Schweden, die zweite, ich gebe Fred's Irrenhaus doch noch eine Chance und siehe da, die Verrückten sind diesmal ganz handzahm und die Apathischen entweder zu Hause oder aber noch nicht unter canabinöse Sedativa gesetzt. Vielmehr sitzt Fred ergeben auf seinem Barhocker und hat alle Ambitionen eines Möchtegern-Hooligans abgelegt. Große Illusionen macht er sich auch nicht, denn die Leistung Schwedens gibt dazu keinerlei Anlass. Nach dem Spiel wird es heißen, Schweden sei die einzige Mannschaft, die nach zwei Spielen immer noch nicht aufs Tor geschossen hat. Ein Mirakel, wie sie dann überhaupt einmal getroffen haben, doch hat es sich dabei angeblich um ein Eigentor gehandelt.
Italien hat einen Brasilianer
Italien spielt, wie Italien immer spielt, nicht besonders ansehnlich, eher zweckdienlich und mit einer überaus strapazierfähigen Abwehr. Ibrahimovic reibt sich auf, wie er nur kann, doch er spielt einfach in der falschen Mannschaft, um irgendwas reißen zu können. Immerhin wäre für Schweden ein Nullnull drin gewesen, doch dann bekommt kurz vor Schluss Eder den Ball, schaltet den Turbo und umkurvt die stockbeinige Nordmannenabwehr und netzt ein. Sieg zwei für die Oldies von der Apenninenhalbinsel. Dank einem Brasilianer. Italien also auch, denke ich mir, während Eders Heimatland fußballerisch in Schutt und Asche liegt, sind ja bei der zur Eh Emm parallel laufenden Copa America früh ausgeschieden, setzt er die spielerischen Glanzlichter für beinhart fußwerkelnde Italienerkicker. Nun wird es mir klar, der brasilianische Fußball hat nicht im allgemeinen eine Krise, sondern der brasilianische Patriotismus.
Von „Kokotten“ und Schiedsrichtern
Spiel zwei des Tages lautet Tschechien gegen Kroatien. Ich versuche das Knapp neben Burundi und werde bitter enttäuscht. Die vier, fünf Honzas, die sich mit Fußball beschäftigen, ironisieren zu zwei Dritteln die Leistung des eigenen Teams. Jemand mit einer Kappe von Hajduk (Split) betritt den Laden, ruft kurz „Hrvatska“, bestellt einen eingelegten Käse und nimmt wenig Anteil am Spielgeschehen. Das Einsnull für Kroatien wird nur zum Anlass weiterer Scherze genommen. Zur Halbzeitpause wechsle ich den Spielort aus und gehe mal wieder in die Kaschemme. Siehe da, etwa zehn Leute sitzen angspannt um zwei Tische und fluchen herzhaft über die allzu bescheidene Darbietung der eigenen Mannschaft und das konsequenterweise fällige Zweinull. Dann hat Luka Modric, Kroatiens Bester Schicht und der Rest der Mannschaft schaltet irgendwie auch in den Urlaubsmodus um. Die Flüche und Verwünschungen werden herzhafter, bis Pavel Vrba, Böhmen und Mährens Jogi Löw, den Erfolg einwechselt. Škoda, richtig, genau wie das Auto, so heißt der Torschütze nach Rosickýs feiner Außenristflanke. Und plötzlich ist der Teufel los, denn das setzt in der Kaschemme ungeahnte Emotionsstürme frei. Da nützt auch ein grob regelwidriger Versuch der kroatischen Fans nichts, mit einer Rauchbombe den Spielabbruch zu erzwingen. Nach zehn Minuten geht es weiter und dann gibt es einen Elfmeter, dessen Kommentar ich einem Freund überlasse, der sich das Geschehen in St. Etienne aus Sicherheitsgründen vor dem heimischen Bildschirm zu Gemüte führt. (Übersetzung aus dem sms-Tschechischen vom Verfasser des Restes dieser Zeilen) Wir danken ergebenst, HERR Schiedsrichter. Das ist einzig ihm aufgefallen. 2:2. Und die Kroaten haben noch Schiss dabei. Dieses Handspiel konnte man mal leicht übersehen. Und am Anfang überhaupt ziemlich öde und gar kein schöner Fußball (bezieht sich natürlich auf die Tschechenmänner). Und dann haben sie gezeigt, dass sie auch spielen wollen. „Kokotten“ (pejorativ für das männliche Geschlechtsteil, vielleicht mit „Wichser“ adäquat übersetzt) sind auch in Kroatien, wie die ganze Eh Emm eine Parade von „Kokotten“ ist … kommt mir wenigstens so vor … habe zu Hause geschaut und es nicht ausgehalten. (O-Ton Ende) Deshalb sind also die Gasthäuser in meiner Wohngegend während des Spiels wenig frequentiert. Der Deutsche geht zum Lachen bekanntlich in den Keller, der Böhme schließt sich zum Mitfiebern also in sein Wohnzimmer ein. Das ist eine durchaus neue Erkenntnis.
