Am 19.02.2019 fand unter dem Café Louvre gelegenen Rock-Café, in der Národní třída, eine Podiumsdiskussion unter dem Motto „Eine Debatte: Fünf Jahre mit Babiš oder was hat er uns gegeben und was genommen?“ („Debata: Pět let s Babišem aneb Co nám dal a co nám vzal“) statt. Vortragende und Moderatoren waren Bohumil Doležal (geb. 1940, Unterzeichner der Charta 77, Politikwissenschaftler und Vorsitzender des Vereins zur Verteidigung der Demokratie), Jaroslav Kmenta (Investigativjournalist und Autor des Enthüllungsbuches „Boss Babiš“), Bohumil Pečinka (Kommentator der wöchentlich erscheinenden Zeitschrift „Reflex“), Johana Hovorková (Editorin der Zeitschrift des „Forum 24“ sowie Pavel Šafr (Chefredakteur des „Forum 24“).
Die komplette Podiumsdiskussion in voller Länge (Nur auf Tschechisch).
Vorrausgegangen sind dem Diskussionsabend seit mittlerweile fast zwei Jahren anhaltende Massenproteste gegen den tschechischen Premierminister Andrej Babiš. [siehe auch Berichte vom 18.11.2018 und 25.11.2018] Kritiker werfen dem Politiker Klientelpolitik, die Vermischung von privaten wirtschaftlichen Aktivitäten mit seiner politischen Tätigkeit als Premierminister sowie die Übernahme von zahlreichen Medien und damit den direkten Eingriff in die sog. „vierte Säule“ der Demokratie vor. Doch Andrej Babiš ist nicht nur in das Mediengeschäft eingestiegen; Berichten zufolge, wie z. B. der am 7. Januar in der jüngst neu gegründeten und kritischen Tageszeitung Denik N erschienene mehrseitige Beitrag, habe Babiš über seinen Mutterkonzern Agrofert ein ganzes Firmenimperium aufgebaut, das sich durch geschickte Firmenübernahmen immer weiter ausdehnt. Die Methoden, mit denen Fremdbetriebe übernommen wurden, hat die Deutsche Welle in einem Bericht aus dem Jahr 2018 exemplarisch dargestellt.
Wir haben die Gelegenheit ergriffen, die Veranstaltung zu besuchen und einige Interviews mit Gästen wie auch Vortragenden zu führen.
Interview mit Jaroslav Kmenta
Zur Person: (Jahrgang 1969), tschechischer Investigativ-Journalist und Autor des Enthüllungsbuches „Boss Babiš“ (2018) [prag-aktuell berichtete], Berichterstatter der tsch. Zeitschrift „Reportér“. Er beschäftigte sich mit den Verbindungen zwischen Politik, Wirtschaft und Mafia-Kreisen und der Aufdeckung von Korruptionen. Zwischen 1993-2000 und 2003-2013 arbeitete er für die Mladá fronta DNES (Die Zeitung gehörte ehemals zur Rheinisch-Bergischen Verlagsgesellschaft. Die Herausgebergesellschaft der Zeitung „MAFRA a. s.“ wurde am 26. Juni 2013 von der „AGF Media a. s.“ aufgekauft, hinter welcher der tschechische Unternehmer und Politiker Andrej Babiš steht.)
KK: Herr Kmenta! Sie sind der Autor des Buches „Boss Babiš“. Können Sie uns eine kleine Zusammenfassung Ihres Buches geben? Wie lange haben Sie daran gearbeitet und was sind die wichtigsten im Buch behandelten Themen?
JK: Das Buch fasst die wichtigsten Informationen meiner Recherchen zusammen. Es zeigt auf, woher Andrej Babiš kam und fasst Hintergründe zu seiner Person und seiner Unternehmenstätigkeiten zusammen. Eine der wichtigsten Schlüsselinformationen ist, dass Andrej Babiš die ganze Zeit während seiner Unternehmenstätigkeit einen Klientelismus betrieben hat. Dies widerspricht Babiš eigenen Aussagen, nach seinem Einstieg in die Politik, in der er Klientelwirtschaft selbst kritisierte. Hier ergibt sich ein Widerspruch.
Deutsche Welle berichtet über zwielichtige Geschäfte des Premierministers.
