Freitagabend, Viertelfinale nach einem heißen Sommertag, das Rieger-Park-Stadion ruft. Ich habe einen klaren Favoriten für dieses Spiel und verlasse mich da ganz auf meinen Fußballverstand. Ebenso absichtlich lasse ich meine Brille zu Hause und setze mich besonders nah ans Spielgeschehen. Ich meide auch die allzu große Nähe zu den lustigen belgischen Fans in ihren schwarz-gelb-roten Perücken und den struwweligen Haarhauben um den Kopf herum. Ich sitze inmitten von Tschechen, was ich zunächst bereue, da ich das hinlänglich bekannte Repertoire von Vulgarismen nicht überhören kann. Ich blicke mich immer wieder um und schaue nach hinten in die Gesichter der Fans während des Spielgeschehens.
Furioser Beginn
Der Auftakt gelingt überaus gut. Gleich nach zwei Minuten hat Belgien eine Trippelchance, die der Torhüter im Verbund mit drei Abwehrspielern abwehren kann. Der folgende Eckball fliegt gefährlich durch den Torraum, doch es fehlt der Typ mit Schuhgröße 56, um das Leder irgendwie über die Linie zu befördern. Aber lange brauchen wir nicht zu warten, es ist noch keine Viertelstunde gespielt, da lassen ein paar Belgier den Ball um den Sechzehnmeterraum zirkulieren und legen kurz nach hinten ab, wo Naingolan aus etwa 25 Meter Maß nimmt und das Runde in den linken Winkel zimmert. Oh, wie ist das schön! Naingolan – aus welcher Sprache mag dieser Name wohl stammen, woher mag dieser Spieler kommen? - hat bereits gegen Schweden getroffen, ebenfalls aus einer satten Entfernung. Alles bereit für die Party, denke ich.
Denkste, denken sich die Waliser und schlagen einfach mal zurück. Eckball, die belgischen Verteidiger machen die Mitte auf und der walisische Kapitän köpft kraftvoll ein, weder Courtois noch de Bruyne auf der Linie können das verhindern. So simpel kann das gehen. Sowieso, der Spielaufbau von Wales ist vielleicht nicht der komplexeste, aber er ist effektiv und Courtois muss noch eine dicke Chance entschärfen. Bale rackert und rackert, hat diesmal aber kein Glück im Abschluss.
Böhmisches Lächeln
In der Halbzeitpause, als ich mich erhebe und dem Bierstand zueile, bekomme ich tatsächlich ein Lächeln geschenkt, ein Lächeln einer Böhmin! Das ist mir schon lange nicht mehr passiert. Die zweite Halbzeit ist schnell erzählt. Belgiens Abwehr steht bei diesem Spiel ein wenig neben sich, der Verteidiger-Lukaku auf der linken Außenbahn ist zwar quirlig, aber manchmal auch desorientiert. Und Mittelstürmer Robson-Kanu lässt mit einer simplen Körpertäuschung gleich drei Verteidiger um ihn herum ins Leere laufen und nutzt locker die freie Bahn zur Führung.
Ich blicke nach hinten, noch ist die Stimmung nicht gekippt, außerdem ist ja noch Zeit für den Ausgleich, Fellaini, nach der Pause aufs Feld der Ehre geschickt, sorgt durch seine Kopfballstärke für Gefahr. Meist versuchen es aber die belgischen Recken um Kevin de Bruyne, Eden Hazard & Co. durch die Mitte und kommen auf dem engsten Raum nicht durch. Stürmer-Lukaku hat auch nicht seinen besten Tag und so kommt, was kommen muss, ein tödlicher Konter und die Entscheidung. Ich blicke mich wieder um, die Lächlerin ist mittlerweile andere Männer anlächeln gegangen, ich habe es gar nicht bemerkt. In den Augen des nächsten belgischen Fan sehe ich das blanke Entsetzen, die paar verbleibenden Minuten werden nicht ausreichen und an ein Fußballwunder glaubt er wohl nicht. Das passiert auch nicht und ich gehe auf Toilette. Dabei passiere ich ein Grüppchen von drei blutjungen Belgierinnen, die jubeln und heftig Fahne schwenken. Ach, dieser Optimismus, zu beneiden!
Unbekümmerte belgische Jugend
Ich begegne ihnen später im Rieger-Park. Sie sprechen mich an. Ja, warum denn weinen, es war ja nur ein Fußballspiel. Recht habt ihr, Mädels, ich erkläre ihnen, wie gut mir das gefällt, dass sie ihre gute Laune behalten. Sie wollen wissen, woher ich komme und zeigen mir dann, wie man blitzschnell aus der belgischen Fahne eine deutsche macht. Wir verabreden uns lose für den folgenden Abend und als ich den Wenzelsplatz hinuntergehe, höre ich noch lange vom oberen Ende die fröhlichen Belgien-Rufe.
Ich gehe übrigens auf der rechten Seite das Stück böhmischen Boulevards hinab, wo es keine professionellen Damen zu geben scheint. Ich höre die niederländische Sprache und sehe an den absolut gleichgültigen Gesichtern, dass es sich um Holländer handeln muss, nicht um Flamen.
Wales? Wales! Wer hätte das gedacht, diese Truppe hatte ich nicht so recht auf dem Schirm. Habe auch nur deren beide ersten Spiele gesehen, ein Sieg gegen die Slowakei, eine Niederlage gegen England. Hatte Wales als ein-Mann-Truppe eingeschätzt, Bale und zehn andere. Doch Bale hat gegen Belgien weder ein Tor geschossen noch eins vorgelegt. Er hat aber enorm gerackert und seine Mitspieler haben diesmal für die Glanzlichter gesorgt. Dickes Ding, das, Wales steht im Halbfinale gegen Portugal und ist nicht unbedingt Außenseiter.