Einziges spanischsprechendes Team souverän
Abends zerlegt Spanien ziemlich souverän und kompromisslos die Türkei Dreinull, was den Tschechen doch Mut geben sollte, ähnliches gegen die Osmanen selbst zu bewerkstelligen und dadurch die Gruppenphase zu überleben. Schaue dem Geschehen in Fred's Saustall zu und werde anschließend von einem langandauernden und ausgiebigen Telefonanruf aus meiner früheren Wahlheimat Köln vom Fußball abgelenkt, wobei es um alles geht, das Leben im allgemeinen, die Lebensphilosophie, die Soziologie, die Vergangenheit, aber auch die Zukunft, ein wenig die Gegenwart, besonders die Literatur und vor allen Dingen, wenn auch nur nebensächlich, die bisher bescheidene Darbietung der vor zwei Jahren so hochgelobten deutschen Fußballkunst.
Je suis en grêve
Anschließend geht es dann noch von einer Kneipe in die nächste und am folgenden Tag, gottlob, streikt mein Körper und Geist dermaßen, dass ich mir die Fußballqual ersparen muss. Es ist auch einfach zu viel europäischer Fußball auf einen Schlag, Mama mia, drei Spiele täglich und nur eine spanischsprechende Mannschaft im ganzen Turnier, wer soll das aushalten.
Nebenbei erfahre ich noch interessante Details aus dem Innenleben des slowakischen Staates. Die Selbstmordrate sei bedenklich gestiegen, wenn die Leute aus den Schulden nicht mehr ein noch aus wüssten. Das ganze Land sei eine komplette Fehlbildung, Tschechoslowakei, ja, das war was, aber die Slowakei, nein. Selbst die Nationalhymne sei eigentlich ein ungarisches Volkslied. Die deutsche, wende ich ein, eigentlich eine österreichische Hymne auf den Kaiser. Mein Einwand kann aber nicht davon abhalten, der Slowakei den baldigen Ausbruch des Faschismus zu prognostizieren. Nun ja, nun ja, in Prag trifft man eben stets Slowaken, die aus dem eigenen Land abgehauen sind, genau wie man nur Amerikaner trifft, die die Demokraten wählen oder Engländer, die gegen den Brexit sind. Sonst wären sie ja nicht in Prag, sondern dort, worüber sie so gerne schimpfen.
Im Radio melden sie neben ausgiebigen Aktionen gegen den muslimischen Terror zwei Fußballergebnisse, Belgien besiegt Irland 3:0, Island und Ungarn werden sich wohl 1:1 trennen, denn das Spiel war im Moment des Vermeldens im Begriff zu enden. Schweden und Irland, diese beiden Mannschaften wird es wohl treffen, damit stehen doch schon einige Ausscheider dieses Turniers fest. Dazu noch Albanien, die Ukraine und Russland, fehlen also nur noch drei.
Am Abend gibt’s dann noch Österreich gegen Portugal, da könntens nur noch zwei geworden sein. Mal sehen, vielleicht gehe ich doch noch streikbrechen.
Streikbrechen
Ich breche meinen Streik und schaue natürlich Österreich gegen Portugal. Es gibt doch nichts Besseres gegen den Kater als das belämmerte Gesicht von Cristiano Ronaldo zu sehen. Und er enttäuscht mich natürlich nicht. Nachdem ich eine ganze Weile erklärt habe, dass ich Österreich nicht unterstütze, was jeder annimmt, nur, weil ich mit ihnen 95 Prozent meiner Muttersprache teile, holt er einen zweifelhaften Elfmeter heraus. Das war es dann wohl, denke ich mir, doch tatsächlich kommt es anders. Cristiano Ronaldo beschert mir den schönsten Moment dieses Turniers. Er läuft an, verlädt natürlich den österreichischen Torwart und trifft das Tor. Wohlgemerkt, das Tor, nicht ins Tor. Pfosten. Dann köpft er kurz danach nach einer Freistoßflanke ins Tor. Geil, denn der Linienrichter winkt Abseits. Wir tanzen und jubeln und sind uns einig. Wegen Cristiano Ronaldo hat Portugal, dieses schöne Land mit diesen netten Menschen, keine Fans im Ausland. Zumindest nicht solche, die man ernst nehmen kann. Da hilft es auch nichts mehr, dass Portugal Eder bringt, der am Tag zuvor Italien ins Achtelfinale geschossen hat. Das Spiel endet torlos und die Chance besteht, dass beide Mannschaften ausscheiden. Tja, Kaiserschmarrn eben.