Fast alles lief nach Plan für die Favoriten: die USA, Australien, Polen, Senegal, Japan, Südkorea und die Schweiz sind nach Hause geschickt. Argentinien, Brasilien, England, Frankreich, Kroatien, die Niederlande und Portugal machen im Turnier weiter. Nur Spanien erlag dem Fluch der bösen Tat und schied gegen Wunschgegner Marokko im Elfmeterschießen aus. Nie hat eine Mannschaft, bestehend aus Profis der besten europäischen Ligen, schlechtere Elfmeter geschossen.
Waschmaschine statt England
Im Viertelfinale treffen neben den Niederlanden und Argentinien auch Brasilien und Kroatien sowie Frankreich und England nebst Marokko und Portugal aufeinander. Wieder habe ich nicht viel von England gesehen. Am Sonntagabend machte die Waschmaschine Probleme und ich war mehr mit ihr als dem Spiel gegen Senegal beschäftigt. Was ich gesehen habe, sah sehr souverän aus. England könnte einer der großen Favoriten sein, wenn... ja, wenn sie nicht auf Frankreich träfen.
Tipps der „Experten“
Am Dienstagmorgen, noch vor dem letzten Achtelfinalspieltag, tippte ich mit einem Bekannten den Rest der WM. Meine These lautete, 60 zu 40 für Frankreich. Er hingegen setzte auf England. Hat mein Tipppartner Expertise, muss ich mir Sorgen machen? Schließlich hat er auf Spanien als Weltmeister getippt, was sich einige Stunden später als Eigentor aus 50 Metern erweisen sollte. Ich sah das Spiel nebenher in der Arbeit und weiß absolut nicht, wer besser war, Spanien oder Marokko. Ich hielt es wie am Vortag beim Spiel der Kroaten gegen Japan. Von der Verlängerung erwartete ich nichts mehr und fuhr nach den 90 Minuten + x von der Arbeit nach Hause. Spanien wartete mit seiner einzigen Großchance auf mich und meinen Computer. Ein Schuss aus spitzem Winkel streifte den langen Pfosten. Das Adrenalin von dem Schreck, der den Torwart dabei durchfuhr, setzte dieser in drei abgewehrte Elfmeter um. Ein Spanier traf zusätzlich den Pfosten. Selbst Sergio Busquets, gestählt von hunderten Partien in der Champions League, der Primera Division, der Welt-und Europameisterschaften und neuerdings auch in einigen wenigen Spielen der Europa League, hatte Pudding in den Beinen und Schmetterling in den Nervenbahnen. Spanien schoss so schlecht wie der FC Barcelona zuletzt 1986 gegen Helmut Ducadam. Das war im Endspiel des Europapokals der Landesmeister, den der ruhmreiche FC Barca bis zu jenem Zeitpunkt noch nie gewonnen hatte. Ein paar Jährchen dauerte es dann auch, bis zum ersten Sieg.
Engel, Teufel, Nikoläuse
Das Elfmeterschießen am Vortag war ähnlich unspektakulär und bot wenig Spannung. Kroatien agierte höchst souverän, während bei Japan die Angst vor dem Erfolg die Beine lähmte. Nach dem letzten Elfmeter lief ich schnell in den Supermarkt, denn die Mutter hatte meiner Tochter eine Überraschung versprochen, die ich einhalten musste. Meine Tochter, selbst halbe Kroatin, quengelte die ganze Zeit herum, wollte von Fußball, Patriotismus und Spannung nichts wissen. „Ich kann jetzt nicht mehr länger warten“, ist ihr Leitspruch, der für mich zum Leidspruch wurde. Es war der 6. Dezember, trotz schauderhaften Wetters liefen auf der Straße Engel, Teufel und Nikoläuse herum. Also besorgte ich meiner Tochter Schokofiguren, ein Puzzle, eine Thermohose und einen Adventskalender. „War das schon alles?“, maulte sie sich später.
Brasilien tanzt eine Halbzeit
Rechtzeitig vor dem Anpfiff des Brasilien-Spiels war ich zurück. Meine Tochter erwartete mich bereits im Flur und durchstöberte meine Einkaufstasche. Während des Spiels – Brasilien machte eigentlich nach zehn Minuten alles klar – musste ich ihr beim Puzzle helfen und verpasste dadurch das zauberhafte dritte Tor durch Richar-dingens-son (sorry, das ist kein mangelnder Respekt, ganz im Gegenteil; der Spieler war mir bisher unbekannt und ich habe mir seinen korrekten Namen noch nicht gemerkt. Das wird aber sicher noch, schließlich habe ich Brasilien als Weltmeister getippt, trotz meiner Doktrin, Messi muss Meister werden).
Südkorea kommt glimpflich davon
Südkorea konnte einem in der ersten Halbzeit nur leid tun, Brasilien ließ es in der zweiten Hälfte wohl langsamer angehen. Ich bekam von dieser nicht viel mit, da ich das Kratzen im Hals und die Erkältung deutlich spürte und mich frühzeitig, vollgepumpt mit Knoblauch und Ingwer-Tee, ins Bett legte. Als meine Vorbereitungen zu Ende waren, stand es nur noch 4:1 und es waren noch zehn Minuten zu spielen. Ich machte den Computer aus und dachte, sollte jetzt noch Unerwartetes passieren, werde ich mich mein ganzes Leben lang ärgern. Ich legte mich unter meinen Schlafsack, geeignet für Hochgebirgstouren bis zu -21 Grad – nicht, dass ich jemals eine solche Tour mit Übernachtung im Freien unternommen hätte – und eine Daunendecke. Mitten in der Nacht wachte ich mit einem üblen Mundstuhl auf, musste dringend auf Toilette und Wasser trinken.
Extrem-Schwitzen, um rechtzeitig wieder fit zu werden
Dasselbe Programm wiederholte ich eigentlich auch am Dienstag, die Verlängerung von Spanien – Marokko ließ ich aus, sah zu Hause das Elfmeterschießen, ging zwischen den Spielen schnell in den Supermarkt, Brot und Ingwer-Nachschub besorgen und sah die erste Halbzeit von Portugal gegen die Schweiz. Portugal spielte ohne Cristiano Ronaldo und war gleich um zwei Klassen besser. Das 1:0 war schlichtweg phänomenal. Die Schweiz, die ich am Vormittag noch wagemutig ins Halbfinale getippt hatte, sah nur noch Seen und keine Berge und so ging ich nach der ersten Hälfte wieder ins Bett. Bis ich bettfertig war und den Computer ausschaltete, stand es bereits 4:1 und wieder fragte ich mich, ob ich nicht doch eine große Sensation verpasste. Vollgepumpt mit Knoblauch und Ingwer unterzog ich mich meiner Schwitzkur. Nach drei Stunden wachte ich zum ersten Mal auf, die Blase, und überprüfte das Ergebnis. Satte 6:1. Gehört Portugal jetzt zu den Favoriten? Als nächster Gegner wartet Marokko, der Wunschgegner Spaniens im Achtelfinale.
Ach ja, Viertelfinale, waren das noch Zeiten, als sich Deutschland mindestens bis dorthin bei einer WM rumpelte. Und wenn die Mannschaft dann ausschied, krachte es zu Hause. Und nun? Oliver Bierhoff ist seiner Entlassung zuvorgekommen und muss nun nicht mehr zum Rapport zu Neuendorf. Was wird aus Flick? Was aus Müller, Neuer und den Bayern-Bonus-Profiteuren? Während in Qatar fleißig am Ball trainiert wird, herrscht in Deutschland Ruhe vor dem Sturm.