Der Montag beginnt mit den Entscheidungen in Gruppe A und B. Zwischen Russland und Uruguay geht es nur noch darum, wer Gruppensieger und wer Zweiter wird. Das zweite Nachmittagsspiel ist nahezu bedeutungslos. Ich nutze die Zeit, um Vorbereitungen in der Küche zu treffen, Obstsmoothie (Karotte, Apfel, Erdbeere, Banane), der nicht nur mich wieder auf Vordermann bringen soll. Das Kind erhält natürlich auch seinen Anteil. Als nächstes bereite ich Tzatziki mit frischem Knoblauch, eine Ingwerbrühe und Kräutertee zu. Nebenbei bereite ich den Kühlschrank zum Abtauen vor, das Kind verfolgt gespannt, was der Papa mit dem Hammer macht, einem Zimmermannshammer, um genau zu sein, vertrieben von einer bekannten schwedischen Möbelkette. Das Werkzeug besitzt eine runde Trefffläche zum Nageln und eine gespaltene, spitz auslaufende Fläche, benutzbar zum Nagelziehen, Bretterabhebeln oder eben als Eispickel. Ob das Gerät auch eine kleine Vertiefung besitzt, wo der Nagelkopf in einer kleinen Rinne zu justieren ist, um ihn einarmig in der Wand anzuschlagen, habe ich nicht untersucht, diese Funktion aber bisher auch nicht benötigt.
Uruguay besiegt locker Russland
Uruguay gegen Russland verfolge ich als Hörspiel, wobei ich zu den Torwiederholungen zum Bildschirm laufe. Während meine Tochter Bekanntschaft mit Eis macht, zeigen die Gauchos vom linken Ufer des Silberflusses den Russen und Russländern ihre Grenzen auf. 3:0 lautet am Ende das etwas ernüchternde Endergebnis, die Stürmerstars Suarez und Cavani treffen jeweils ein Mal. Als der Schlusspfiff erfolgt, ist der Kühlschrank noch längst nicht abgetaut. Den verderblichen Inhalt lagere ich in einer Kühltasche mit blauen Kühlelementen zwischen, weitere Lebensmittel landen in Schüsseln und Töpfen, in welche ich das manuell entfernte Eis packe. Ich nenne es Prinzip Sibirien, wohin sich Putin mit seiner familienfreundlichen We Emm nicht traut.
Vorschlag: Trostrunde
Warum nicht Ägypten und Saudi Arabien dorthin schicken, das wäre für die Wüstensöhne sicherlich ein großartiges Erlebnis, ein Spiel in der Tundra oder Taiga. Vielleicht würden sie dann noch etwas länger bleiben und unter Eigenregie eine Trostrunde organisieren, in die sich später Marokko und der Iran einreihen könnten. In Eigenarbeit ein Stadion erbaut, dann eine Spielrunde absolviert, das würde den Zusammenhalt in diesem islamischen Block der ausgeschiedenen Mannschaften stärken. Insbesondere die Todfeinde Iran (Mullahs, Ayatollahs, Schiiten) und Saudi Arabien (das Haus Saud, Wächter der heiligen Städten, ultraorthodoxe Sunniten) könnten den Streit um den rechtmäßigen Nachfolger des Propheten neu aufrollen. Vielleicht sind ja in den vergangenen 1357 Jahren neue Quellen und Zeugenaussagen aufgetaucht, welche die Hintergründe der Ermordung Alis in ein ganz anderes Licht rücken. Das wäre doch ein Ansatz, um die Stellvertreterkriege in Jemen und Syrien endlich zu beenden.
Özil und Gündogan setzen auf Sieger
Aber Fußball hat ja noch nie irgendwelche politischen Probleme gelöst, eher umgekehrt, Politik löst fußballerische Probleme. Die Türken haben ihren Präsidenten und Anführer Erdögan wiedergewählt, die Türken in Deutschland sogar deutlich (60%) und in Österreich noch deutlicher (70%). Die deutsche Nationalmannschaft kann damit zur Tagesordnung übergehen, Özil und Gündogan haben auf den Wahlsieger gesetzt und sind jetzt sicherlich erleichtert, dass sich die PR-Aktion in London nicht als Eigentor erweist. Kroos hat sich zum Leader des deutschen Teams aufgeschwungen, Löw mit seinen Wechseln Autorität gezeigt, da können Özil und Gündogan sich jetzt wieder entspannt unterordnen und Leistung zeigen, von beiden werden keine weiteren Führungsqualitäten erwarten. Einzig Cem Özdemir mault in Deutschland noch etwas von getürkten Wahlen, doch ihm muss mit dem Schröder'schen Imperativ entgegen gehalten werden: Gewählt ist gewählt. So ist das, gewählt ist gewählt, erst hinter der Wahlurne fängt die Demokratie an. Das unterscheidet Fußball von den Wahlen, man weiß vorher nicht, wie es hinterher ausgeht.