Babiš selbst hat sein Wirtschaftsimperium in den letzten 20-30 Jahren so ausgebaut, dass er konspirative Kontakte zu den wichtigsten Mitgliedern der sozialdemokratischen Partei [Tschechiens] aufgebaut und gepflegt hat. In meinem Buch [„Boss Babiš“] beschreibe ich auch, wie er damals [gemeint ist zur Wendezeit] Kontakte sowohl zu hochrangigen Politikern als auch zur Polizei und zum Geheimdienst zur Ausschaltung seiner Konkurrenz nutzte.
KK: Sie haben nun sehr ausführlich den Werdegang von Andrej Babiš beschrieben, welche Machtmechanismen er u. a. auch über seine Firma Agrofert genutzt hat. Was glauben Sie, was ist das Ziel von Andrej Babiš? Wohin möchte er?
JK: Als Andrej Babiš im Jahr 2011 in die Politik ging, war sein Ziel zunächst sein Eigentum zu schützen und zu vermehren. Sein wichtigstes Ziel war seinerzeit die EU-Geldströme für sich zu sichern. Heutzutage genießt Babiš seine gewonnene Macht und wähnt sich als Politiker auf Weltniveau.
KK: Können Sie genauer die Interaktion zwischen der Europäischen Union und dem Aufstieg Andrej Babiš beschreiben?
JK: Diese Frage kann am besten mit der Sprache der Zahlen beantwortet werden. In den letzten Jahren flossen den Firmen, die zu dem Netzwerk von Agrofert gehören, 4 Milliarden CZK [ca. 156.024.462,00 €, also etwa 156,1 Millionen €)]
Kmenta holt eine Mappe mit aufgelisteten Zahlen, säuberlich aufgeschlüsselt nach den einzelnen Firmen, die zum Netzwerk Andrej Babiš gehören, aus seiner Tasche, anhand der er uns zeigen will, wie seinen Recherchen nach weitere Milliarden Kronen EU-Subventionen für den Strukturbereich aus der EU an Firmen, die zur Holding AG Agrofert gehören, in den Jahren 2009 bis 2015 geflossen seien.
Die kritische Zeitung Denik N veröffentlichte am 7. Januar 2019 einen mehrseitigen Bericht über Andrej Babiš´ wirtschaftliche Aktivitäten und fächerte dabei über drei Zeitungsseiten das Firmennetz des tschechischen Premierministers auf.
„Das sind allgemeine Fördermittel gewesen!“ Fügt der Journalist hinzu und macht uns dann auf einen weiteren Posten zur Förderung der Landwirtschaft in den Jahren 2012 – 2015 aufmerksam. Auch hier seien Milliarden tschechischer Kronen in ein Unternehmen geflossen, das zu Agrofert gehöre.
JK: Das sind riesige Gelder natürlich und Babiš´ Interesse ist es jetzt natürlich seine Position so zu festigen, dass er [gemeint ist natürlich sein Firmennetzwerk] die gleichen Fördergelder wieder erhält. Bezüglich Ihrer Frage, nach dem genauen Interaktionsmechanismus zwischen der EU und Andrej Babiš, möchte ich Ihnen ein Beispiel geben. Im Jahre 2010 wurde ein Gesetz auf den Weg gebracht, wonach festgelegt werden sollte, wie viel Prozent der Anteil von Pflanzenkraftstoff in Biosprit betragen soll. Der Anteil sollte eigentlich erhöht werden. Dieses Gesetzesvorhaben wurde vom damaligen Präsidenten Vaclav Klaus gestoppt. Er hegte seinerzeit keine Sympathien für Andrej Babiš. Babiš sah Gewinneinbußen für sein Unternehmen, falls das Gesetz nicht das tschechische Parlament passieren sollte. Doch schließlich gelang es Babiš mit Hilfe der Sozialdemokraten – auch der ehemalige Premierminister Bohuslav Sobotka war dabei – durch eine geschickte Lobbyarbeit eine Mehrheit für das Gesetz zu bekommen und die Umsätze und Gewinne seiner Firmen zu steigern.
KK: Herr Kmenta! Erlauben Sie mir eine letzte Frage. Sie haben früher auch für etablierte tschechische Medien, u. a. für die Mlada fronta, gearbeitet, mussten dann aber diese Zeitungen verlassen. Können Sie uns beschreiben, wie sich dieser Prozess vollzogen hat?
