, dass sie die von Babiš gekauften Blätter nicht mehr lesen, da ihnen die Berichterstattung zu tendenziös erscheine.
Prager Zeitung: „‘Mehrere aktuelle Gesetzentwürfe zielen darauf, das Strafmaß für Verleumdung in Tschechien zu erhöhen, insbesondere für Präsidentenbeleidigung‘, warnen die ‚Reporter‘ zudem aktuell.“
„Wir sind für den Verbleib in einer freiheitlich-demokratischen EU“
Foto: Kountouroyanis
In einem Punkt waren sich die Demonstranten einig. Sie waren nicht gegen, sondern für den Verbleib in der Europäischen Union. Neben der tschechischen Landesflagge, wurde auch die Fahne der EU geschwenkt sowie die Tibets, die der Piraten-Partei Tschechiens und grüne Fahnen mit der Aufschrift „Svoboda“ (Freiheit). Das Spektrum der Demonstranten ging durch alle Alters- und Bevölkerungsgruppen. Neben Studenten, waren auch Rentner, Väter und Mütter mit ihren Kindern, aber auch Individualisten aus der alternativen Prager Szene, u. a. von einer Kilt- und Männerrock-Bewegung sowie eine Gruppe von Buddhisten anwesend. Sie alle fürchten einen Rückfall Tschechiens in eine Zeit nach 1948, als der Putsch die Tschechoslowakei in einen Kommunismus stalinistischer Prägung für mehr als 40 Jahre einfror und jegliche Individualität unterdrückte. Auf Protestschildern stand: „Wir wollen nicht noch einen Totalitarismus!“
„Wir werden die ANO beim Magistrat ersetzen“ steht über dem Stand von Praha sobě.
Foto: Kountouroyanis
„Doch noch ist nicht alles verloren.“ Sagt der Demonstrant und Aktivist Petr Petrovský. Denn im Oktober seien wieder Wahlen. Darum stehe er am Wenzelsplatz, um für seine Kandidatur zu werben. Gleich daneben versuchten neben den „Piraten“ auch Aktivisten der Bürgerinitiative „Praha sobě“ Unterstützerunterschriften für drei Kandidaten zu gewinnen. „Auch andere EU-Bürger, die einen ständigen Wohnsitz in Tschechien hätten, könnten auf den Listen unterschreiben und so für die Wahl im Oktober 2018 als Gegenbewegung fungieren,“ sagt Jan, einer der Aktivisten, die ich treffe und der mich auch gleich danach fragt, ob ich einen ständigen Wohnsitz in Prag habe. „Jede Unterschrift sei wichtig.“ Redet er mir ins Gewissen und hält mir einen Zettel mit der Überschrift „Petice podporující kandidaturu volební strany“ („Petition zur Unterstützung der Kandidatur der Wahlpartei“). Ich könne es mir aber noch überlegen und auch später über die Homepage das Formular herunterladen, unterschreiben und an einem der über 100 Annahmestellen in Prag abgeben. In Kürze sei die Seite (https://www.prahasobe.cz/) auch auf Englisch verfügbar versichert er mir begeistert.
„Wir wollen nicht noch einen Totalitarismus!“
Foto: Kountouroyanis
Einen anderen mir zugesteckten Zettel, hatte ich fast am Ende übersehen. Für 399 Kronen wurde ein Brettspiel mit dem Namen: „Chyťte Bureše!“ angeboten und das ein wenig an „Mensch ärgere Dich nicht“ erinnert. Auf der Mitte des Brettspiels befindet sich die Zeichnung einer Person, die dem Premierminister nicht unähnlich sieht. Was ein wenig an eines der Produkte aus dem „Jetzt nicht im Heute-Show Fan-Shop erhältlich“ erinnert, könnte auch den Titel tragen „Fang den Babiš“. (http://chytteburese.cz/) Bei all dem Ernst der Lage, bewiesen die Demonstranten und Aktivisten eine gehörige Portion satirischen Humor.
Bemerkenswert: Bei all den Tausend Demonstranten blieb die Lage auch deshalb ruhig, weil die Polizei es unterließ, massiv Präsenz zu zeigen. Abgesehen von einigen Streifenpolizisten, die den Verkehr am Wenzelsplatz wegen der Demonstration umleiteten, konnten keine (erkennbaren) Beamten ausgemacht werden. „Würde die Polizei hier mit solch brutaler Härte zuschlagen wie bei euch in Deutschland“, merkte ein junger Demonstrant an, „würde das bei uns zu einem Bürgerkrieg führen.“
Konstantin John Kowalewski
Prag, 10.06.2018