Vor dem Ertrinken gerettet
Die Lebensgefährtin MM sieht die zunehmende Pfützenbildung in der Küche durchaus kritisch und rettet das Kind vor einem drohenden Ertrinken. Ich nehme die bereits früher erwähnte Mussaka ein, diesmal mit einer erheblichen Menge Tzatziki und schaue immer mal wieder in die Küche, während ich am Computer administrative Arbeit erledige. Irgendwann läuft nebenher auch das Spiel Portugal gegen Iran, in dem der Schiiten-Staat ums Weiterkommen kämpft. Das Kind will mir helfen und klettert auf meinen Schoss und arbeitet dann mit am Computer. Im Parallelspiel liegt Spanien plötzlich zurück, ich rechne durch, würde dann ein Unentschieden für den Iran schon reichen? Noch nicht, Spanien hat mehr Tore geschossen, und es kommt noch eins hinzu, womit sich auch punktemäßig etwas in der Tabelle tut.
Gegen Ende der ersten Hälfte kann ich das Kind kaum noch bändigen, es ahnt, dass sich im fernen Russenland etwas tut. Vor Aufregung hält es sich am Netzstecker fest und – Bildausfall. Ich verpasse dadurch nicht nur das portugiesische Führungstor, sondern sehe auch einen Teil meiner heißgeliebten administrativen Arbeit gefährdet. Ich reagiere kontrolliert ungehalten und das Kind plärrt gleich los, es weiß, dass etwas Schlimmes passiert ist. In diesem Glauben lasse ich es und versuche, es ins Bett zu stecken. Der Computer benötigt die gesamte Pause, um wieder hochzuladen und -herzzustellen. Anschließend dauert es lange, bis ich das schöne Führungstor von Quaresma (richtig ausgesprochen? Ich kann nämlich kein Portugiesisch, ich weiß nur, dass es in der Sprache wunderbar sanfte Zischlaute gibt, die sie zum Singen mit Fado-Musik förmlich prädestiniert) sehen kann.
Das Kind quängelt und schläft nicht, ich nehme es wieder aus dem Bett, lasse es aber nicht mehr auf den Tisch. Endlich bin ich mit der administrativen Arbeit nahezu durch und schaue mir die letzten zehn Minuten des Spiels live an. Im Parallelspiel geht Marokko wieder in Führung, da könnte noch was für den Iran gehen, denn C. Ronaldo verschießt in der zweiten Hälfte einen Elfmeter und hat Glück, nach einer Tätlichkeit nur verwarnt und nicht vom Platz gestellt zu werden. Alle diese Entscheidungen werden übrigens nach dem Videobeweis gefällt, wie auch der Elfmeter für den Iran, der kurz vor Spielende zum Ausgleich führt. Wenn Marokko jetzt noch ein Tor schösse, wäre Spanien ausgeschieden.
Durchatmen auf der iberischen Halbinsel
Doch auch im Parallelspiel greift der Videobeweis ein, Spaniens Abseitstor wird als regulär anerkannt, was wohl auch den Tatsachen entspricht. Nun muss der Iran selbst noch ein Tor schießen und der Europameister mit dem Weltfußballer fliegt in der Vorrunde aus. Und da ist plötzlich auch die Chance, der Ball landet mit Glück bei einem Iraner, der sechs, sieben Meter frei vor dem Tor aus halblinker Position den Ball am ihm entgegenstürzenden portugiesischen Torhüter vorbei bringt, aber leider auch an dem Eckigen, wo das Runde hin soll. Kurz danach ist Schluss und tiefes Aufatmen auf der gesamten iberischen Halbinsel. Die Favoriten sind weiter, Spanien trifft im Achtelfinale auf Russland und Portugal auf Uruguay.
Uff, denke ich kurz danach, geschafft, endlich ist auch das letzte Stückchen Eis hinter der Verschalung des Eisfaches aufgetaut und entfernt. Ich kann ihn trocknen, wieder anschließen und frisch bestücken. Die Lebensmittel scheinen alle genießbar geblieben zu sein, das Kind, mittlerweile von MM in mein Bett zum Anschlafen verfrachtet, wacht nicht auf, als ich es in sein eigenes Bett lege. Ich schaue noch ein bisschen Spanien gegen Marokko und lege mich dann selbst in nämliches.