Interview mit Jaroslav Kmenta. (Deutsch/Tschechisch)
JK: Gleich nach der Bekanntgabe, dass Andrej Babiš die Mlada fronta gekauft hat, habe ich sofort meine Kündigung eingereicht. An diesem Tage gab es auch ein Treffen mit dem neuen Eigentümer – Herrn Babiš – und da habe ich auch ganz deutlich meine Einstellung kundgetan. Bei diesem Treffen habe ich ihm vor allen Mitarbeitern ins Gesicht gesagt, dass ich ihn als eine graue Eminenz [gemeint ist eine Art mafiöser Pate] der heimischen Ökonomie, Landwirtschaft und Politik sehe.
KK: Herr Kmenta! Vielen Dank für das Interview.
Interview mit Pavel Šafr
Zur Person:
Pavel Šafr (Jahrgang 1967), tschechischer Journalist, Kommentator und ehemals langjähriger Chefredakteur der Lidové noviny, Mlada fronta DNES, (ebenfalls ehemaliger) Geschäftsführer der Blesk-Gruppe (Deník Blesk, Nedelní Blesk, Blesk.cz), Reflex.
KK: Herr Šafr! Sie haben lange Zeit auch für eine Zeitung gearbeitet, die später von Andrej Babiš aufgekauft wurde. Welche Zeitung war das? Und wie ich gehört habe, mussten Sie die Zeitung auch verlassen. Können Sie diesen Vorgang für unsere Leser und Zuhörer genauer erklären?
PŠ: Ich habe für die größten Zeitungen mit der größten Auflage seinerzeit gearbeitet. Die Eigner waren Deutsche, die sich leider dazu entschieden haben, die Zeitungen zu verkaufen. Und diese Zeitungen wurden dann später von tschechischen Oligarchen gekauft. Ich gehöre zu den Redakteuren, die sich dazu entschieden haben, die Redaktion nach dem Verkauf zu verlassen. In Deutschland dürfte es für Medienvertretern wie auch Lesern unvorstellbar sein, dass der Zeitungseigner auch gleichzeitig Premierminister ist.
Unser Bemühen war natürlich eine unabhängige Zeitung zu gründen und unsere Redaktion will auch die Machtstrukturen eines Andrej Babiš ohne Präzedenz [gemeint ist hier Einflussnahme von Trägern hoher Staatsämter] deutlich machen.
KK: Sie sind jetzt Chefredakteur des Forum 24. Können Sie die Zeitschrift ein wenig beschreiben? Was sind Ihre Themen? Welche Zielgruppe haben Sie vor Augen?
PŠ: Wir orientieren uns an den Lesern, die vor allem in den Städten [gemeint sind hier größere Städte wie Prag, Brno oder Plzen] leben und denen basisdemokratische Prinzipien wichtig sind. Gleichzeitig unterscheiden sich unsere Leser von denen, die die Medien des Eigners Andrej Babiš lesen; und die sehr russlandfreundlich orientiert sind. Online haben wir täglich ca. 150.000 Leser/innen. Das sind monatlich ca. 1 Million Online-Nutzer/innen pro Monat. Das Forum 24 ist auch als Print erhältlich und mittlerweile haben wir auch ein Buch herausgegeben, das über den Online-Handel bezogen werden kann. Darin behandeln wir die Gedanken, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung betreffen, die wir so zu unterstützen versuchen.
KK: Herr Šafr! Eine letzte Frage: In Deutschland haben wir ein Vertriebssystem, das die Zeitungen an die Kioske und den Handel liefert. Im Grunde ist eine Zeitung nur dann konkurrenzfähig, wenn sie in den Vertrieb reinkommt. Wie sieht das in Tschechien aus? Sind Sie im Vertrieb oder müssen Sie Ihre Kunden über Direktmarketing werben?
PŠ: Es ist leider so, dass die Vertriebe von den Zeitungen der Oligarchen bevorzugt werden. Also, in den Vertrieb, der die Kioske bzw. den Handel beliefert, ist es für uns schwer reinzukommen. Dafür fehlt uns auch das Geld, deshalb versuchen wir unsere Zeitschrift über das Internet zu vertreiben.
KK: Die Frage ist ja beim Vertrieb, weil der Vertrieb ja so wichtig ist: Wem gehört der Vertrieb eigentlich?
Interview mit Pavel Šafr. (Deutsch/Tschechisch)
PŠ: Die Vertriebswege unterliegen in Tschechien dem Einfluss der Verlegergemeinschaft. Aber die Verlegergemeinschaft unterliegt dem Machtbereich der Oligarchen. Das Problem ist, dass eine Demokratie, die noch nicht vollständig entwickelt ist, stärkeren Einflüssen auf bestimmte Instrumente unterliegt, die einen offeneren und gerechteren Vertriebsweg ermöglichen würden.
KK: Herr Šafr! Vielen Dank für das Interview.
Interview mit Besucher der Veranstaltung Richard Herrmann, der auch das hier gezeigte Video an dem Abend aufgenommen hat.
KK: Warum sind Sie heute Abend hergekommen?
RH: Ich bin hier, um diese Veranstaltung auf Video aufzunehmen. Das Angebot dazu machte mir das Forum 24 und ich fand es auch wichtig, dass die Leute, die keinen Platz mehr bekommen haben – hier waren heute ca. 170 bis 200 Leute im Saal – die Veranstaltung sich auf Youtube ansehen können. Der Grund, warum ich persönlich als Bürger anwesend war bzw. warum ich mich so für die Aufzeichnung der Veranstaltung einsetze ist, dass ich nicht zusehen will, wie die Demokratie und Freiheit in diesem Lande aufgrund von Babiš´ Einfluss auf die Polizei, Justiz und Politik langsam verschwindet und wir eines Tages wieder in den Verhältnissen wie vor 1989 landen. Das ist natürlich etwas, was ich gerne verhindern will.
KK: In der Podiumsdiskussion hat ja der Politikwissenschaftler Bohumil Doležal auf das Jahr 1989 hingewiesen. Können Sie das etwas weiter ausführen?
RH: Ja, das war ganz interessant, weil er die Lage nach 1989 beschrieben hat. Es gibt nämlich auch hier Verschwörungstheorien, dass damals alles angeblich von in- und ausländischen Geheimdiensten vorbereitet gewesen wäre. Dem hat Doležal widersprochen. Die Dissidenten seien einfach nicht auf die Ereignisse vorbereitet gewesen. Dann kam die Zeit der Freiheit und die Demokratie wurde damals neu, zwar mit vielen Fehlern, aber immerhin, aufgebaut und Doležal hatte damals die Hoffnung gehabt, dass nach der Jahrtausendwende bestimmte Korrekturen vorgenommen werden sollten, um die Fehler aus den 90er Jahren wieder auszubügeln. Aber dann sah man ab dem Jahre 2010, dass Menschen wie Andrej Babiš an die Macht kamen, die uns eigentlich wieder in die Verhältnisse vor 1989 zurückwerfen könnten. Es handelt sich natürlich dabei nicht mehr um den Kommunismus, sondern um einen rücksichtslosen Kapitalismus. Es war sehr interessant für mich, wie Bohumil Doležal das alles aus der historischen Perspektive beschrieben hat.
KK: Die ganze Veranstaltung hier wurde vom Forum 24 organisiert. Das Forum 24 ist ja auch ein tschechisches Magazin. Der Chefredakteur ist Herr Pavel Šafr, der ursprünglich auch bei anderen Medien angestellt war, die heute Andrej Babiš gehören. Können Sie das für unsere Leser noch mal erläutern?
Interview mit Besucher Richard Herrmann. (Nur auf Deutsch)
RH: Ich glaube, er war Chefredakteur der Mlada fronta dnes. Nachdem diese Zeitung vom Premierminister Babiš gekauft wurde, musste er die Redaktion verlassen. Das war vor 5 Jahren und vor 4 Jahren wurde dann dieses Forum 24 gegründet. Aber ich glaube, dass ist nur die Zeitschrift, denn die Redaktion heißt Freiheitsforum. Das spiegelt auch die Bemühungen wieder, ein unabhängiges Medium zu gründen, das natürlich nicht so riesige Auflagenzahlen hat, wie die Mlada fronta dnes damals, aber immerhin werden dort ganz wichtige Beiträge veröffentlicht, die die MF dnes nicht publiziert. Das wurde auch in den Schaubildern während der Veranstaltung hier gezeigt. Immer wenn es Massenproteste gab, z. B. gegen Babiš, dann wurden auf der Titelseite [der MF dnes] amüsante, für das Wochenende konzipierte, Nachrichten gedruckt. Also solche Themen [wie Massendemonstrationen] kommen in den dem Premierminister gehörenden Zeitungen ganz selten vor. Und von der Redaktion des Forum 24 werden genau diese Themen aber aufgegriffen.
KK: Vielen Dank für das Interview.
Prag, 07.03.2019
Konstantin John Kowalewski